Deutsche Professoren ziehen gegen "Finanzmonstrum" ESM zu Felde

Ökonomen, Juristen und Linkspartei klagen in Karlsruhe. Die Höchstrichter verhandeln am 10. Juli mündlich über die Eilanträge.

Berlin/Gau. Für Regierungssprecher Steffen Seibert hat seine Chefin tolle Arbeit geleistet: Kanzlerin Merkel habe in Brüssel wieder einmal „große Prinzipientreue und etwas Flexibilität“ gezeigt. Bei Wilhelm Hankel klingt das etwas anders: Der Rubikon sei längst überschritten, die Eurorettung führe zum ökonomischen Ruin. Den Rettungsschirm ESM sieht der Ökonom als „Finanzmonstrum“, durch das Steuergeld aus den noch intakten Volkswirtschaften Nordeuropas in die schwarzen Löcher südlicher Staatsbudgets und Bankbilanzen versickert.

Deshalb hat der Professor mit vier Kollegen Verfassungsklage gegen den ESM eingelegt, den Bundestag und Bundesrat Freitagabend mit Zweidrittelmehrheit beschlossen haben. Die Kläger sind zum Teil übliche Verdächtige, die schon die Einführung des Euro erfolglos bekämpft haben. Neu ist die politische Rückendeckung durch die Freien Wähler. Von Bayern ausgehend wollen sie mit Radikalkritik gegen die Euro-Rettungsmaßnahmen die Bundespolitik erobern. Hankel ist „froh“, dass es damit nicht wieder „Beifall aus der falschen Ecke“ gibt. Mit der falschen Ecke meint er die Linkspartei, die ebenfalls gegen ESM und Fiskalpakt klagt.

Die Regierung in Berlin gibt sich siegesgewiss. Karlsruhe will die Eilanträge am nächsten Dienstag verhandeln – mündlich, was in solchen Fällen unüblich ist. Für Merkel wäre ein negatives Urteil eines der größten denkbaren Debakel. Was aber wären die wirtschaftlichen Folgen? Hankel hält die „Horroszenarien“ für „empörend“. Er erwartet vielmehr ein „großes Aufatmen“, ja eine „Freuden-Hausse“, weil der Bevölkerung die Angst vor Überschuldung und Inflation genommen wird. Sein Mitstreiter Karl Albrecht Schachtschneider ist vorsichtiger. Der Staatsrechtler erwartet Probleme für einige Banken, die dann „national unterstützt“ werden müssten: „Schäden wären unvermeidlich. Aber noch viel größere Schäden könnten damit vermieden werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

ESMBeschluss Misstrauen Mahnwache
Politik

Vor ESM-Beschluss: Misstrauen und "Mahnwache"

Die Grünen sichern der Regierung die Zweidrittelmehrheit für den Euro-Rettungsschirm. Die FPÖ plant eine "Mahnwache" und einen Misstrauensantrag. Das BZÖ will über das "Teufelswerk" abstimmen lassen.
naechste gruene Hilfsaktion
Europa

ESM: Die nächste grüne Hilfsaktion

Die Grünen ringen der Regierung Zugeständnisse für ihr Ja zum Euro-Rettungsschirm ab. Es ist das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, dass die Oppositionspartei mit SPÖ und ÖVP "koaliert".
Innenpolitik

Warum Europas neuer Währungsfonds so umstritten ist

Mit dem ESM schafft die Eurozone eine Institution, die weitgehend intransparent und unkontrolliert arbeiten kann. Ein Überlblick.
Leitartikel

Grüner Koalitionspartner ohne Portefeuille

Ob Euro-Schutzschirm oder Transparenzregeln: Die Grünen springen brav ein, wenn SPÖ und ÖVP sie brauchen. Das könnte auch nach der Wahl passieren.
Budgetausschuss macht frei fuer
Innenpolitik

Budgetausschuss macht Weg frei für ESM

SP-Krainer: "Budgethoheit des Nationalrates bleibt umfassend gewahrt."

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.