Mohammed Mursi und seine "gezähmten" Muslimbrüder

Der Kandidat der gemäßigten Islamisten gilt als Dogmatiker, der seinen Erfolg ganz dem Netzwerk verdankt.

Zu Beginn seiner Kandidatur als „Ersatzrad“ verspottet, ist der steife, bärtige Professor für Ingenieurwissenschaften seit Sonntag 16.30 Uhr nun tatsächlich der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens. „Ich danke Gott für den Sieg, ein Sieg für alle Ägypter“, rief Mohammed Mursi in einer für ihn ungewöhnlichen Aufwallung der Gefühle, als ihn seine Anhänger im Hauptquartier der Muslimbruderschaft hochleben ließen.

Beim Machtkampf mit dem Obersten Militärrat, der seit der Auflösung des Parlaments am vergangenen Donnerstag voll entbrannt ist, goss Mursi vorerst kein weiteres Öl ins Feuer. Ihm gehe es vor allem darum, „einen zivilen, demokratischen, modernen und verfassungsmäßigen Staat“ aufzubauen.

Studiert hat Mursi in Ägypten, promoviert in den USA, zwei seiner fünf Kinder besitzen die amerikanische Staatsbürgerschaft. Vor seiner Kandidatur war er Vorsitzender der „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“, des politischen Arms der Muslimbruderschaft. Von 2000 bis 2005 saß er für sie als Abgeordneter im Parlament.

„Killer und Vampire“

Nachdem die Hohe Wahlkommission den Wunschkandidaten der Muslimbruderschaft, den charismatischen Millionär Khairat al-Shater wegen seiner Gefängnisstrafe unter Mubarak disqualifizierte, sprang der konservative Apparatschik Mursi als Ersatzmann ein. Im August 1951 in der Provinz Sharqia im Nildelta geboren, blieb der Bauernsohn seiner Heimat bis heute treu. Bis zuletzt arbeitete er als Professor an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften in der Provinzhauptstadt Zagazig. Die Familie lebte auch in Kairo und sieben Jahre in Kalifornien. Zurück in Ägypten machte Mursi rasch Karriere in der Muslimbruderschaft, wurde ihr politischer Sprecher und gründete die „Ägyptische Kommission gegen den Zionismus“.

Im Verhältnis zu Israel gilt er als Falke, mehrfach bezeichnete er Israelis als „Killer und Vampire“. Als Wahlkampf-Einheizer hatte er meist den radikalen Prediger Safwat el-Hegazi dabei, der in Großbritannien Einreiseverbot hat, weil er „terroristische Gewalt verherrlicht“. „Wir wollen die Vereinigten Staaten von Arabien mit Jerusalem als Hauptstadt“, rief dieser unter dem Jubel der Menge. Mit Mursi an der Spitze werde man nach Jerusalem ziehen – und wenn das eine Million Märtyrer koste. Mursi versprach den Ägyptern im Wahlkampf vollmundig eine „islamische Renaissance“. Doch die wird er unter der strengen Kontrolle des Militärs wohl kaum herbeiführen.

Netz gegen die „westliche Invasion“

Religiöse Erneuerung – sie gehört seit der Gründung der Muslimbruderschaft im Jahre 1928 zum Programm des Netzwerks. Der ägyptische Grundschullehrer und Aktivist Hassan al-Banna gründete mit sechs weiteren Mitstreitern eine Vereinigung gegen die „westliche Invasion“ der britischen Besatzer. Ideologisch wollte man die religiös-islamische Identität der Bevölkerung gegen die westliche „Dekadenz“ stärken. Zur Verbreitung ihrer Lehren schufen al-Banna und seine Anhänger ein Netz von sozialen Einrichtungen im ganzen Land – eine Strategie der Bruderschaft, die bis heute erfolgreich ist, in Ägypten und anderswo in der arabischen Welt. Zwar wurden die Muslimbrüder im späteren unabhängigen Ägypten immer wieder verboten – etwa nach dem missglückten Attentat auf Revolutionsführer Gamal Abdel Nasser –, doch konnten sie zeitweise auch relativ unbehelligt existieren.

Hosni Mubarak, der im Februar 2011 gestürzte Präsident, hatte den Kurs gegen die Bruderschaft in seiner Amtszeit wieder verschärft – gleichzeitig waren „unabhängige“ Kandidaten der Bruderschaft im Parlament die wichtigste Oppositionskraft. Nach dem Sturz des „Pharaos“ wurden die Muslimbrüder im ägyptischen Parlament offiziell führende Kraft. Doch einige Wähler haben sie damit vergrämt, dass sie, statt Entscheidungen bei Sozial- und Wirtschaftsthemen zu treffen, die Zeit mit religiös-ideologischen Spitzfindigkeiten verbracht haben. Bei neuerlichen Wahlen würde die „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ wohl keine so bequeme Mehrheit mehr erreichen – eine der vielen Herausforderungen, vor der der neue ägyptische Präsident steht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2012)

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