Eine von Vizekanzler Spindelegger eingesetzte Expertengruppe kritisiert die frühe Trennung in der Schule und die "Verländerung" des Schulssystems.
Ausgerechnet seine eigene Expertengruppe setzt Vizekanzler Michael Spindelegger bildungspolitisch unter Druck: Sie fordert in großer Übereinstimmung mit den Inhalten des Bildungsvolksbegehrens etwa die Übernahme der Kindergärten in die Bundeskompetenz, ebenso wird für die Sekundarstufe Eins die einheitliche Bundeskompetenz gefordert und auch vor der Gesamtschule machen die Vorschläge im Gegensatz zur ÖVP-Parteilinie nicht Halt.
Unter dem Titel "Unternehmen Österreich 2025" hat Vizekanzler Michael Spindelegger eine Gruppe von 200 Experten zusammengerufen, die Handlungsanleitungen liefern soll und sich als eine Art Think Tank versteht. Darunter sind bekannte Persönlichkeiten wie die frühere Bankerin und WU-Vizerektorin Regina Prehofer, Siemens-Chef Peter Löscher, Voest-Chef Wolfgang Eder, aber auch Flüchtlingshelferin Ute Bock. Eine der zehn Gruppen beschäftigt sich mit Bildung und Lernen. Diese lässt nun mit einigen Vorschlägen aufhorchen, die der bisherigen bildungspolitischen Linie der ÖVP widersprechen.
Denn: Mehr oder weniger offen spricht sich die Gruppe für die Gesamtschule aus. So heißt es in dem Papier, das der Presse.com vorliegt: "Die bisherige Fokussierung auf die Aufteilung von Kindern auf zwei Schultypen im Alter von 10 Jahren nimmt so viel Zeit und Energie auf schulischer und politischer Ebene in Anspruch, dass das eigentliche Ziel einer potentialorientierten Leistungsdifferenzierung vernachlässigt wird."
Der Kindergarten soll teilweise in Bundeskompetenz übernommen werden: "Dazu bedarf es eines bundeseinheitlichen Kindergartengesetz mit einem Bildungsplan für den Kindergarten", so die Experten in ihren Ausführungen.
Die Experten sprechen sich außerdem gegen eine Verländerung des Schulsystems aus. Gefordert wird eine "einheitliche Bundeskompetenz für alle Schulen der Sekundarstufe 1".
Auch "mittlere Reife" wird gefordert
Weitere Vorschläge: Eine Verlängerung der Sekundarstufe 1 auf fünf Jahre, die mit einer "Mittleren Reife" nach der neunten Schulstufe abgeschlossen werden soll. Nach der neunten Schulstufe wiederum soll eine "Vertiefung der Kernkompetenzen bei gleichzeitiger Reduktion der verpflichtenden Unterrichtsgegenstände" erfolgen. Schülern soll so die Belegung von Wahlmodulen ermöglicht werden. Auch der Fächerkanon wird überdacht: Fächer wie Geschichte, Geografie, Musik, Religion und Politische Bildung auf der einen Seite und technische, naturwissenschaftliche und verwandte Disziplinen wie Werken andererseits sollen zusammengefasst und übergreifende Zusammenhänge vermittelt werden.
Die Experten scheuen sich auch nicht davor, einer ÖVP-Kernklientel auf die Zehen zu treten: "Lehrer sollten gleich viel Urlaubsanspruch haben wie Angestellte in der Privatwirtschaft." Schmackhaft gemacht werden soll ihnen dies mit dem Argument, dass sie sich damit in der Öffentlichkeit nicht mehr für ihre lange Ferienzeit rechtfertigen müssten. Umgekehrt sollen sie auch in der Schulzeit Urlaub nehmen können - gleiches soll übrigens auch für Schüler gelten (angedacht werden fünf Tage in Jahr). Insgesamt soll es mehr effektive Unterrichtszeit (etwa durch zwei Wochen weniger Ferien pro Jahr) geben.
Experten: "Mangel an Umsetzungswillen"
Die Mitglieder der Expertengruppe sind sich durchaus im Klaren darüber, dass sie nicht unbedingt Pioniere sind: Es sei bereits "in einer Vielzahl von profunden Arbeitspapieren und Expertenmeinungen dargelegt worden, wo die Probleme und Lösungen liegen". In Bildungsfragen mangle es "nicht an der Analyse, sondern am Umsetzungswillen bzw. an der Fähigkeit über den eigenen ideologischen Schatten zu springen".
Die Vorschläge, die die Gruppe erarbeitet hat, wurden dem Grünen Bildungssprecher Harald Walser zugespielt. Er rät der Volkspartei, das Papier ernst zu nehmen: "Die ÖVP soll endlich tun, was ihre eigenen Expertinnen und Experten vorschlagen und sich nicht länger von einigen reformresistenten Gewerkschaftsbossen am Nasenring durch die bildungspolitische Landschaft führen lassen."
(thea/APA)