Ednan Aslan: "Muslime brauchen gewisse Impulse"

(c) Clemens Fabry
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Rund um die Feierlichkeiten zu "100 Jahre Islamgesetz" zieht Religionspädagoge Ednan Aslan kritische Bilanz. Er vermisst vor allem eine österreichische Prägung des Islam.

Die Presse: 100 Jahre Islam in Österreich – ist das ein Grund zum Feiern, oder sehen Sie dafür keinen Grund?

Ednan Aslan: Wir sollten uns freuen, dass wir so ein Gesetz haben, das ist eine Chance, ein Vorbild für Europa. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber kritisch damit auseinandersetzen, was die Muslime in diesen 100 Jahren, oder eigentlich seit der Gründung der Islamischen Glaubensgemeinschaft 1979, geleistet haben.

Und was haben die Muslime erreicht?

Es gibt islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und Ausbildungsstätten für die Lehrer, das ist teilweise auch eine Leistung der Glaubensgemeinschaft. Aber was ist inhaltlich gelungen? Konnte man den Islam europäisch, österreichisch prägen? Die Muslime müssen in diesen Bereich noch hineinwachsen und sich dieser Anforderung stellen.

Aber es gibt doch islamische Einrichtungen, an denen auch Inhalte gelehrt und entwickelt werden.

Wir haben zwar einen privaten Studiengang für die Lehrerausbildung, aber eine kontextorientierte Religionspädagogik und eine Korandidaktik haben sich noch nicht entwickelt. Wir unterrichten den Koran sehr traditionsorientiert, ohne ihn in unserem europäischen Kontext neu zu reflektieren.

Das heißt, dass der Religionsunterricht nach traditionellen Mustern abläuft.

Wenn ich Koranunterricht sage, meine ich eher die Moscheen. An den öffentlichen Schulen haben wir auch das Problem, dass wir immer noch nicht genug qualifiziertes Lehrpersonal haben.

Wer genau ist da gefordert?

Die Islamische Glaubensgemeinschaft muss ihre Führungsrolle wahrnehmen und Akzente setzen, wie man eine Gemeinde im europäischen Kontext gestalten kann. Das ist auch eine Chance, dass wir islamische Verbände, die sehr heimat- und herkunftslandorientiert arbeiten, etwas beheimaten.

Haben Sie das Gefühl, dass die IGGiÖ da etwas unternimmt?

Ich sehe Bemühungen, dass man etwas erneuern möchte. Diese Reform hängt aber davon ab, wie weit die IGGiÖ sich vom Einfluss der Verbände befreien kann.

Macht das Präsident Fuat Sanac?

Er versucht es. Man sieht ja, dass viele Organisationen diesen Wandel zu spüren bekommen, deshalb versucht man, ihn auch in der Öffentlichkeit zu diffamieren. Auf jeden Fall braucht Sanac seine Zeit, seine Chance. Es hängt sehr davon ab, ob er reformorientierte Kräfte gewinnen kann.

Vertritt die IGGiÖ einen modernen Islam?

Eine Religion kann natürlich den modernen Erwartungen einer säkularen Gesellschaft nicht entsprechen. Reformen können von Menschen getragen und gemacht werden, die IGGiÖ kann nur eine Infrastruktur schaffen, die fehlt noch. Wenn die IGGiÖ diese Ziele in dieser Periode nicht erreichen kann, wird man sich fragen, wozu man sie überhaupt braucht. Ist sie nur Handlanger für Verbände und Vereine? Eine Organisation, die nur Bescheinigungen ausstellt? Oder eine, die man wirklich für die Gemeindearbeit braucht?

Gerade in den einzelnen Moscheen hat die Glaubensgemeinschaft ja nicht besonders viel Einfluss.

Das ist die entscheidende Frage: Wer bestimmt die Inhalte? Es gibt keine Evaluation über Erfolge der Moscheen, wir wissen nicht, wie viele Kinder sie besuchen. Auch die Voraussetzungen für Gründungen fehlen – über Nacht können Sie eine Moschee gründen. Die Qualität einer solchen Einrichtung muss überprüft werden können. Wir haben auch jede Menge muslimische Kindergärten – wer evaluiert, was dort unterrichtet wird? Wer evaluiert die Privatschulen? Das ist nicht nur eine Aufgabe für den Stadtschulrat, sondern auch für die Glaubensgemeinschaft.

Gerade in der Ausbildung wird ja recht viel Hoffnung in die Frauen gesetzt, die Reformen bewirken können.

Es geht darum, dass die Frauen den Koran und Aussagen des Propheten aus ihrer Lebenswelt interpretieren. Wenn das einer Frau nicht gelingt, wird sie nur ihre traditionelle Rolle weitergeben. Das ist nicht Sinn und Zweck der weiblichen Prägung der islamischen Theologie.

In der IGGiÖ gibt es ja mittlerweile einige Frauen in wichtigen Positionen.

Die Erhöhung der Frauenanteile ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Befreiung der Frau. Es sind auch Frauen, die ihre traditionelle Position verteidigen. Wenn sie die gleiche Theologie vertreten wie Männer aus dem 7.Jahrhundert, haben Sie von diesen Frauen nicht viel. Manchmal sehe ich auch bei Jugendorganisationen junge Frauen, die sehr traditionelle Verhältnisse verteidigen. Es gibt viele Männer, die sich mehr als Frauen selbst für Frauenrechte einsetzen.

Auch in die Jugend wird viel Hoffnung gesetzt.

Viele junge Leute, die hier aufgewachsen sind, leisten gute Arbeit. Aber auch bei Jugendorganisationen werden Sie Personen begegnen, die nach außen hin ein Scheinbild abgeben, intern aber eine andere Theologie vertreten.

Ist es nicht demütigend, dass beim Dialogforum Islam nur mit einer einzigen Religionsgemeinschaft über Integration diskutiert werden muss?

Wenn wir einen lebendigen innerislamischen Diskurs hätten, brauchten wir das Dialogforum nicht. Der Diskurs im Bagdad des 9. und 10. Jahrhunderts war vielfältiger und liberaler als in der Gegenwart in Wien. Dementsprechend brauchen die Muslime gewisse Impulse von außen. Weil wir sie von innen noch nicht entwickeln können.

Zu Person

Der 1959 im türkischen Bayburt geborene Ednan Aslan promovierte 1996 über die „Religiöse Erziehung der muslimischen Kinder in Österreich und Deutschland“ und setzt sich heute als Universitätsprofessor am Institut für Bildungswissenschaft für einen Islam europäischer Prägung ein. Mehr ...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2012)

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