Britischer Boulevard: Gelernt aus dem Skandal?

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Vor einem Jahr wurde die Abhöraffäre bei Rupert Murdochs „News of the World“ aufgedeckt. Die britische Presse gibt sich seither deutlich zahmer und zurückhaltender.

Die jüngste Schlagzeile der „Sun on Sunday“ las sich wie „business as usual“ für ein britisches Boulevardblatt: „Die Sekte bekommt meine Tochter nicht!“, dazu eine „exklusive“ Geschichte (die freilich alle Zeitungen brachten) über Tom Cruises Noch-Ehefrau Katie Holmes und deren Versuche, ihre Tochter vor Scientology zu bewahren. Ein Jahr nachdem Medienmogul Rupert Murdoch aufgrund des Abhörskandals bei der „News of the World“ (NoTW) seine erfolgreichste Zeitung am 10. Juli 2011 einstellte, scheint sich nicht viel geändert zu haben: Sein Konzern „News International“ (NI) produziert mit der neuen Sonntagsausgabe der „Sun“ seit Februar wieder die meistverkaufte Sonntagszeitung Großbritanniens (wobei deren Auflage von zuerst drei auf knapp zwei Millionen gesunken ist). Und noch immer interessiert sich das Boulevardblatt – wie seine Konkurrenz – vor allem für das Privatleben von Prominenten.

Doch der Eindruck trügt: Der größte Medienskandal der britischen Geschichte hat die legendär aggressive Presse der Inseln deutlich gezähmt, meint Roy Greenslade von der Londoner City University: „Sie haben aufgehört, Kiss-and-tell-Storys darüber zu drucken, wer mit wem schläft, wer wen betrügt. Damit war abrupt Schluss“, sagt Greenslade, der einst auch für die „Sun“ arbeitete. Früher seien häufig Fußballprofis Opfer solcher Eingriffe in die Privatsphäre gewesen: „Inzwischen können sich fremdgehende Fußballer ungestört vergnügen. Es mag ein Problem für deren Frauen sein – aber solche Geschichten waren nie im öffentlichen Interesse und die Demokratie leidet nicht, wenn sie nicht mehr erscheinen.“

Keine Besserung der Redakteure in Sicht

Die britische Journaille benehme sich derzeit „einigermaßen gut“, urteilt auch Brian Cathcart, Medienprofessor am Londoner Kingston College und Gründer der Opferinitiative „Hacked Off“, zu deren berühmtesten Mitgliedern der Schauspieler Hugh Grant gehört. Doch Cathcart traut dem Frieden nicht: „Das kann sich schnell wieder ändern. Ich sehe nicht, dass die Redakteure eine Erleuchtung hatten und sich grundlegend bessern wollen.“

Grund für die derzeitige Zurückhaltung sei einzig die „Leveson Inquiry“: Die nach ihrem vorsitzenden Richter Brian Leveson benannte Untersuchungskommission untersucht nicht nur den Skandal, sondern grundsätzlich Ethik und Praxis der britischen Presse und ihr Verhältnis zur Politik.

In stundenlangen Befragungen mussten sich in den vergangenen Monaten nicht nur Murdoch und sein Sohn James (der zur fraglichen Zeit NI-Chef war und inzwischen ins Konzernhauptquartier nach New York abgezogen wurde), sondern auch drei ehemalige und der amtierende Premierminister grillen lassen. Auch die Opfer wurden ausführlich gehört: etwa die Mutter von Mordopfer Milly Dowler, deren Handymailbox ebenfalls angezapft wurde und deren Fall die britische Öffentlichkeit erst für den Skandal sensibilisiert hatte. Promis wie Schauspielerin Sienna Miller und Kinderbuchautorin J.K. Rowling berichteten, wie ihnen Paparazzi und Reporter über Jahre das Leben zur Hölle gemacht hatten. Die zuständigen Chefredakteure und Verleger wurden gefragt, ob sie wirklich glaubten, dass solche Geschichten im öffentlichen Interesse seien.

Doch so unangenehm der britischen Presse der Platz auf der Leveson-Anklagebank ist: Es dürfte noch dicker kommen. Denn der Richter soll Empfehlungen für eine effektivere Regulierung der Branche entwickeln. In der Diskussion sind die verschiedensten Modelle: von Lizenzen bis zu branchenunabhängigen Kontrollorganen.

Nur ein kleiner Teil macht Fehler

„Die Gefahr ist, dass die britische Presse eingeschüchtert wird und ihren Biss verliert“, warnt Bob Satchwell, Vorsitzender des einflussreichen Redakteurverbandes „Society of Editors“. Er wolle die „ernsthaften Verfehlungen“ der Vergangenheit nicht bestreiten – doch die gingen auf das Konto nur eines sehr kleinen Teils der Branche: „Meine Kollegen von den Regionalzeitungen sind empört darüber, dass sie mit denen in einen Topf geworfen werden und für deren Fehler mitbezahlen sollen.“

Zwar räumt auch Satchwell ein, dass das bisherige System der freiwilligen Selbstkontrolle letztlich versagt hat. Die von der Branche finanzierte und kontrollierte „Press Complaints Commission“ (Kommission für Pressebeschwerden) soll deshalb abgeschafft werden – sie hatte 2009 nicht die NoTW, sondern den „Guardian“ für seine Berichte über die illegalen Abhörpraktiken kritisiert. Doch wie die meisten Chefredakteure und Herausgeber will Satchwell, dass die Presse sich weiter selbst kontrolliert – wenn auch deutlich strenger. Das Wichtigste dabei sei, dass „die Effektivität der britischen Presse nicht beeinträchtigt wird. Denn das wäre ganz sicher nicht im öffentlichen Interesse.“

Auf einen Blick

Seit im Sommer 2011 bekannt wurde, dass „News of the World“ über Jahre die Handymailboxen von Prominenten, Politikern und sogar Mordopfern abgehört hatte, wurden mehrere Journalisten (auch von anderen Blättern) und Polizisten festgenommen. Fünf verschiedene Polizei-Sonderkommissionen untersuchen den Skandal, bei dem es auch um Bestechung, Meineid und bewusste Irreführung der Justiz geht. Die ersten Prozesse, etwa gegen die Ex-Chefin von News International Rebekah Brooks und den früheren NoTW-Chefredakteur und Ex-Regierungssprecher Andy Coulson, beginnen im Herbst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2012)

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