Nie war die Welt demokratischer. Und die Verflechtungen der Weltwirtschaft bewirken, dass es immer weniger Kriege gibt.
Wenn nichts dazwischen kommt, legt Mohammed Mursi heute, Samstag, vor dem Obersten Gericht seinen Amtseid als neuer Präsident Ägyptens ab. Was nach einem technischen Routinetermin klingt, ist der bisher deutlichste Ausdruck des gewaltigen Umbruchs, der im Land am Nil trotz mancher Rückschläge seit eineinhalb Jahren im Gange ist: Mursi ist der erste demokratisch gewählte Staatschef seines Landes.
Kaum jemand hätte Ende 2010 darauf gewettet, dass die Ära der Diktaturen im Nahen Osten sich dem Ende zuneigt. Und doch hat das Virus der Volksherrschaft nun auch diese lange als demokratieresistent punzierte Weltregion infiziert. Freilich: Der Weg wird noch mühsam und vielfach blutig sein (siehe Syrien), doch ein Anfang ist gemacht. In Tunesien und Ägypten fanden erstmals freie Wahlen statt, in Libyen soll es bald soweit sein.
Die Presse will mit dieser Sonderausgabe einmal bewusst im Positivem tun, was wir immer unbewusst im Negativem tun: das andere ausblenden.
>>> Zum KommentarEs ist eine dritte große Welle der Demokratisierungen, nach dem – ebenfalls langwierigen und oft schmerzhaften – Ende der Kolonialherrschaften und den Umbrüchen in Osteuropa ab 1989. Abseits dieser großen Wellen liegen kleine Erfolgsgeschichten wie die Türkei, in der der Einfluss des Militärs massiv zurückgestutzt wurde. Oder Indonesien, das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt, das nach dem Ende der Suharto-Diktatur eine demokratische Erfolgsgeschichte wurde. 60 Prozent der Staaten sind nach den strengen Kriterien der US-amerikanischen NGO „freedom house“ heute als vollwertige Demokratien einzustufen.
1900 gab es keine einzige Demokratie
Was für ein Unterschied zu 1900, als die Welt noch einfach und übersichtlich war: Damals konnte man kein einziges Land nach heutigem Verständnis Demokratie nennen. Auch wenn es vielerorts gewählte Parlamente gab, so waren die Einschränkungen des Wahlrechts – und der Rechte der Volksvertreter – doch zu groß. Die wichtigste Einschränkung: das Wahlrecht für Frauen. Australien sollte 1902 der erste Staat werden, der Frauen erlaubte, nicht nur zu wählen, sondern auch gewählt zu werden. Finnland zog als erster europäischer Staat 1906 nach, die bedächtigere Schweiz ließ sich bis 1971 Zeit.
Demokratie ist ein Wert an sich, schafft aber auch Mehrwert: nach der „Theorie des demokratischen Friedens“ etwa den, dass Staaten mit dieser Staatsform kaum Krieg gegeneinander führen. Was nicht heißt, dass sie nicht gegen andere Staaten Krieg führen.
Demokratie ist freilich nicht der einzige Faktor, der dazu führte, dass die Zahl internationaler Konflikte seit den 50er-Jahren von durchschnittlich 6,5 pro Jahr auf weniger als einen gefallen ist, wie der „Human Security Report“ vorrechnet. Eine wesentliche Ursache ist auch die immer engere Verflechtung der Volkswirtschaften durch Handel. Ein dritter Punkt ist, dass Krieg schlicht immer weniger als normal akzeptiert wird, als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Und wenn es doch einmal passiert, gibt es mittlerweile eine internationale Strafgerichtsbarkeit, die sich um Exzesse kümmert. Sie macht auch vor höchsten Repräsentanten nicht halt: Vor Kurzem wurde Liberias Ex-Machthaber Charles Taylor von einem UN-Sondergericht zu 50 Jahren Haft für seine Verwicklung in den Bürgerkrieg in Sierra Leone verurteilt. Und mit Sudans Omar al-Bashir wird seit 2009 sogar ein amtierender Staatschef per Haftbefehl gesucht.
Überraschend ist, dass auch die Zahl der Bürgerkriege zurückging. Diese langfristige Entwicklung kann – ebenso wie der kurzfristige Anstieg Anfang der 90er – dem Ende des Kalten Kriegs zugeschrieben werden: Wo es keine verfeindeten Blöcke mehr gab, brauchte es auch keine Stellvertreterkonflikte wie in Angola oder Moçambique mehr.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2012)