ESM im Parlament: „Teufelswerk“ und Österreichs Beitrag

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Mit grüner Unterstützung beschließt die Regierung den Europäischen Stabilitätsmechanismus. FPÖ und BZÖ protestieren vergeblich. Der umstrittene Buchautor Thilo Sarrazin hört zu.

Wien. Wie sich die Zeiten ändern. Werner Faymann, der Europäer? Entweder inszeniert sich der Kanzler neuerdings nur als solcher, oder es ist tatsächlich einer aus ihm geworden. Vergessen scheinen die Tage, an denen Faymann der EU mit reichlich Skepsis begegnet ist und das 2008 in einem Brief an (den mittlerweile verstorbenen) „Kronen Zeitung“-Chef Hans Dichand auch öffentlich kundtat.

In der Nationalratssitzung am Mittwoch tadelt Faymann die Europa-Skeptiker in den Reihen von FPÖ und BZÖ, ungewohnt scharf, ungewohnt emotional, als hätte er über Nacht seine leidenschaftliche Seite entdeckt. „Wer Spaß an der Apokalypse hat, trägt nichts Konstruktives in diesem Land bei“, wettert der Kanzler und fuchtelt wild um sich. „Das haben sich Österreich und Europa nicht verdient.“

Es ist ein Plädoyer für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), den die Regierung später mit Unterstützung der Grünen (es braucht eine Zweidrittelmehrheit) Gesetz wird werden lassen. Der ESM, ein permanenter Euro-Rettungsschirm, soll Krisenstaaten wie Griechenland vor dem Finanzkollaps bewahren. 2,2 Milliarden Euro zahlt Österreich direkt in den ESM ein, für 19,5 Milliarden Euro übernimmt es Haftungen. Gäbe es nicht Widerstand in zahlreichen EU-Staaten – das Instrument wäre schon mit Juli wirksam geworden.

„Abschaffung der Republik“

Im österreichischen Fall ist der Widerstand zwecklos, aber ungebrochen. Noch vor der Rede des Kanzlers strengen FPÖ und BZÖ eine Einwendungsdebatte an, um die Beschlüsse zum ESM und, später, zum Fiskalpakt zu verhindern. Die Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm käme „einem Verfassungsputsch, einer Abschaffung der Zweiten Republik“ gleich, sagt FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Weil damit die „ureigenste Kompetenz“ des Parlaments, die „Budgethoheit“, an die EU delegiert würde.

BZÖ-Obmann Josef Bucher formuliert es nicht ganz so drastisch, auch wenn er das Gleiche meint: Der Regierung und den Grünen werde das Lachen schon noch vergehen – wenn nämlich die ersten Staaten und Banken pleitegingen. Dann werde „kein Geld mehr zurückfließen von diesem Teufelswerk, das sie heute beschließen“. Beide, Strache und Bucher, wollen eine Volksabstimmung zum ESM. Beiden wird sie verwehrt.

Warum? Weil die Regierung samt Grünen der Meinung ist, dass die nationalen Souveränitätsrechte nicht gefährdet sind. Weil „Arbeitsplätze, Exporte, Wirtschaft und Kaufkraft“ vom ESM abhängig seien (Faymann). Weil andernfalls – also ohne Rettungsschirm – jeder zehnte Arbeitsplatz in Österreich verloren ginge (Vizekanzler Michael Spindelegger). Und weil eine Rückkehr zum Schilling, „wie sie auch der kanadische Opa“ (gemeint ist Frank Stronach) angeregt habe, den Weg ins Chaos weisen würde (SPÖ-Klubchef Josef Cap).

Über der Debatte, auf dem Zuschauerrang, wacht ein Mann, der als Buchautor mit islam- und Euro-kritischen Thesen von sich reden machte: der ehemalige deutsche Bundesbanker Thilo Sarrazin. Er sei auf Einladung Josef Buchers hier in Wien, sagt Sarrazin zu Mittag vor Journalisten (siehe dazu auch das Interview auf Seite 15). Buchers Partei kenne er nicht – seine Standpunkte teile er aber: Der ESM sei ein „Bail-out für jene Staaten, die falsche Entscheidungen getroffen haben“. Das lehne er ab.

Fiskalpakt: Widerstand in der SPÖ

Als später der Fiskalpakt, ein Regelwerk wider die europäische Schuldenpolitik, zur Abstimmung steht (diesmal reicht eine einfache Mehrheit), hat Sarrazin das Hohe Haus längst verlassen. Er hält ihn, wie er dem „Focus“ sagte, für gut, aber überschätzt. Im Nationalrat ist der Pakt hingegen stärker umstritten als der ESM. Die FPÖ und das BZÖ: dagegen. Die Grünen diesfalls auch – sie denken gar über eine Verfassungsklage nach.

Allerdings hält sich auch die Begeisterung am linken Flügel des SPÖ-Klubs in Grenzen. Geldstrafen für Staaten, die höhere Schulden machen, als die Union vorschreibt, vertragen sich schlecht mit sozialdemokratischer Ideologie. Ob der eine oder andere SPÖ-Mandatar gegen den Fiskalpakt stimmen und sich damit dem Klubzwang widersetzen wird, war bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe offen. Aber zu erwarten.

Wie sich die Zeiten ändern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2012)

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