Konjunktur: Die große Angst vor dem Rückfall

Konjunktur grosse Angst Rueckfall
Konjunktur grosse Angst Rueckfall(c) BilderBox (Bilderbox.com)
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Niemand hat erwartet, dass 2012 ein gutes Jahr wird. Doch mit Aktien und Rohstoffwerten geht es rapide abwärts. Und selbst in Deutschland schrumpft die Zuversicht. Wird alles schlimmer als gedacht?

Wien. Wann haben wir es endlich geschafft? Im April 2011 sah es kurz so aus, als sei das Ende der Wirtschaftskrise in Sichtweite: Da verkündete die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), dass ein „selbsttragender Aufschwung“ zu sehen sei, die Wirtschaft sich erholt. Davon ist nun keine Rede mehr. Überraschten Deutschland und Österreich im ersten Quartal noch mit einer guten Konjunktur, ging es im Mai plötzlich abwärts: Aktienmärkte und Ölpreis sackten ab, ebenso die Stimmung unter Analysten und Unternehmern.

Zum Beispiel der ZEW-Index: Er erfasst, wie zuversichtlich deutsche Finanzexperten bezüglich der Entwicklung der deutschen Wirtschaft sind. Im Mai fiel er um 12,6 auf 10,8 Punkte. Das war der erste Rückgang nach fünf Anstiegen in Folge. Im Juni sanken die Erwartungen so stark wie zum letzten Mal im Oktober 1998. Ähnlich verhält sich der Ifo-Geschäftsklimaindex, der die Stimmung in deutschen Unternehmen misst. Nachdem er mehrere Monate in Folge gestiegen war, brach er im Mai ein, um im Juni weiter zu sinken.

Gefährlicher Boom in China

Auch die Entwicklung des Ölpreises deutet auf eine Abkühlung der Weltwirtschaft hin: Im Vergleich zu den Höchstständen im März sanken die Preise für Rohöl zuletzt um etwa 30 Prozent. Kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent im März noch bis zu 128 Dollar (heute 102 Euro), waren es Ende der Vorwoche nur noch knapp 90 Dollar. Ein deutliches Signal für eine sinkende Nachfrage, weil ein Rückgang der Industrieproduktion erwartet wird. Auch der Goldpreis und die Aktienmärkte gaben nach. In den USA stockt der Aufschwung, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Schwellenländer entpuppen sich auch nicht als jener Konjunkturmotor, auf den Europa gehofft hat: In China etwa fußt das Wachstum großteils auf einem Immobilienboom. Platzt dieser, ist das Wachstum in China und in Folge auch in Europa gefährdet.

In Ökonomenkreisen macht sich Unsicherheit darüber breit, welche Szenarien noch realistisch sind. Deuten die Ereignisse des Mai schon auf den nächsten Absturz hin? Droht der Welt ein nächstes 2009?

„Ausschließen kann man das auf keinen Fall“, sagt etwa Michael Grömling vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW). „Ich bin da äußerst vorsichtig geworden. Denn wir haben auch 2008 nicht gedacht, dass uns die Finanzkrise so tief runterziehen wird.“ Marcus Kappler vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, das den ZEW-Index erstellt, hält die aktuelle Situation hingegen nicht mit 2009 vergleichbar. „Der Kollaps von Lehman Brothers war ein Schockereignis, die Verflechtungen waren nicht klar.“ Entscheidend werde 2013 sein, und wie es mit Spanien und Italien weitergeht. „Aber wenn die großen Länder zerbrechen, dann hätte das dramatische Auswirkungen.“

Wie dramatisch, das hat die Weltbank kürzlich errechnet. Dabei ging sie davon aus, dass große Euroländer, die für ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes der Eurozone stehen, pleitegehen und keine Kredite mehr bekommen. Die Auswirkungen wären laut Weltbank dramatisch: Die Wirtschaft in der Eurozone würde um 8,5 Prozent schrumpfen, jene der Schwellenländer um vier Prozent.

Die Gefahr ist gestiegen

Ein realistisches Szenario? Bernhard Felderer, Ökonom und Chef des Staatsschuldenausschusses, kann damit nichts anfangen. „Wir können nicht ausschließen, dass die Welt untergeht. Aber es hat keinen Sinn, über so einen extremen Fall nachzudenken.“ Die Abstürze im Mai führt Felderer auf die Wahlen in Griechenland und Frankreich und die Situation der spanischen Banken zurück.

Laut EU-Kommission soll die Wirtschaft in der Eurozone heuer um 0,3 Prozent schrumpfen, jene Österreichs um 0,8 Prozent wachsen. Ob die Prognosen halten? „Die Gefahren sind natürlich gestiegen“, sagt Marcus Scheiblecker vom Wifo. Ihn hat eher das gute erste Quartal überrascht. „Dass sich die schwache Entwicklung in den restlichen Euroländern irgendwann auf die exportlastige Wirtschaft in Österreich und Deutschland auswirken wird, kam ja nicht überraschend.“

Und 2013? „Eine Rezession im Euroraum ist leider durchaus denkbar. Wenn auch nicht das wahrscheinlichste Szenario.“

Auf einen Blick

Im ersten Quartal überraschten Deutschland und Österreich noch mit einer guten Konjunktur. Doch im Mai kam es zu einem rapiden Absturz: Aktienkurse, Ölpreis sackten ab, die Erwartungen von Unternehmern und Analysten verschlechterten sich. Ökonomen halten einen Rückfall in die Rezession nächstes Jahr für möglich, wenn auch nicht für das wahrscheinlichste Szenario.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2012)

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