Die Sicherheit chinesischer Eltern in Erziehungsfragen

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Viele chinesische Familien kennen die Unsicherheit mitteleuropäischer Eltern nicht. Sie wissen, was sie von ihren Kindern erwarten: Vor allem gute Leistungen. Eine DiePresse.com-Serie.

Eine Mutter schiebt einen leeren Kinderwagen, von ihrer Taille baumeln die Enden eines unbenutzten Tragetuchs – und ihr quängelndes Kleinkind trägt sie an die Hüfte gepresst. In Fällen wie diesen kann man wohl davon ausgehen, dass es sich um eine Mitteleuropäerin handelt. Afrikanerinnen tragen Kinder. Asiatinnen schieben Kinder. Und in Mitteleuropa versucht man gleich alles auf einmal, um es dem Kind recht zu machen. Mit diesem Anspruch klammert man sich an alle verfügbaren Ansätze und Erziehungstipps. Und derer gibt es viele – was am Ende mit sich bringt, dass oft die Ratlosigkeit noch größer ist als zuvor.

Entspannte Erzieher wie Bestsellerautor Jesper Juul bekritteln die Tendenz, „aus den Kindern Projekte zu machen“. Zuerst hätten sich alle Eltern superintelligente Kinder gewünscht, jetzt wollten alle glücklichen Nachwuchs. Ein Projekt aus dem Glück seiner Kinder zu machen, würde aber Grund für deren Unglück sein. Österreicher stellen sich gern die Frage, wie sie ihre Kinder erziehen wollen oder sollen. Ohne jedoch zu wissen, was sie von ihnen erwarten.


Klare Wertvorstellungen. Menschen in anderen Teilen der Welt scheinen solche Zweifel in der Erziehung nicht zu kennen. Südamerikanische, afrikanische oder asiatische Eltern berufen sich in Erziehungsdiskussionen weniger auf einschlägige Fachliteratur als auf klare Wertvorstellungen und Traditionen, auch wenn im urbanen Raum abseits der „westlichen Welt“ der Diskurs immer stärker wird.

Bei Migranten muss das Leben in Österreich nicht automatisch dazu führen, dass sich ihr Wertesystem langsam dem westlichen anpasst, wie der Psychologe und Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan sagt. Durch das Leben in einer Minderheit können sie ihre Werte als bedroht erleben und versuchen, sie umso dringender zu bewahren (siehe Interview). Vor allem chinesische Eltern zögern nicht, wenn man ihnen Erziehungsfragen stellt. Sie wissen ganz genau, was sie von ihren Kindern erwarten. Und das sind vor allem hervorragende Leistungen. In der Schule genauso wie in der Freizeit. Wenn ein Kind mehrere Sportarten ausprobiert, blinken schon die Warnlichter. Man muss sich den Erfolg erarbeiten, und genau das sollen die Kinder lernen. „Harte Arbeit und Fleiß“ seien der Grund für seinen Erfolg, sagt Zhan Weiping. Der chinesische Geschäftsmann hat vier Kinder im Alter zwischen acht und 21 Jahren, mit dreien von ihnen lebt er in einer Villa im 22.Bezirk. Die älteste Tochter studiert in Italien: Was sich nach mehr Freiheit anhört, als es tatsächlich ist. Sie steht weiterhin unter der Kontrolle ihrer Eltern. Mutter und Vater verfügen in der traditionellen chinesischen Erziehung über absolute Autorität. Gleichzeitig hat das Kind bei materiellen Gütern aber Vorrang. Besonders für die Bildung des Nachwuchses sind die Eltern bereit, enorme Ausgaben zu tätigen und die eigenen Bedürfnisse auf ein Minimum zurückzuschrauben. 30.000 Euro im Jahr kostet allein die Ausbildung seiner ältesten Tochter, erklärt Zhan stolz.

Das Ziel seiner Erziehung ist, dass die Kinder erfolgreich sind. Sie sollen arbeiten können, wo sie es sich wünschen, und auch Zugang zur Oberschicht haben. Falls das nicht funktioniere, könnten sie als Plan B auch Geschäfte in China machen. Deshalb ist ihm wichtig, dass sich seine Söhne und Töchter problemlos zwischen den beiden Welten bewegen und vor allem auch gut Chinesisch können. Das lernen sie vor allem am Wochenende. An der „österreichischen Erziehungsmethode“ schätze er die Freiheit, sagt er. Aber offenbar in kleinen Dosen. Denn von seinen Kindern verlangt er ganz klar Gehorsam. Wer zuwiderhandelt, wird bestraft. Der zierliche Mann lächelt höflich, als er das erzählt.

Erziehung ist kulturell bedingt, aber nicht nur. Auch die soziale Schicht, in der sich die Eltern bewegen, spielt eine entscheidende Rolle für die Wertvorstellungen. Zhan wird mit anderen international arbeitenden und erfolgreichen Unternehmern viele Gemeinsamkeiten haben. Wahrscheinlich mehr als mit einem chinesischen Bauern aus einer völlig anderen Region des 1,3-Milliarden-Einwohner-Landes. Dennoch spricht er in der Österreichisch-Chniesischen Gesellschaft über traditionelle chinesische Werte, die er weitergeben will – gemeinsam mit westlichen.

