Beer: "Österreichs Geheimdienste sind Angsthasen“

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Der Geheimdienst-Experte Siegfried Beer im DiePresse.com-Interview über die mangelnde Öffentlichkeitsarbeit der österreichischen Dienste, den Agenten Zilk und die Spionage-Hauptstadt Wien.

Das Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) veröffentlicht im Juli teilweise noch unveröffentlichte CIA-Akten über Spionage in Österreich zu Zeiten des Kalten Krieges. Herausgeber Siegfried Beer, Historiker und Geheimdienstspezialist, meint, dass die 2009 öffentlich gewordenen Fälle bagatellisiert worden seien. 2009 wurde bekannt, dass der frühere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk für den Auslandsgeheimdienst der Tschechoslowakei und der frühere "Presse"-Chefredakteur Otto Schulmeister für die CIA tätig gewesen sein sollen.

Im Interview spricht Beer über die Fälle Zilk und Schulmeister, Wien als Spionage-Hauptstadt und die österreichischen Nachrichtendienste.

Die Presse.com: Welche neuen Erkenntnisse bringen die Akten, die Sie im Juli veröffentlichen?

Siegfried Beer: Die Akten könnten eine Diskussion auslösen - die bisher nicht geführt wurde - darüber, welche Rolle wir eigentlich im Kalten Krieg gespielt haben. In Österreich haben fremde Geheimdienste willige Mitarbeiter gefunden, darunter zahlreiche Journalisten. Otto Schulmeister und Helmut Zilk wurden damals als "Agenten" geführt. Weniger einflussreiche Akteure sind für so etwas ins Gefängnis gegangen. Nach dem Bekanntwerden 2009 wurden die Fälle verharmlost. Die Leser sollen sich jetzt selbst ein Bild machen.

Hat die Politik den Fall Zilk heruntergespielt?

Die SPÖ hat es bis zum Schluss bagatellisiert, ebenso wie meine sozialdemokratischen Historikerkollegen - "Undenkbar, dass der liebe Helmut...". Aber der "liebe Helmut" hat Geld eingestreift, das für die damalige Zeit gewaltig war.

Zur Spionage heute: Die USA sollen mit dem Virus Flame iranische Netzwerke ausspioniert haben, auch die Chinesen setzen Hacker ein. Löst Cyberspionage die „klassische" Spionage ab?

Das kommt jetzt ins Zentrum. Genauso wie in den letzten 25, 30 Jahren die Wirtschaftsspionage wichtiger geworden ist als die Politspionage. Das sind neue Formen, auch der Kriminalität, die von feindlichen Geheimdiensten vermehrt aufgegriffen werden müssen. Und auch von Privaten wird das betrieben. Man könnte fast sagen, dass Intelligence privatisiert oder ausgelagert wird.

Im Fokus steht derzeit auch die Arbeit der Geheimdienste bei der Terrorbekämpfung. Im Mai wurde etwa bekannt, dass ein saudischer Agent einen Anschlag in einem Flugzeug Richtung USA verhindert hat, indem er sich selbst als Attentäter angeboten hat.

Das ist sicherlich eine wichtige Methode, zu versuchen, in solche Kreise einzudringen. Im Bereich der "human intelligence" ist das derzeit die schwierigste, aber wichtigste Aufgabe. So wie im Kalten Krieg die Amerikaner versucht haben, in den Kreml zu kommen, versucht man nun in die Nähe der al-Qaida-Führung und -Planung zu kommen.

Dafür brauchen die westlichen Geheimdienste aber wohl andere Arten von Mitarbeitern als früher?

Ja, man muss vollkommen umstellen bei den Rekrutierungsmaßnahmen. Das hat man nach 9/11 aber auch sehr schnell gelernt. Die Amerikaner suchen ganz gezielt Leute, die zum Beispiel Farsi sprechen oder eine bestimmte Abstammung haben. Da hat man sicher dazu gelernt. So verrückt der Krieg gegen den Terror ist, er zeigt ja Wirkung.

Sie haben 9/11 angesprochen. War das das größte geheimdienstliche Versagen in der Geschichte?

Man empfindet es vielleicht als solches, aber wenn man es sich genauer anschaut, würde ich sagen, man hat auch etwas Pech gehabt. Es gibt keinen Geheimdienst der Welt, der alles verhindern kann.

Viele Geheimdienste haben einen umfangreichen Webauftritt, die CIA hat einen eigenen YouTube-Channel. Die österreichischen Nachrichtendienste scheinen dagegen so gut wie gar keine Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.

