Lebensläufe von 13.000 Ordensleuten

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Gerald Hirtner durchforstete die größte Sammlung an alten Nachrufen – Roteln, die in der Neuzeit von Kloster zu Kloster gesandt wurden: 13.000 Roteln sind nun katalogisiert.

Wie Journalisten heute oft Nachrufe „vorschreiben“, wurden bereits die Vorläufer des Nachrufs vor hunderten Jahren teils vor dem Todesfall erstellt: Im Mittelalter sandten Klöster beim Ableben eines Ordensbruders einen Boten aus, der mit zusammengerollten Pergamentbögen (Roteln) von Kloster zu Kloster reiste (oft jahrelang) und schriftliche Beileidsbekundigungen sammelte. „Die Roteln, von lateinisch ,rotuli‘ – ,kleine Rollen‘, gab es auch in der Neuzeit“, erzählt Gerald Hirtner. Als Archivar im Kloster St.Peter in Salzburg hat er für seine Dissertation (Uni Salzburg, Geschichte, Betreuer Gerhard Ammerer) eine der ältesten und größten Sammlungen von Roteln durchforstet und erstmals in einer Datenbank katalogisiert. „Neuzeitliche Roteln, wie diese von 1572 bis 1800, sind wenig erforscht: Es waren meist Drucke oder handschriftliche Blätter, etwas größer als das heutige A4-Format, die vervielfältigt wurden und an die verbrüderten Klöster per Boten oder per Post übermittelt wurden.“ Was beim Empfänger damit geschah, war dem jeweiligen Kloster überlassen. St. Peter sammelte alle Roteln, Hirtner hat bereits 13.000 erfasst. Allein aus dem 18. Jahrhundert sind über 9000 Roteln überliefert. „Der Sinn der Roteln war, Gebetsleistung der verbrüderten Klöster zu bekommen.“

St. Peter war mit über 100 Klöstern und Stiften der Prälatenorden vernetzt, so waren jedem verstorbenen Mitbruder die Gebete von Tausenden und ein würdiges Andenken sicher. „Man entnimmt den Texten eine positive Einstellung zum Tod: Als Grußformel der Rotel kam etwa ,Krieg den Lebenden, Friede den Toten‘ während der Zweiten Wiener Türkenbelagerung vor.“ Das Ableben war als natürlicher Verlauf akzeptiert, man war der Ansicht, dass „die Toten es eigentlich viel komfortabler haben“. Die Erfassung der Roteln, die ausführliche Biografien der Chorherren, Mönche und Nonnen (auch Benediktinerinnen versandten Roteln) enthalten, kann als Basis für literaturwissenschaftliche und kunstgeschichtliche Forschungen dienen und Auskunft über Ordens- und Regionalgeschichte geben. Quasi als Nebenergebnis bestätigte Hirtner anhand der Siegelwachse und -lacke der Roteln, dass sich Schwarz als Trauerfarbe im 18. Jahrhundert durchsetzte, und er fand auch eine verschollen geglaubte, wertvolle Rotel in Form einer Siegelurkunde aus dem Jahr 1390. Norbert Urban

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2012)

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