Zhans zweitälteste Tochter maturiert nächstes Jahr, der zehnjährige Sohn kommt im Herbst ins Gymnasium, die jüngste Tochter ist noch in der Volksschule. Warum er vier Kinder hat? Zuerst waren nur zwei geplant. Dann habe man sich „aus großer Liebe zu den Kindern“ für zwei weitere entschieden. Die Kinder laufen für ihn nicht nebenher, in der Familie treffe er als Vater die Entscheidungen. Er weiß, wie es den Kindern in der Schule geht und was sie in ihrer Freizeit machen. Über ihre Noten ist Zhan genauestens informiert. Es tue ihm aber leid, die Leistungen „nur vom Zeugnis“ zu kennen, sein Deutsch sei nicht gut genug, um mit den Kindern zu lernen. Bildung ist in der chinesischen Erziehung generell sehr wichtig. Die für Eltern entscheidende Frage ist: „Was muss ich tun, damit mein Kind erfolgreich wird?“ Der Erfolg des Kindes bestimmt dann auch das Ansehen der Familie.


„Ich habe Einser verlangt.“ Feng Youruo muss nach diesem Kriterium sehr angesehen sein. Ihre ältere Tochter Patricia hat vor wenigen Wochen mit nur 16 Jahren in einem Wiener Gymnasium maturiert. Im Herbst wird die erfolgreiche Jungpianistin in Frankreich Klavier studieren. Im Schnitt liest sie pro Woche ein Buch. Fengs jüngere Tochter Katherina ist eine talentierte Zeichnerin und besucht „Die Graphische“. Ob sie ihre Kinder „typisch chinesisch“ erziehe? Zumindest sagen es andere über sie. Weil ihre ältere Tochter sehr intelligent sei, habe sie die Ansprüche freilich hoch angesetzt: „Ich habe in allen Fächern Einser verlangt“, sagt Feng. Aber sie habe gewusst, dass das die Tochter nicht überfordere.

Seit das Mädchen in die Pubertät kam, habe sich ohnehin alles geändert. Plötzlich fand sie es „langweilig“, immer nur gute Noten zu schreiben, schwänzte die Schule und lehnte sich gegen die Eltern auf. Bis diese schließlich zu der Einsicht kamen, dass Patricia ihre eigenen Entscheidungen treffen müsse. „Ich unterstütze meine Tochter immer. Aber ich bin meist passiv, höre ihr zu, wenn sie Zweifel hat oder wütend ist“, sagt Feng.

Die Tigermutter. Das zeitgenössische Klischee der chinesischen „Kampfmutter“ wurde 2011 von der US-Amerikanerin Amy Chua geprägt. Die chinesisch-stämmige Juraprofessorin schrieb in ihrem Buch „Battle Hymn of the Tiger Mother“ (deutsch: „Die Mutter des Erfolgs“) darüber, mit welchen Methoden sie ihre beiden Töchter zu Höchstleistungen anspornte. Die Kinder durften weder bei Freunden übernachten, noch welche mit nach Hause bringen. Auch ihre Hobbys durften sie nicht selbst auswählen. „Beim chinesischen Erziehungsstil geht es darum, das Beste aus seinem Kind herauszuholen“, erklärte Chua. Und zwar mit täglichem Drill. Westliche Eltern würden zu früh aufgeben. Außerdem glaube sie nicht, dass amerikanische Kinder glücklicher seien als chinesische. Nach dem Erscheinen des Buches, das auch selbstironisch ihr Scheitern beschreibt, wurde Chua wegen ihrer Methoden angefeindet. Sie hatte ihren Kindern etwa mit dem Verbrennen der Stofftiere gedroht.

Für die meisten „westlichen“ Eltern war das gelinde gesagt zu viel Druck. Auch Feng Youruo ist diese Erziehung zu streng. Obwohl sie Nachmittag für Nachmittag neben ihrer Klavier spielenden Tochter saß und in der Schule Höchstleistungen verlangte. Doch sie ließ die Kinder auch ihre eigenen Interessen entdecken und experimentieren. Nicht einmal Zigaretten verbot sie ausdrücklich. „Außer Drogen lasse ich sie alles ausprobieren. Es ist meine Methode, nicht einfach Nein zu sagen“, sagt Feng. Die Kinder müssen freilich darauf gefasst sein, dass später alle Vor- und Nachteile abgewogen werden. Dieser Erziehungsstil ist anstrengend, das merkt man Feng an. Dass sie noch nicht das Handtuch geworfen hat, mag an ihrer eigenen Disziplin liegen. Sie verlangt viel, sagt sie. Aber sie tue auch viel für ihre Kinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2012)

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