EU-Gipfel: Überzogene Erwartungen, demokratische Leerstelle

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Das 19. Krisentreffen der Staats- und Regierungschefs legt den schweren Baufehler der Union offen.

Brüssel. 18 Mal haben sich Europas Staats- und Regierungschefs seit Ausbruch der Eurokrise getroffen. 18 Mal wollten sie besagte Krise eindämmen. Und 18 Mal sind sie gescheitert. Zwar gibt es heute Einrichtungen, die man vor drei Jahren noch für völlig unmöglich gehalten hätte; man denke nur an den 500 Milliarden Euro starken Euro-Währungsfonds ESM, der in den nächsten Tagen seine Arbeit aufnimmt. Dennoch: Auch der 19. „Krisengipfel" wird die Erwartungen der Bürger und der Investoren enttäuschen. Und so wird eine Frage immer öfter und lauter gestellt: Kann man Europa von oben herab erneuern? Können, wie vor 200 Jahren auf dem Wiener Kongress, zwei Dutzend Staatenlenker hinter verschlossenen Tapetentüren die Zukunft des Kontinents bestimmen? War die Aufwertung des Europäischen Rates - sprich: der Regierungschefs - ein Fehler?

Der Widerstand wächst

Ja, sagt eine Gruppe energischer Politiker aus mehreren Staaten, die stets während der EU-Gipfeltreffen einen Gegengipfel veranstaltet. Die „Spinelli-Gruppe", benannt nach dem italienischen Föderalisten Altiero Spinelli, hat sich quer über die Parteigrenzen zusammengefunden, vereint durch das tiefe Unbehagen über die Konzentration von immer mehr politischer Macht in den Händen der 27 Regierungschefs und ihres Ratspräsidenten Herman Van Rompuy. „Der Sicherheitsrat der UNO ist eine demokratischere Institution als der Europäische Rat", schimpfte am Donnerstag die französische liberale Europamandatarin Sylvie Goulard. „Es geht um das Vertrauen der Bürger in das, was da auf dem Gipfel diskutiert wird", gab ihre Landsfrau Isabelle Durant, eine französische Grüne, zu bedenken. Und Romano Prodi, einst Italiens Regierungschef, Ex-Präsident der Europäischen Kommission und heute Hochschulprofessor, legt nach: „Als ich meinen chinesischen Studenten die Rolle der EU-Institutionen erklären wollte, bin ich gescheitert." Damit ist Prodi nicht allein: Denn weder der einfache Bürger von der Straße noch der nervöse Anleihenhändler von der Wall Street versteht, wieso sich die mächtigsten Politiker Europas ein ums andere Mal treffen, ohne einen politischen Durchbruch zu erzielen.

Der Notfall wird zur Regel erklärt

Dabei liegt es auf der Hand: Man kann 27 Demokratien, manche davon noch dazu in ein System von „Checks and Balances" zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften verästelt, nicht per Ukas aus Brüssel führen. Die Gipfeltreffen dienten in der Geschichte der europäischen Einigung vielmehr dazu, Grundsatzentscheidungen zu treffen. Die Details ihrer Umsetzung hingegen sind von den zuständigen Fachministern zu klären.

Doch mit dem Vertrag von Lissabon hat man 2009 eine Illusion geschaffen: Die Chefebene entscheidet alles. Die demokratische Kontrolle dieser Gipfelbeschlüsse kam zu kurz - und das fällt den Chefs ein ums andere Mal auf den Kopf. Angela Merkel kann ein bitteres Lied davon singen: Mal um Mal muss sie sich vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhören, dass sie den Bundestag nicht ausreichend, nicht früh genug in die Entscheidungen zur Euro-Rettung eingebunden hat. „Seit zwei Jahren erleben wir ein ums andere Mal, wie unter enormem Druck und Zwang Entscheidungen getroffen werden mussten. Dafür haben Sie meinen Respekt", sagte am Donnerstag Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments, in seiner Aussprache mit den Regierungschefs und Van Rompuy. „Sie bitte ich aber auch um Verständnis dafür, dass ich es nicht hinnehmen kann, dass immer mehr Entscheidungen in parlamentsfreien Zonen getroffen werden. Der Notfall wird zur Regel erklärt."

Haben die Chefs die Signale gehört? Ihre Ideensammlung, die von einer Bankenunion ebenso spricht wie von einer Fiskalunion, lässt Zweifel angebracht erscheinen. Dieses Papier verweist in dürren Worten auf die Wohlverhaltensregeln für die Information der nationalen Parlamente und des Europaparlaments, die schon jetzt im ersten Protokoll zu den EU-Verträgen normiert sind. Viel ist da von „Unterrichtung" und „Zusammenarbeit" die Rede. Das Wort „Verantwortung" hingegen sucht man vergebens.

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