Ein Privilegienstaat namens Griechenland

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Straffreiheit für Minister, Steuerparadies für Reeder: Griechenland muss nicht nur Schulden abbauen Notwendig ist vor allem die Abschaffung von Privilegien für mitunter große Minderheiten.


Nach gelungener Augenoperation wieder zurück auf der politischen Bühne, musste Griechenlands neuer Ministerpräsident Antonis Samaras bei der Vorstellung des Regierungsprogramms am Freitagabend eingestehen, was nach dem langen Wahlkampf und nach zwei Übergangsregierungen Beobachtern lange klar war: Griechenland ist bei der Umsetzung seiner Sparziele im Verzug. Das Budget 2012 dürfte nach heutigem Stand um ein bis zwei Milliarden Euro überschritten werden, die Privatisierungen liegen auf Eis, Vorschläge für Einsparungen von 11,7 Milliarden Euro werden nicht wie vorgesehen noch im Sommer präsentiert werden können.
Die Diskussion um die Einhaltung der Sparziele geht jedoch am Kern der Probleme vorbei. Wenn sich die Griechen nicht dazu aufraffen, mit den Privilegien verschiedenster Gruppen aufzuräumen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern, sind alle Sparpläne zum Scheitern verurteilt.

Weltweites Kopfschütteln gab es etwa über die Nachricht, dass in Griechenland tausende Pensionen an Tote gezahlt werden. Eine Kontrolle des griechischen Sozialversicherungsträgers IKA ergab, dass 1400 Pensionen an Menschen ausgezahlt werden, die vor 1920 geboren, mittlerweile aber längst verstorben sind. Nutznießer waren Verwandte, Freunde, korrupte IKA-Mitarbeiter. Diese Pensionen sollen den Staat acht Millionen Euro gekostet haben. Weit teurer sind die 200.000 Pensionen und Pensionszulagen, die nach Aussage eines - scheidenden - Arbeitsministers an nicht existierende Versicherte ausgezahlt werden: Sie kosten den Staat jährlich etwa 800 Millionen Euro.

Ausnahmegesetzgebung. Und dennoch: Das Kernproblem Griechenlands sind nicht die Betrüger. Die kann man finden und zur Rechenschaft ziehen, wie etwa im Fall der Totenpensionen: IKA will sie zurückfordern. Das wahre Problem sind Gesetze, die Betrüger decken, Gesetze, die illegale Handlungen legalisieren und Gesetze, die individuelle oder kollektive Vorrechte auf Kosten der Allgemeinheit verankern. Sie geben den Bürgern ein Gefühl der Rechtlosigkeit. Und wer nicht an den Rechtsstaat glaubt, wird keine Steuern zahlen und den Staat ohne Gewissensbisse ebenfalls betrügen.
Erstaunlich, wie genau die alten Römer den Kern des - modernen - griechischen Problems treffen: Ihr „Privileg" war ein Gesetz, ein Gesetz, das eine Ausnahme von der allgemeinen Regel zum Inhalt hat. Und zwar eine Ausnahme für sehr konkrete Individuen.

Paradebeispiel für eine Ausnahmegesetzgebung sind die griechischen Bestimmungen über die Verjährung von Ministervergehen. Auch Straftaten, die im Normalfall 15 bis 20 Jahre Gefängnis zur Folge hätten, verjährten nach einem Gesetz von 2003 für die Herren Minister nach fünf Jahren. Diese Bestimmung wurde 2011 abgeschafft. Noch gültig ist eine Verfassungsbestimmung zum selben Thema: Delikte von Ministern verjähren nach zwei Legislaturperioden des griechischen Parlaments. Die können mitunter recht kurz sein: Nach den Wahlen vom 7. Mai 2012, in deren Folge keine griechische Regierung zustande kam, trat das Parlament für zwei Tage zusammen, bevor es zwecks Ausrufung von Neuwahlen aufgelöst wurde.

Ursprünglich wollte man durch das Gesetz möglicher Politjustiz durch politische Gegner vorbeugen. Doch in der Praxis schützte das Gesetz vor allem der Korruption verdächtigte Amtsträger. So mussten die Ermittlungen gegen eine ganze Reihe von Ministern, die wegen Schmiergeldzahlungen von Siemens ins Visier der Justiz geraten waren, fallen gelassen werden, weil ihre vermuteten Vergehen verjährt waren. Tassos Mantelis, ein ehemaliger Verkehrsminister der Regierung Simitis, dem die Schmiergeldzahlungen über Kontobewegungen nachgewiesen werden konnten, hat dies sogar zugegeben - ohne strafrechtliche Konsequenzen für ihn. Sein Ministerdelikt war verjährt.
In den letzten Jahren wurde mit dem ehemaligen Pasok-Minister Akis Tschochatzopoulos nur ein Minister für vermutete Korruptionsvergehen hinter Gitter gebracht. Das Verfahren läuft, es gilt die Unschuldsvermutung. Eigentlich sind auch seine Vergehen verjährt, Tschochatzopoulos war bis 2004 Minister. Doch die etwa 17,5 Millionen Euro Schwarzgeld, die der ehemalige Verteidigungsminister laut Anklage aus Schmiergeldzahlungen für die Lieferung von Waffensystemen an die griechische Armee erhalten hat, soll er auch nach 2004 über Immobilienkäufe seiner Offshore-Firmen „gewaschen" haben - das gab Staatsanwalt und Untersuchungsrichter die Handhabe für die Verhaftung des ehemaligen „linken Gewissens" der sozialistischen Pasok.