Seit Jahren jammere ich die an, weil sie nicht einmal eine eigene Website haben. Damit könnte man den Bürger direkt darüber informieren, was man leistet - was in einer Demokratie eigentlich selbstverständlich sein sollte. Man kann doch - ohne Geheimnisse preiszugeben - informieren, wie Gelder eingesetzt werden und ob zum Beispiel auch der Bürger mithelfen kann, Gefahren zu erkennen. In Amerika und anderswo macht man das schon längst.

Warum sind die österreichischen Dienste dabei so zurückhaltend?

Die haben offensichtlich Angst, das sind ziemliche Angsthasen.

Angst wovor?

Das weiß ich auch nicht so genau. Die haben wohl diese alte Einstellung: "Das was wir betreiben muss geheim bleiben". Daher haben sie natürlich, wenn etwas vorfällt, auch ziemlich schlechte Presse, und wundern sich. Aber verteidigen können sie sich nicht, weil sie das nicht probat finden. Sie leiden lieber still. Anstatt dass sie sich einmal hinstellen und schauen, wie das denn die anderen machen und warum das dort weit besser funktioniert.

Britische und amerikanische Geheimdienste werben auch öffentlich um künftige Mitarbeiter. Wie wird bei uns rekrutiert?

Sie rekrutieren dort, wo sie sind - das heißt die militärischen Nachrichtendienste beim Militär und das BVT bei der Polizei. Es gibt keine Tradition hinauszugehen und zu schauen, dass man die besten Leute bekommt und die sich auch bewerben lässt. Bei uns werden Nachrichtendienste eben als Unterabteilungen geführt - als ob sie nebensächlich wären.
Dabei lösen die österreichischen Dienste ihre Sicherheitsfragen gar nicht so schlecht. Sie sind unterdotiert und von der Belegschaft her viel zu schlecht eingerichtet, und trotzdem haben sie einen ganz guten Ruf.

»4000 bis 5000 Mitarbeiter fremder Geheimdienste in Wien«

Wie viele Mitarbeiter fremder Geheimdienste gibt es in Wien?

Ich würde schätzen dass es 4000 bis 5000 sind, und wenn es mehr gäbe, würde es mich auch nicht wundern.

Welche Informationen sammeln Geheimdienste in Österreich?

Ausländische Dienste tummeln sich bei uns, weil sie sich für internationale Angelegenheiten interessieren, die bei uns passieren. Da geht es um wirtschaftliche, technische und Finanz-Fragen. Um Österreich geht es nicht, dafür ist es viel zu unbedeutend. Das wird so nebenbei mitgemacht.

Internationale Geheimdienstler in Wien dürfte auch der Fall des libyschen Ex-Ölminister Shukri Ghanem interessiert haben, der im Mai tot in der Neuen Donau gefunden wurde.

Die internationalen Geheimdienste waren sicher involviert. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Ghanem nicht observiert wurde. Ich kann es mir auch nicht vorstellen, dass er einfach einen Herzinfarkt gehabt hat. Es ging um viel Geld, es ging um Rache. Aber solche Fälle werden bei uns schnell fallengelassen.

Wie wurde Wien zum Anziehungspunkt für Geheimdienste?

Erstens sind die Leute gerne in Wien - das zeigt sich auch daran, dass frühere Kalter-Krieg-Geheimdienstler hier in Pension gehen. Und die geopolitische Lage war natürlich interessant. Außerdem kann einem hier nicht viel passieren. Wir haben ein sehr laxes Gesetz - man wird nur bestraft, wenn man österreichische Interessen verletzt. Damit schafft man sich eine Reputation. Ich war vor kurzem in Washington, da hat mir ein Mann gesagt: „Sie wissen eh, die wichtigste Spionagestadt ist Washington. Aber die zweitwichtigste ist Wien."


Was sind die größten populären Irrtümer über Geheimdienst-Arbeit?

Das Spektakuläre, das was über Filme oder Romane wie James Bond vermittelt wird. Den Leuten das Knochengeschäft der Geheimdienstarbeit klarzumachen ist gar nicht so einfach. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, die Menschen in diesem Bereich aufzuklären.

Zur Person

Der Historiker Siegfried Beer lehrt am Institut für Geschichte der Grazer Karl-Franzens-Universität. Der gebürtige Niederösterreicher leitet außerdem das von ihm gegründete Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS). ACIPSS gibt das Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies (JIPSS) heraus.

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