Hotelseife, Sonne, Liebe: Der Urlaub hat viele Klischees

Hotelseife Sonne Liebe Urlaub
Hotelseife Sonne Liebe Urlaub(c) APA (Helmut Fohringer)
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Individuell oder in der Gruppe reisen? Essen wie die Einheimischen – oder doch lieber Schnitzel und Pizza vom Buffet? Wie man es auch macht, die Gefahr ist sehr groß, genau damit ein Klischee zu erfüllen.

Der Sonnenuntergang auf der Klippe, mit Delfinen durch das azurblaue Wasser schwimmen und unter den Blättern einer Kokospalme in der Hängematte vor sich hindösen. Die Erwartungshaltung vor einem Urlaub ähnelt der vor Weihnachten. Aber während jeder weiß, dass man sich am 24.Dezember nicht erholt, steht der Urlaub unter Erfolgsdruck: Entspannung, Unterhaltung, Abenteuer, den Horizont erweitern, besser aussehen...

Schließlich werden in keiner Branche mit derart viel PR Erwartungen geweckt wie im Tourismus. Die Hochglanzprospekte im Reisebüro schaffen es sogar, die abgewracktesten Gegenden der Welt mit euphemistischen Formulierungen als lustvolle Reiseziele darzustellen. Viele Reiseberichte in Medien klingen wie Werbung. Da wird etwa ein Hotel wegen seiner „wildromantischen Lage“ gelobt – heißt also Pampa. Das „authentische landwirtschaftliche Zentrum“ der Insel bedeutet Lagerhausatmosphäre. Kurze Transferzeit zum Flughafen entpuppt sich als Hotel direkt in der Einflugschneise. Und ein riesiges Fabrikareal neben der Ferienanlage wird da als „Industrial Chic“ angepriesen.


No-Go-Guide. Umgekehrt kam bisher noch niemand auf die Idee, einen Führer zu schreiben, in dem vor Gebieten gewarnt wird, in denen Urlaubsfreude mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit nicht zu bekommen sein wird. Ein No-Go-Guide, der dabei hilft, auf der Suche nach Erholung Enttäuschungen zu vermeiden. Und nein, die Reisewarnungen des Außenministeriums reichen dafür nicht aus.

Postkarten, Jetlag und Ladekabel

Klischees. Der Höhepunkt eines Urlaubs muss die Anreise sein – zumindest wirkt das im Nachhinein meist so, schließlich wird darüber am meisten erzählt. Von den endlosen Stunden im Stau, dem mühsamen Warten auf den Anschlussflug bis zum Taxifahrer, der die vom Jetlag ermüdeten Reisenden mitten in der Wildnis absetzt. Der Rest der Erzählung erschöpft sich meist in Worthülsen à la „auch sehr schön, auch sehr heiß“. Häufig wird auch davon berichtet, dass die Postkarten erst Wochen nach dem Urlauber selbst daheim ankommen – im besten Fall hat man sie kurz vor dem Abflug noch am Flughafen geschrieben, im weniger guten Fall hat man sie erst nach der Reise mit einer heimischen Briefmarke versehen. Aber wer schreibt heute eigentlich noch Ansichtskarten? Man ist ohnehin ständig miteinander in Kontakt – die hohe Rechnung für Roaming und SMS aus dem Ausland ist ein weiteres Thema, über das nach dem Urlaub besonders gerne geredet wird. So wie auch über ein weiteres Urlaubsphänomen – dass nämlich der Koffer voll ist mit iPad, Laptop, E-Book-Reader und Handy. Nur die Ladekabel sind zu Hause geblieben. eko

Jaja, immer nur auf eigene Faust

Individualreisen. Pauschalurlauber sind Konsumenten, Individualreisende sind Macher. In dieser Logik verwundert es nicht, dass die Lonely-Planet-Jünger gar nicht mehr davon sprechen, ein bestimmtes Land zu bereisen – sie „machen“ es. Die Zahl der Weltgegenden und Länder, die man schon „gemacht“ hat, entscheidet dann auch über den Status des Individualreisenden, wenn er mit weiteren Vertretern seiner Spezies spricht. Überraschenderweise hat man einander dabei kaum Neues zu erzählen, sondern kann höchstens debattieren, wie weit die Realität der Beschreibung im Lonely Planet entsprochen hat. Immerhin, wenigstens redet man mit jemandem, denn das gehört dazu. „Where are you from“ ist die Standardfrage, mit der ein Gespräch zwischen Individualreisenden angebahnt wird. Es folgen der Abgleich der Reiserouten und die gemeinsame Feststellung, wie freundlich alle Menschen hier seien. Einen Lonely-Planet-Jünger erkennt man übrigens auch daran, dass er nie das standardisierte Weltbier aus Holland trinken würde – es muss immer das lokale Gebräu sein. Dazu kommt seine Uniform, nämlich weite Leinenhose, Batik-T-Shirt und Sandalen. Auf diese Art lernen Individualreisende also fremde Länder von innen kennen – die Einheimischen lächeln auch nur ein bisschen über sie. eko

