"Das ist schlimmste Stammtisch-Ökonomie"

schlimmste Stammtischoekonomie
schlimmste Stammtischoekonomie(c) Reuters (Tobias Schwarz)
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172 Ökonomen warnen in einem offenen Brief vor der geplanten Bankenunion - und spalten die Zunft. Kritiker haben bereits eine Gegen-Position formuliert. Der deutsche Finanzminister Schäuble ist angesichts der "Horrormeldungen" empört.

172 Ökonomen rund um den deutschen ifo-Chef Hans-Werner Sinn wollen die Bankenunion verhindern, wie "DiePresse.com" am Donnerstag berichtete. Eine Bankenunion bedeute eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Euro-Systems, warnen die Volkswirte. Sie rufen deshalb in einem offenen Brief in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die "lieben Mitbürger" zum Protest auf: "Unsere Volksvertreter sollen wissen, welche Gefahren unserer Wirtschaft drohen".

Doch es gibt auch zahlreiche Ökonomen, die diesen Appell scharf kritisieren. Sie haben im "Handelsblatt" bereits ihre Gegen-Position formuliert.

Auszug aus der Gegenposition

Die Länder der Euro-Zone sind durch eine systemische Krise mit zwei Wurzeln (Staatsschulden und unterkapitalisierte Banken) herausgefordert. Auf die damit aufgeworfenen Fragen lassen sich keine einfachen Antworten finden. Die Krisenpolitik steht notgedrungen im Streit unterschiedlicher Einschätzungen und Sichtweisen, zumal nicht auf Lehrbuchweisheiten zurückgegriffen werden kann. Die Öffentlichkeit ist vor diesem Hintergrund durch Sorgen und Ängste geprägt, die sich mehr aus unbestimmten Gefühlen als aus sachlichen Informationen speisen.

In einer solchen Situation kann es nicht die Aufgabe von Ökonomen sein, mit Behauptungen, fragwürdigen Argumenten und in einer von nationalen Klischees geprägten Sprache die Öffentlichkeit durch einen Aufruf weiter zu verunsichern. So werden in diesem Text insbesondere Ängste und Emotionen vor einer Bankenunion geschürt, ohne dass dies mit den erforderlichen Fakten unterlegt wird.

Der Aufruf baut ein Schreckgespenst auf und schürt Furcht. Der Öffentlichkeit, die nach Orientierung verlangt, und der Politik, die in schwierigen Entscheidungssituationen Kurs zu halten sucht, wird damit nicht geholfen. Es wird Schaden angerichtet für die politische Gestaltungsfähigkeit wie für das Ansehen unseres Fachs.

Quelle: Handelsblatt

"Das ist schlimmste Stammtisch-Ökonomie"

Prominentester Vertreter ist der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger. "Der Aufruf schadet dem öffentlichen Ansehen der deutschen Wirtschaftswissenschaft", kritisiert er laut "Spiegel Online". "In einer Diskussion, die naturgemäß durch viele Ängste und Emotionen geprägt ist, muss die Aufgabe der Wissenschaft darin bestehen, durch eine nüchterne Diagnose der Probleme und eine Analyse der Vor- und Nachteile alternativer Therapien zu einer Versachlichung beizutragen. Diesem Anspruch wird der Aufruf nicht gerecht."

"Das ist schlimmste Stammtisch-Ökonomie. Deutsche Ökonomen sind gut im Jammern – das ist in der aktuellen Lage aber absolut kontraproduktiv. Der Job von Wissenschaftlern ist, zu prüfen, welche Banken in Italien und Spanien systemisch relevant sind. Da kommt von deutschen Ökonomen aber überhaupt nichts", sagt er laut "Financial Times Deutschland".

"Aufruf schürt lediglich Ängste"

"Die Sprache dieser Ökonomen stößt mich ab. Sie ist geprägt von nationalen Klischees und einem latenten Nationalismus aus PR-Gründen. Ich schäme mich, dass  so viele  Kollegen ein solches Dokument unterzeichnen. Das wirft kein gutes Licht auf unsere Zunft", lässt auch Gustav Horn, Chef des Düsseldorfer Forschungsinstituts kein gutes Haar an den Kritikern. Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, spricht von einem unverantwortlichen Aufruf. Die Aktion habe "mit ökonomischer Argumentation nichts zu tun". Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, übt ebenfalls Kritik: "Der Aufruf schürt lediglich Ängste und zeigt keinen einzigen Weg zur Lösung der Probleme auf", zitiert ihn "Financial Times Deutschland".

Die Zeitung lässt zudem den spanischen Ökonomen Xavier Vives zu Wort kommen (mehr dazu...), der davon überzeugt ist, dass Europa eine Bankenunion braucht. Eine Bankenunion sei "eine notwendige Voraussetzung für das Überleben einer Währungsunion, die wie die europäische nicht dazu in der Lage ist, ihren Mitgliedern direkte Hilfe zu untersagen." Und: "Eine Bankenunion müsste gleichzeitig zentrale Bankenaufsicht, Abwicklungsstelle und Einlagensicherungsfonds sein, zumindest für systemrelevante und grenzübergreifende Finanzinstitute."

Schäuble: "Ich finde das empörend"

Auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bezeichnet die Kritik der 172 Ökonomen als unverantwortlich. Wenn die Wirtschaftswissenschaftler von einer drohenden Vergemeinschaftung von Bankenschulden sprächen, dann treffe das überhaupt nicht zu, sagte Schäuble am Freitag im InfoRadio des rbb. "Im Kern geht es ja nicht darum, die Haftung zu vergemeinschaften, sondern eine gemeinsame Aufsicht in Europa zu schaffen", so der Finanzminister.

"Ich finde das empörend. Ich finde das der Verantwortung eines Wissenschaftlers nicht entsprechend", kritisierte Schäuble die Einwände der Ökonomen. Er warf den Wissenschaftlern vor, mit "Horrormeldungen" Verwirrung in der Öffentlichkeit zu stiften.

"Kein Rettungsschirm für Banken"

Der Finanzminister wies den Vorwurf energisch zurück, mit der möglichen Öffnung des Rettungsschirms ESM für Bankenhilfen könnte Deutschland auch für Bankenschulden haften. Aus dem Rettungsschirm für Staaten sei mit Sicherheit nicht ein Rettungsschirm für Banken geworden, betonte Schäuble.

Der Finanzminister räumte ein, dass es schwierig sei, der Bevölkerung immer wieder zu erklären, wie wichtig die gemeinsame Währung sei. "Wenn diese Europäische Währung auseinanderbrechen würde, wäre eine wirtschaftliche Katastrophe für Deutschland, für Europa, für die ganze Weltwirtschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Das müsse verhindert werden.

(phu/APA)

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