EU-Gipfel: Krisenländer kommen leichter zu Geld

EUGipfel Krisenlaender kommen leichter
EUGipfel Krisenlaender kommen leichter(c) Reuters (Francois Lenoir)
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Die deutsche Kanzlerin Merkel gibt nach. Italien und Spanien können leichter auf den Euro-Rettungsfonds zugreifen - ohne Auflagen erfüllen zu müssen.

Durchbruch nach einem 13 Stunden langen Nervenkrieg: Auf Druck Italiens und Spaniens hat der EU-Gipfel am Freitag in Brüssel Nothilfen zur Stützung von Euro-Wackelkandidaten beschlossen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel lenkte nach hartem Ringen ein und kam den Krisenländern entgegen. Diese sollen künftig leichter auf den Euro-Rettungsfonds zugreifen können - und dabei weniger Auflagen erfüllen müssen. Der Rettungsfonds soll zudem Banken aus hochverschuldeten Ländern direkt Hilfen gewähren und damit deren Staatshaushalte entlasten. Im Gegenzug stimmten Spanien und Italien nach anfänglicher Blockade einem Konjunkturprogramm von 120 Millliarden Euro zu.

Die Einigung gelang nach einer turbulenten Nachtsitzung. Die unter Druck der Finanzmärkte stehenden Länder Spanien und Italien pokerten hoch. Die Kanzlerin kam ihren Widersachern, Italiens Premier Mario Monti und Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy, entgegen. In einem anderen Punkt blieb Merkel hart: Nach ihrem klaren Nein tauchen gemeinsame Anleihen (Eurobonds) nicht im Kommunique des Gipfels auf. Die Beschlüsse sollen von der Eurogruppe bis zum 9. Juli umgesetzt werden. Die Märkte reagierten auf die Schnellmaßnahmen positiv: Die Zinsen an den Anleihemärkten gingen in der Früh deutlich zurück, die Börsen waren weltweit im Plus und auch der Euro profitierte. Zeitweise stieg die Gemeinschaftswährung wieder über die Marke von 1,26 Dollar.

"Sind unserer Philosophie treu geblieben"

Die Bundeskanzlerin verteidigte die Beschlüsse: "Wir sind unserer Philosophie, keine Leistung ohne Gegenleistung, treu geblieben", sagte Merkel am Freitag bei der Ankunft zur zweiten Gipfelrunde. "Insofern bleiben wir also vollkommen in unserem bisherigen Schema: Leistung, Gegenleistung, Konditionalität und Kontrolle." Merkel muss am frühen Nachmittag nach Berlin zurückreisen, um an der Abstimmung zum Fiskalpakt und Rettungsfonds ESM im Bundestag teilzunehmen.

Laut Gipfelerklärung einigten sich die Regierungschefs darauf, die bestehenden Instrumente der Hilfsfonds EFSF und ESM "flexibel" zu nutzen, um die Staatsanleihenmärkte zu stabilisieren. Italien und Spanien leiden derzeit unter hohen Zinsen und haben akute Schwierigkeiten, sich frisches Geld an den Märkten zu besorgen. "Wir bekräftigen, dass es von ausschlaggebender Bedeutung ist, den Teufelskreis zwischen Banken und Staatsanleihen zu durchbrechen," heißt es in der Erklärung.

ESM kann Banken direkt unterstützen

Länder mit guter Haushaltsführung können vom Sommer an - ohne zusätzliche Sparprogramme - Unterstützung aus den Rettungsschirmen EFSF und ESM erhalten, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Sie müssen dafür lediglich den Haushaltsempfehlungen der EU-Kommission folgen. Details sollen die Euro-Finanzminister bei ihrem nächsten Treffen am 9. Juli festlegen.

Der Krisenfonds ESM soll Banken künftig direkt unterstützen dürfen. Bisher war das laut ESM-Vertrag nicht möglich, sondern das Geld sollte an die Regierung des jeweiligen Landes überwiesen werden. Das würde die Schulden der Staaten erhöhen, weswegen Italien und Spanien dagegen protestiert hatten.

Einheitliche Bankenaufsicht

Voraussetzung dafür ist aber laut Erklärung, dass vorher eine einheitliche Bankenaufsicht in der Euro-Zone geschaffen wird, bei der die Europäische Zentralbank (EZB) eine zentrale Rolle spielen soll. Merkel sprach von einer "Superaufsichtsbehörde" für Europas Banken. In einem zweiten Schritt soll dann dem Rettungsfonds EFSF erlaubt werden, angeschlagene Banken direkt mit Kapital zu versorgen, wie Van Rompuy sagte. Allerdings setzt dies eine Vereinbarung mit dem betreffenden Land und "angemessene Konditionen" voraus.