Tomatensaft und der Sex in der Kabine

Fliegen. Flugreisen sind streng ritualisiert. Das beginnt bei der Anfahrt auf den Flughafen. Das Taxi kostet immer viel, heute so viel wie früher die Billigtickets. Zu früh kommt man immer, obwohl der genaue Zeitpunkt des idealen Eincheckens stundenlang diskutiert oder überlegt wurde. Umsonst. Den echten geschulten Businessreisenden erkennt man eben nicht am lässig-gelangweilten, sondern am gehetzten Blick: Denn nur in allerletzter Minute funktioniert das ideale Zeitmanagement auf Flughäfen. Warten, stundenlanges Wandern durch endlose Gates und das Testen aufdringlicher Parfums sind die eigentlichen Hauptbeschäftigungen in diesen Monstereinrichtungen. Einmal an Bord rafft man alle Zeitungen, derer man habhaft werden kann, und wartet auf den nächsten Anachronismus: die Verpflegung. Während kein vernünftiger Mensch auf die Idee käme, dass während einer eineinhalbstündigen Autofahrt unbedingt gegessen werden muss, wollen im Flugzeug auch auf der Kürzeststrecke alle Verpflegung. Warum auch noch zwei bis vier Menschen, sogenannte Flugbegleiter, bezahlt werden, um Saft, Bier und andere Getränke zu verteilen, die man sich hätte mitnehmen können, ist ebenso ein Mirakel wie die Tradition, Tomatensaft zu trinken. Auf dem Flug nach London reißt man selten einen Jetlag auf. (Auch den verhindert der rote Saft nicht.) Apropos aufreißen: Aus unerfindlichen Gründen gehört die Sex-an-Bord-Nummer zum ständigen Repertoire aller juvenilen Sex-Fantasien. Dabei kommt es de facto nie vor – und wenn, verletzt sich jemand dabei oder die USA lösen nationalen Terroralarm aus.

Einmal angekommen gibt es nur zwei Typen: Die, die schon während des Landeanflugs ihre sieben Trolleys packen und beim Ausgang warten, und die anderen, die noch eine halbe Stunde nach Eintreffen der Putzkolonne stoisch in den Sitzen bleiben, um zu beweisen, dass sie sich nicht hetzen lassen. Bei der Ankunft gibt es dann das kurze Gefühl, Flugzeuge wären kein normales Verkehrsmittel – bei all den herzzerreißenden Abschieds- und Begrüßungsszenen könnte man meinen, eines der alten Einwandererschiffe würde gerade ein- oder auslaufen. no

Von wegen Urlaub, Streit und Kinder

Beziehungsgeflecht. Pünktlich zu Ferienbeginn werden auch die üblichen verdächtigen Psychologen und Sozialwissenschaftler um Wortspenden bemüht. Gerade am Urlaubsort würden im Alltag verdrängte Konflikte aufbrechen und Beziehungsprobleme sichtbar werden. Juli und August seien quasi die Hochsaison für Beziehungskrisen. Das ist natürlich Schwachsinn. Ist der Urlaub aufgrund falscher Landes-, Strand- oder Hotelwahl eine Katastrophe, streiten auch die glücklichsten Paare. Stau, kotzende Kinder, betrügerisches Servicepersonal oder die gescheiterte englische Fußball-EM-Mannschaft im Nachbarzimmer und kein Mensch will mehr Sex während des Sonnenuntergangs.

Ist alles günstig und edel zugleich, beginnt der Apéro bereits zu Mittag und spielen die Kinder begeistert in der dazugehörigen Betreuung, lieben sich auch Paare, auf die zu Hause ihre langjährigen Affären warten. Zugegeben: Väter, die ihre Kinder sonst nur noch aus den Erzählungen der Mutter kennen und ausgerechnet für die Ferien eine erzieherische Sympathie-Offensive beim Nachwuchs geplant hatten, scheitern dem Vernehmen nach regelmäßig und lassen ihrem Frust dann mitunter freien Lauf. Ach ja: Ferienlieben sind ohnehin immer nur Illusionen. Aber oft ganz schöne. no