Schutz vor Konkurrenz. Der Schutz vor Konkurrenz und in der Folge die Gestaltung von Preisen ohne Furcht vor Konkurrenz: Das ist wohl die Wunschvorstellung vieler Freiberufler, steht aber im Widerspruch mit dem europäischen Binnenmarkt. Und doch, in Griechenland, das seit 1981 Mitglied der EU ist, kommen viele Berufe diesem Wunschbild einer „Insel der Seligen" noch bemerkenswert nahe. Apotheker, Anwälte, Notare, Architekten, Medienunternehmen, Transporteure oder Taxifahrer konnten ihre Berufe mithilfe der Gesetzgeber lange von in- und ausländischer Konkurrenz abschirmen.
So können nur Anwälte in Firmenbücher einsehen, müssen Notare bei Firmengründungen eingeschaltet werden oder müssen Firmen ihre Gründung und andere Rechtsakte in Tageszeitungen veröffentlichen - allesamt großteils unnötige Zwangsmaßnahmen zur künstlichen Absicherung der Einkünfte einer bestimmten Berufsgruppe. Nun, im Zeichen der Staatskrise und der Reformpakete, wird es eng für die geschützten Berufe. Aber nicht ohne Widerstand. 2010 brachte ein Streik der griechischen Transporteure die Wirtschaft praktisch zum Erliegen. Nicht beförderte Waren vermoderten in den Lagern, es gab Benzinengpässe.

Die Ursache des Streiks: Die von der EU geforderte Öffnung des griechischen Transportmarktes. Das griechische Verkehrsministerium gab auf Druck der Transporteure seit Jahrzehnten keine neuen Lkw-Lizenzen mehr aus, der Kauf einer bestehenden Lizenz kostete hoffnungsfrohe Neutransporteure 80.000 bis 100.000 Euro. Die Folge der Fehlkonstruktion: Die Transportpreise waren vor der Krise in Griechenland so hoch, dass sie bis zu 30 Prozent des Endpreises ausmachten. Der Transport eines Containers von Piräus nach Saloniki kostete 550 Euro, von Shanghai nach Piräus gerade einmal 1100 Euro. Der Transport von Gemüse aus dem Peloponnes nach Athen ist so teuer, dass es lohnender ist, das Gemüse zu importieren.

Neben dem Tourismus ist die Handelsflotte der größte Devisenbringer Griechenlands. Die Erben von Niarchos und Onassis brachten Griechenland 2010 rund 14,5 Milliarden Euro. Der Haken: Die Einnahmen sind zwar Balsam für das große Leistungsbilanzdefizit des Landes, der Staatskasse bringen sie aber nichts - die sogenannten „Internationalen Schifffahrtsgesellschaften" mit Hauptquartieren in Griechenland werden nicht besteuert. Die an die 60.000 Arbeitsplätze, die sie in Griechenland schaffen, und die erhofften Investitionen in der alten Heimat sind dem Staat Lohn genug.

Erkaufte Straffreiheit. Seit 2011 gibt es in Griechenland ein Gesetz, das die „Abwicklung" von illegalen Bauten regelt. Das heißt, auf Antrag eines Bausünders wird eine Strafe für einen illegalen Bau bezahlt und dem Besitzer so Straffreiheit verschafft. Nach österreichischen Maßstäben würde man im Höchstfall mit ein paar hundert reuigen Sündern rechnen. In Griechenland sind es etwa 500.000, der Staat erwartet sich Einnahmen von zwei Milliarden Euro.

Theodoros Pangalos, der als EU-Chefverhandler im Beitrittsverfahren Österreichs auftrat, hat mit Bezug auf den Bankrott Griechenlands und seine Ursachen eine viel diskutierte Bemerkung gemacht: „Wir alle zusammen haben das Geld durchgebracht." Mit Blick auf die Zahl der Bausünder hat seine Aussage einen wahren Kern. Die Rechnung muss aber nicht der korrupte Politiker oder Wirtschaftstreibende zahlen, sondern der kleine Mann - über Lohn- und Pensionskürzungen oder die Besteuerung des Immobilienbesitzes.

Und nicht einmal der ist gesichert. Die „Abwicklung" der illegalen Bauten verschafft den Besitzern nur eine „Aussetzung" der Illegalität ihres Heims. Denn ein illegaler Akt kann nicht durch ein Gesetz ungeschehen gemacht werden. Das würde es selbst illegal machen. Und so müssen sich die Kinder der heutigen Übeltäter in 30 Jahren wieder mit ihren illegalen Bauten herumschlagen. Sie wären erleichtert, wenn das die einzigen Schwierigkeiten wären, die sie von ihren Eltern erben.

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