Im Falle Spaniens, das um Unterstützung aus den Euro-Rettungsfonds gebeten hat, wurde vereinbart, dass die Hilfen zwar beim EFSF beantragt, dann aber in den geplanten dauerhaften Rettungsschirm ESM überführt werden sollen. Dieser verzichtet auf seinen bevorzugten Gläubigerstatus, der nach Ansicht der spanischen Regierung das Interesse an Staatsanleihen der viertgrößten Euro-Volkswirtschaft hätte sinken lassen. Die Eurozone werde sich auch das irische Sanierungsprogramm nochmals anschauen und andere Fälle ähnlich behandeln, kündigte Van Rompuy an. Neue Instrumente würden dabei nicht geschaffen, wurde in deutschen Regierungskreisen betont. "Es bleibt bei dem Prinzip Kontrolle vor Haftung", hieß es.

Italien erreicht Entgegenkommen

Italien hat in einem anderen Punkt ein Entgegenkommen erreicht: Staaten, die die vereinbarten Regeln zu Schulden und Budget einhielten, würden nicht von der Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) kontrolliert, wenn sie finanzielle Hilfen eines Rettungsschirms in Anspruch nähmen, sagte Regierungschef Mario Monti. Vereinbart wurde, dass in diesen Fällen die betroffenen Länder die Länderempfehlungen der EU-Kommission verbindlich umsetzen müssen. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone habe derzeit aber keine Absicht, eine solche Hilfe zu beantragen, betonte Monti.

Mit der Einigung in der Eurogruppe ist auch der Weg für die endgültige Verabschiedung eines EU-Wachstumspakets frei, mit dem 120 Milliarden Euro an Investitionen mobilisiert werden sollen. Italien und Spanien hatten ihre Zusage am Donnerstag noch verweigert, solange sie keine Hilfe erhalten. Spanische und italienische Diplomaten hatten nach der Blockade betont, dass ihre Länder die Wachstumsmaßnahmen keinesfalls ablehnten. Sie forderten jedoch eine Einigung auf weitere Schritte, die ihnen in der Staatsschuldenkrise unmittelbar helfen. Die hohen Zinsen, die Italien und Spanien derzeit für neue Schulden zahlen müssen, gelten als nicht lange tragbar.

Merkel lobt Beschlüsse

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte Freitag früh die Beschlüsse und sprach von "guten Entscheidungen" des Euro- und EU-Gipfels. Dies betreffe insbesondere das Wachstum und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie zukünftige Maßnahmen im Rahmen von EFSF und ESM. "Wir werden weiterarbeiten bei den langfristigen Maßnahmen", so Merkel. Damit sollte der Gipfel zu einem "guten Abschluss" gebracht werden.

Auch Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker begrüßte den Kompromiss. Dieser gehe nicht so weit, wie er gewollt - aber weiter, als er erwartet habe. "Frau Merkel war nicht isoliert, in der Vergangenheit nicht, und sie ist auch jetzt nicht isoliert", betonte er. "Wenn wir eine kohärente Erklärung der Beschlüsse abgeben, bin ich sicher, dass dies die Märkte beruhigen wird."

"Basis für gemeinschaftliche Anleihen"

Der italienische Ministerpräsident Monti betonte, dass nun der Weg frei sei für spätere gemeinschaftliche Anleihen in der Eurozone. Die Währungsgemeinschaft habe mit ihren nächtlichen Beschlüssen dafür die Basis gelegt, sagte der Italiener, der auf Entlastungen für den Schuldendienst seines angeschlagenen Landes gedrängt hatte.

EU-Gipfelchef Van Rompuy hatte zuvor das Programm des zweitägigen Spitzentreffens komplett umgekrempelt. Er setzte die Krisensitzung der 17 Eurostaaten in der Nacht an; ursprünglich wollten sich die "Chefs" der Euroländer erst Freitagmittag zusammensetzen.

USA fordert weitere Schritte

Die USA haben die Beschlüsse des EU-Gipfels zur Stabilisierung der Euro-Zone begrüßt, aber zugleich auch weitere Schritte zur Eindämmung der Schuldenkrise gefordert. Die Probleme in Europa könnten nicht über Nacht gelöst werden, sagte ein Sprecher von US-Präsident Barack Obama am Freitag mit Blick auf den nächtlichen Verhandlungsmarathon in Brüssel. Nach den Beschlüssen des EU-Gipfels gebe es noch viele Details, die geklärt werden müssten. Die Euro-Zone müsse daher weitere Schritte unternehmen, um die Region zu stabilisieren.

(APA)

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