Strand, Schutz und Faktor

Strand. Man kann die jeweilige Sprache jahrelang mit Einheimischen – Natives, wie wir Sprachschüler gern schreiben – bis zur Vollkommenheit lernen. Man kann trainieren wie Johnny Weissmüller oder tief vorgebräunt die Oktopusse aus der offenen See fischen. Doch am Strand wird jeder Kontinentaleuropa- oder Nordtourist sofort enttarnt. Es ist ganz einfach: Wer zwischen zwölf und 15 Uhr am Strand ist, ist kein Italiener, Grieche oder Spanier, sondern Deutscher, Holländer oder Brite. Nicht ganz deutlich, aber gut erkennbar ist die Herkunft auch an der Strandbenützung: Wer bis zu den Knien locker im Wasser spaziert, mit anderen Strandpassanten plaudert und plaudert, ist echter Club-Med-Bürger. Wer nach stundenlanger Direktbesonnung vor dem Hitzschlag ins Wasser torkelt, tendenziell eher nicht. Wer in einer Runde – und noch besser, mit der Großfamilie – unter den Schirmchen isst, trinkt und lacht, gehört dazu. Wer schweigsam in alten Thomas-Bernhard-Stücken blättert und dabei Schutzfaktor 28 schmiert, nicht. Wobei ohnehin gilt: Wirklich Sinn haben oberitalienische Strände nur, wenn man Sandspielzeug-Kinder hat, sonst empfiehlt sich ein edler Felsen. Auf diesem Hintergrund wirkt man leichter gebräunt, man wird nicht so leicht schmutzig, und man schaut individueller aus. Sogar in Kroatien. no

Mit Pizza und Pasta durch Südostasien

Essen. Die Ernährung sagt viel über den Urlauber aus. Italiener mögen sich zum Beispiel im kulinarischen Schlaraffenland Südostasiens befinden – sie werden doch so lange suchen, bis sie irgendwo Pizza und Pasta auftreiben können. Das ist kein Klischee, das ist wirklich so. Dass Briten ihre Teller am All-you-can-eat-Buffet so voll laden, dass beim Rückweg auf den Platz die Hälfte wieder zu Boden fällt, ist indes nicht ganz richtig – das machen Österreicher und Deutsche nämlich genauso. Immerhin, der eine oder andere wird dabei zumindest den Versuch wagen, etwas Landesspezifisches zu kosten – keine Angst, das Essen in großen Hotels und Clubs hat mit echter regionaler Küche ohnehin nichts zu tun. Sollte sich dann doch einmal die Gelegenheit ergeben, etwa in einer kleinen Garküche das zu probieren, was auch die Einheimischen essen, läuft es auch immer gleich ab. Einer bestellt, alle schnüffeln interessiert daran, probieren einen kleinen Bissen – und einigen sich darauf, dass es hier wirklich sehr interessante Sachen zu essen gibt. „Aber für uns ist das nichts.“ Wahrscheinlich müsse man sich halt daran gewöhnen. Gibt es hier eigentlich auch irgendwo Schnitzel? eko

Her mit der entgangenen Urlaubsfreude

Beschwerde. Es gibt Zeitgenossen, für die der Urlaub in detektivischer Kleinstarbeit besteht. Gesucht wird jedes auch noch so kleine Indiz, das man daheim unter dem Schlagwort „entgangene Urlaubsfreude“ nachträglich zu einem Rabatt ummünzen kann. Da wird ein nicht ausgeleerter Mistkübel vor dem Hotel fotografiert, werden die nächtlichen Geräusche aus dem Nachbarzimmer aufgenommen und die Entfernung vom Hotel zum Strand zentimetergenau vermessen – und wehe, der Weg ist auch nur um einen Meter länger als im Reiseprospekt beschrieben. Der Erholungseffekt tritt erst nach dem Urlaub ein, wenn die Minirückzahlung vom Reisebüro aufs Konto kommt. Schön war er, der Urlaub. eko

Und nicht die Duschhaube vergessen

Hotel. Es soll tatsächlich noch Menschen geben, die die kostenlosen Miniplastikduschgels, Duschhauben und Body Lotions mitnehmen und sammeln. Es soll auch noch Leute geben, die glauben, dass, wenn sie tatsächlich eine Woche dasselbe Hotelhandtuch verwenden, der ökologische Fußabdruck wieder kleiner wird, den Hinflug- und Rückflug geschaffen haben. Dabei will nur der Hotelier sparen.

Ob Minibar oder Zimmerservice: Genutzt werden sie nur in Ausnahmesituationen, aber missen will man sie auch nicht. 90 Kabelkanäle oder das Spa im Keller neben der Garage wären nicht so wichtig wie eine gute Matratze – es gibt sie dennoch nie. Und kaum etwas ist trauriger als Buffets. Außer vielleicht die hinterlassenen zerlesenen Exemplare der „Hotelbibliothek“. no

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2012)

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