Europaparlament kippt umstrittenes ACTA-Abkommen

Europaparlament kippt umstrittenes ACTAAbkommen
Europaparlament kippt umstrittenes ACTAAbkommenREUTERS/Lisi Niesner
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Mit einer großen Mehrheit haben die Abgeordneten dem Anti-Piraterie-Handelsvertrag eine deutliche Absage erteilt. Österreich hat ACTA bereits unterzeichnet, aber noch nicht umgesetzt.

Das Europaparlament hat das umstrittene internationale Anti-Piraterie-Handelsabkommen (Anti-Counterfeiting Trade Agreement/ACTA) mit klarer Mehrheit zu Fall gebracht. Bei der Abstimmung am Mittwoch in Straßburg votierten 478 Abgeordnete gegen das Abkommen und nur 39 dafür. Damit kann ACTA nicht mehr in Kraft treten, den die Zustimmung des EU-Parlaments wäre dafür eine notwendige Voraussetzung."Noch nie hat ein Vorschlag der EU-Kommission so wenig Zustimmung erhalten", sagte der zuständige Chefverhandler des EU-Parlaments, der britische Labour-Abgeordnete David Martin, in einer Pressekonferenz nach der Abstimmung.

Ein Antrag der Europäischen Volkspartei (EVP), bis zur Abstimmung noch die laufende Prüfung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) abzuwarten, erlangte keine Mehrheit. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefkovic betonte, die EU-Kommission wolle dennoch das Urteil des EU-Gerichts abwarten und dann genau prüfen, um dann "andere Schritte in Erwägung zu ziehen". ACTA sei bereits von fünf Ausschüssen des Europaparlaments "gekillt" worden und nur noch wegen "lebenserhaltender Maßnahmen" der EVP überhaupt da, sagte Martin.

Ganz vom Tisch ist das Thema damit nicht. Das Problem des Schutzes geistigen Eigentums "verschwindet nicht", erklärte Handelskommissar Karel De Gucht am Mittwoch nach dem Nein des Europaparlaments zum Abkommen. Abwarten will die Kommission die weitere politische Diskussion sowie ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu ACTA. "Wir werden dann mit unseren internationalen Partnern besprechen, wie wir bei dem Thema weitermachen", erklärte De Gucht. 

"Nein" nun auch von ACTA-Partnern?

Ob ACTA ohne die EU in Kraft tritt, ist nach den Worten von De Guchts Sprecher offen. "Offiziell kann es das", sagte er. Vertragsparteien sind neben der nun ausgeschiedenen EU zehn Staaten, darunter die USA und Japan. Fraglich sei aber, ob das Abkommen ohne die EU "von Wert ist", da die Union der weltgrößte Handelspartner sei, sagte der Sprecher.

Martin rechnet nicht damit, dass die übrigen Abkommens-Partner nun alle zustimmen. "Die Schweiz wird ACTA nun ebenfalls nicht absegnen, die haben auf unsere Meinung gewartet", sagte der Abgeordnete. Auch von Marokko erwartet Martin ein "Nein". Die Kommission müsse nun einen komplett neuen Vorschlag machen. "Wir können nicht da weitermachen, wo wir jetzt sind", sagte Martin,"wir müssen die Diskussion komplett neu beginnen". Es hätten viele Fehler vermieden werden können, wenn die Verhandlungen nicht von Beginn an hinter verschlossenen Türen geführt worden wären, meint der Abgeordete.

Auch Österreich legte Ratifizierung auf Eis

ACTA wurde von der EU, den USA, Australien, Kanada, Japan, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, Südkorea und der Schweiz ausgehandelt. Es sollte Produkt- und Markenpiraterie verhindern und weltweit den Schutz geistigen Eigentums verbessern, sowohl bei realen Gütern wie im Internet. Kritiker befürchten insbesondere eine Beschränkung der Freiheit im weltweiten Datennetz. In mehreren EU-Ländern hat es massive Proteste gegen ACTA gegeben. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission, die ACTA ausgehandelt hatte, den Europäischen Gerichtshof um eine Prüfung ersucht. Österreich und andere EU-Staaten haben den Prozess darauf auf Eis gelegt.

