Der Rettungsschirm-Protest ist in Deutschland breit gestreut: Einzelkämpfer in Union und FDP, konservative Professoren und Postkommunisten. Doch eine rechte Anti-Europa-Partei bleibt ein Tabu.
Am letzten Freitag im Juni kam Karlsruhe nicht zur Ruhe. Beim deutschen Verfassungsgericht herrschte zu nachtschlafener Stunde hektische Betriebsamkeit. Ein Bote des CSU-Urgesteins Peter Gauweiler traf ein. Den Geschäftsführer aufmarschieren ließ der Verein „Mehr Demokratie“ – er vereint die frühere SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, den Bund der Steuerzahler, die Freien Wähler und 12.000 Bürger. Die Linkspartei weckte das Faxgerät aus dem Dornröschenschlaf. Und einige Professoren wurden persönlich vorstellig, pünktlich um fünf vor zwölf. Eine seltsame Allianz mit einem gemeinsamen Ziel: den ESM verhindern.
Bundestag und Bundesrat hatten gerade den permanenten Rettungsschirm abgesegnet, mit den Stimmen von SPD und Grünen. Nun war es höchste Zeit für die Eilanträge, damit Präsident Gauck das Gesetz nicht gleich unterschreibt. Auch in der Regierungskoalition hatte es 26 „Abweichler“ gegeben. Es sind Einzelkämpfer, die sich auf ihr Gewissen berufen. Ihre Kollegen in Union und FDP respektieren die Sturköpfe mittlerweile. Das war nicht immer so: Kanzleramtschef Pofalla rief Wolfgang Bosbach im Herbst zu, er könne seine „Fresse nicht mehr sehen“.
Geschlossen gegen den Stabilitätsmechanismus stimmte die Linkspartei. Dabei sind die Postkommunisten sonst vorn dabei, wenn es darum geht, Schulden zu vergemeinschaften, etwa durch Eurobonds. Was ihnen beim ESM inhaltlich missfällt, sind die Sparprogramme. Dass sie als Gegenleistung für Hilfen gefordert werden, dass Delegationen ihre Umsetzung kontrollieren sollen: Das erinnert sie fatal an den Erzfeind IWF. Ihre Klage aber ähnelt jener der konservativen Honoratioren: Deutschland gebe den Kern seiner Staatsgewalt auf, das Parlament habe nichts mehr zu vermelden – und das alles geschehe an den Bürgern vorbei.
Dem Klägerverein beigetreten sind auch die Berliner Piraten. Bislang hatte ihr Lager zu Eurofragen nur ein cooles Achselzucken parat. Die Grünen geben sich staatstragender als in Österreich. Sie stimmten auch für den Fiskalpakt, weil für einen großen Teil ihrer Klientel sparsames Wirtschaften zum Nachhaltigkeits-Credo gehört. Anders als in Österreich gibt es freilich keine rechte Partei, die den Unmut des Volkes gegen die Eurorettung bündelt. Die Einzigen, die das versuchen, sind die „Freien Wähler“. Außerhalb Bayerns haben sie aber noch nirgends einen Fuß in die Tür bekommen.
Liberaler Zwiespalt. Das kommt nicht von ungefähr. Gegen die Eurorettung, gegen den Euro, gegen die EU – mit allen drei Parolen fischt man im selben Teich, sieht man von fein differenzierenden Intellektuellen ab, mit denen sich keine Fünf-Prozent-Hürde überspringen lässt. Eine antieuropäische Bewegung aber ist weiterhin ein Tabu. Es ist Selbstverständnis der Deutschen, dass sie aus ihrer Vergangenheit gelernt haben und nun gute Europäer sind. Ein Zwiespalt für die Liberalen: Für die FDP müsste die Eurorettung, bei der laufend der Markt ausgeschaltet wird, ein rotes Tuch sein. Aber ihre Tradition als proeuropäische Partei wirkt als verlässliche Beißhemmung nach.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2012)