Syrien: "Islamisten nehmen immer mehr überhand"

werden Assad besiegen
werden Assad besiegen(c) AP (Anonymous)
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Die syrischen Aufständischen sind nah an die größte Stadt Aleppo herangerückt. Schon jetzt deutet sich bei den Rebellen ein Konflikt zwischen Säkularen und Religiösen an.

Ein ausgebrannter Panzer steht neben der Straße. Eine versteckte Bombe hat ihn in den Graben gewuchtet. In den Häuserwänden klaffen Löcher, die Granaten gerissen haben. Die Straßen sind mit riesigen Felsbrocken und Schutt versperrt. Vor zehn Tagen kontrollierten hier, in der Nähe von Hawar, noch reguläre Soldaten alle Fahrzeuge. Heute sind es die Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA), die die Wagen freundlich durchwinken. Siegessicher lachende junge Männer, die ihre Kalaschnikows neben den Motorrädern im Schatten der Bäume liegen haben. Die Rebellen stehen nur mehr zehn Kilometer vor Aleppo, der größten Stadt Syriens.

In Dana, etwa fünf Kilometer vom Grenzübergang Bab el-Hauwa entfernt, ist ein Kiosk auf dem Dorfplatz Treffpunkt und Tankstelle zugleich. Rebellen, sichtlich müde vom nächtlichen Kampfeinsatz, trinken Cola und tauschen Informationen und Geschichten aus. Ständig halten Fahrzeuge der FSA, die hier aufgetankt werden.

Hinter dem Kiosk stehen mehrere 200 Liter fassende Plastikbehälter. Benzin liefert das Regime in diese Gegend schon lange nicht mehr. Selbst in Aleppo ist es nur mehr auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Die FSA hat mehrere Ölpipelines gesprengt. Kilometerlang sind in Aleppo die Schlangen vor den Tankstellen. Bei bis zu 45 Grad legen sich die Fahrer oft unter ihre Wagen, wenn sie sonst keinen Schutz vor der Sonne finden.

In Dana ist man optimistisch: „Wir werden Assad besiegen“, erklärt Ahmed, ein junger Kämpfer. „Wir warten nur mehr auf Raketen, mit denen wir Hubschrauber abschießen können.“ In einigen Wochen sollen sie geliefert werden, meint der 24-Jährige zuversichtlich. Die Kampfhubschrauber der Armee sind für die FSA die größte Bedrohung. Sie verfügen über schwere Maschinengewehre und Raketen. Deshalb starten die Rebellen ihre Operationen in der Regel nie vor Sonnenuntergang. „Sobald sie uns sehen, eröffnen sie das Feuer“, erzählt Ahmed. „Im freien Gelände, wo es fast keinen Schutz gibt, ist das tödlich.“

Bereits 14.000 Todesopfer

Wie durch ein Wunder, meint sein Kompagnon Mohammed, sei sein Dorf noch nie beschossen worden: „Die Piloten müssen gute Menschen sein, heißt es bei uns schon“, meint er lächelnd. Sein Dorf mag Glück gehabt haben, andere Städte und Dörfer nicht. Sie wurden von der Armee beschossen und vielfach in Schutt und Asche gelegt. 14.000 Menschen, die meisten Zivilisten, sind in den vergangenen 16 Monaten umgekommen.

Katar und Saudiarabien kündigten zwar letzte Woche an, die Rebellen finanziell und mit Waffen zu unterstützen. „Wir müssen auf Hilfe aus dem Ausland nicht warten“, behauptet jedoch ein FSA-Offizier, der seinen Namen nicht nennen will: „Wir holen uns, was wir brauchen.“ Er meint wohl die Waffenlager der Armee, die die FSA kürzlich plündert. Für die Verbände in der Region Aleppo war die Eroberung eines Stützpunkts der Luftabwehr ein Volltreffer: Dort gab es alles, was ein Rebellenherz begehrt. Neben Gewehren und Munition auch Flugabwehrgeschütze sowie Panzerabwehrraketen, die man von der Schulter aus abschießt und die ihr Ziel selbst suchen.

Der Grenzübergang Bab El-Hauwa ist wie eine kleine isolierte Insel. Die Beamten arbeiten und wohnen dort gleichzeitig, ihren Arbeitsplatz verlassen könnten sie nur per Hubschrauber. 500 Meter vor dem Übergang ist eine Stellung der Armee mit einigen eingegrabenen Panzern, die letzte und einzige, die den Grenzposten vor einer möglichen Eroberung schützt. Geschäfte, Restaurants und Geldwechselstuben in der Nähe sind ausgebrannt, zerschossen, oder zerbombt. Jede Nacht greift die FSA die Truppen an.

Auf der türkischen Seite, in der Stadt Antakya, wird fieberhaft an der Organisation des bewaffneten Kampfes gegen das Regime gearbeitet: „Wir versuchen, möglichst viele neue Bataillone aufzustellen“, erklärt Mohammed Hamoudi, der eine 90 Mann starke Einheit in Lattakia anführt. Hamoudi ist Teil des inneren Zirkels und trifft regelmäßig den FSA-Chef Mustafa al-Scheich. 80 Prozent aller Kämpfer der Opposition, behauptet er, würden den Oberbefehl der FSA akzeptieren. Man sieht dem schmächtigen aber kräftigen Mann noch den Rest von Adrenalin an, der durch seine Adern pumpt: Hamoudi hat heute 5000 Schuss Munition über die Grenze gebracht.

Muslimbrüder bieten Geld

„So wie ich sind al-Scheich und der Rest der FSA-Führung überzeugte Säkulare, die Demokratie, freie Wahlen und eine Trennung von Staat und Religion wollen. Aber islamistische Kräfte nehmen mehr und mehr Überhand“. Der Feldkommandeur meint in erster Linie die Muslimbruderschaft. Sie dominiert bereits den zivilen Syrischen Nationalrat (SNC), der in Istanbul sitzt. „Nun wollen sie auch militärisch bestimmen“, sagt Hamoudi.

Auch ihm hätten sie schon große Summen angeboten, wenn er mit seinem Bataillon unter dem Banner der Muslimbruderschaft kämpfen würde. „Aber das kommt unter keinen Umständen in Frage“, meint der Rebellenführer sichtlich aufgebracht: „Ich war zweimal auf Pilgerfahrt in Mekka. Für mich ist es kein Widerspruch, wenn ich trotzdem Alkohol trinke. Aber diese Leute werden solche Freiheiten nicht zulassen.“

Auf einen Blick

Die Syrien-Konferenz in Genf erbrachte am Samstag zumindest eine Einigung auf Grundzüge eines politischen Übergangs in Syrien. Um die Zustimmung Russlands und Chinas zu erhalten, mussten der Westen und arabische Staaten, die einen Machtverzicht Assads fordern, Abstriche machen. Die syrische Opposition reagierte enttäuscht auf die Ergebnisse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2012)

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