"Die falsche Lösung"

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz betonte, ACTA sei "die falsche Lösung, um geistiges Eigentum zu schützen". Die Debatte über das Abkommen habe gezeigt, dass eine grenzüberschreitende öffentliche europäische Meinung gebe.

Der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, begrüßte das Votum. "Zum ersten Mal hat das Parlament von den Möglichkeiten des Lissabon-Vertrages Gebrauch gemacht und ein internationales Handelsabkommen verworfen. Kommission und der Rat werden sich jetzt bewusst sein, dass sie das Parlament nicht übergehen können." SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried betonte: "Wir sind nicht gegen das Urheberrecht, vertreten aber die Ansicht, dass das angestrebte Ziel von ACTA nicht mit dem Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten in Einklang gebracht werden konnten. Es ging hier nicht um eine rechtliche Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs, sondern um die politische Entscheidung der Vertretung von 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in Europa." Die SPÖ-Europaabgeordnete Evelyn Regner forderte von der EU-Kommission "Initiativen für intelligente, moderne Lösungen wie das Urheberrecht im Internet geschützt werden kann".

ÖVP-Europaabgeordnete bedauert Beschluss

Die ÖVP-Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger bedauerte das Ergebnis. "Die heutige Ablehnung des ACTA-Abkommens wirft die EU im internationalen Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie um Jahre zurück", sagte sie. Der Europäische Gerichtshof hätte noch Antworten auf viele offene Fragen liefern können. "Wichtig ist, jetzt etwas Konstruktives gegen Produktpiraterie und Markenfälschung sowie für den Schutz des geistigen Eigentums voranzubringen. Europas Stärke in der Welt ist unser Know-how, deshalb müssen wir es international schützen können." Produktpiraterie würde der europäischen Wirtschaft Schaden in Milliardenhöhe zufügen und eine Vielzahl an Arbeitsplätzen bedrohen.

"Dieses Abkommen hat nur dem Anschein nach etwas mit dem Schutz des Urheberrechts und der Bekämpfung von Marken- und Produktpiraterie zu tun. Tatsächlich geht es um die Überwachung des Internets, die bis hin zur Kriminalisierung von Nutzern führen kann", kritisierte der freiheitliche Delegationsleiter Andreas Mölzer. "Die Mehrheit gegen ACTA ist zu 90 Prozent der Erfolg der Zivilgesellschaft. Erst die europaweiten Proteste im Februar erzeugten den Meinungsumschwung im EU-Parlament", sagte der fraktionslose EU-Abgeordnete Martin Ehrenhauser.

Grüne prangern Intransparenz an

"Dieses eindeutige Votum ist ein wichtiges demokratisches Signal gegen ein Abkommen, das durch intransparente Verhandlungen zustande gekommen ist. Die schwammigen Formulierungen des Vertragstextes hätten eine ständige Überwachung der Bürgerinnen durch den Staat sowie durch private Internetprovider ohne richterliche Kontrolle möglich gemacht", reagierte die grüne Europaabgeordnete Eva Lichtenberger. Marco Schreuder, netzpolitischen Sprecher der Grünen, sieht die breite Ablehnung auch als klaren Arbeitsauftrag an die Europäische Kommission: "So darf ein internationaler Vertrag nie wieder ausgehandelt werden. Ohne Veröffentlichungen, ohne Transparenz, ohne KonsumentenschützerInnen, ohne Netz-NGOs, ohne DatenschützerInnen, ohne Ärzte ohne Grenzen, nur mit einer Interessenvertretung, das darf nie wieder passieren."

Die Europäische Kreativwirtschaft sieht eine "verpasste Gelegenheit" in der heutigen Abstimmung des Europäischen Parlaments. "Europas innovatives, produzierendes und kreatives Gewerbe" betrachtet die Entscheidung "als schädigend für den Schutz Europas geistigen Eigentums, Arbeitsplätze und Wirtschaft", hieß es in einer gemeinsamen Aussendung von 130 Handelsverbänden der Branche.

Begrüßt wurde die Entscheidung des EU-Parlaments dagegen von der Wiener Arbeiterkammer: Das Aus für ACTA mache den Weg frei für ein modernes Urheberrecht, das den "Bedürfnissen und Interessen der User gerecht" wird, hieß es in einer Aussendung. "Mit ACTA wäre ein Teil des alten Urheberrechts weiter einzementiert worden."

(APA/sg)

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