Bringt Joseph Aloisius Ratzinger die „Titanic“ zum Sinken?

(c) Titanic
  • Drucken

Der Papst sieht in Fotomontagen des Satiremagazins seine Persönlichkeitsrechte verletzt, er hat ein Verbreitungsverbot erwirkt. „Titanic“ will durch alle Instanzen, „bis zum Jüngsten Gericht“.

Heutigentags wollen keine Satiren mehr gelingen“, bedauerte Hegel in seinen „Vorlesungen zur Ästhetik“ (1835 bis 1838). Ernst kann er das nicht gemeint haben, zu seiner Zeit waren Großmeister des Genres am Werk, Büchner goss aus dem Exil Gift und Galle über alle Autoritäten – vor allem im „Woyzeck“ –, Daumier brachte in Paris die Archetypen der Justiz und der Politik so treffend zu Bild und Skulptur, dass er dafür ins Gefängnis kam. Aber immerhin, eine der beiden zentralen Fragen war mit Hegels Diktum in der Welt: Wann ist eine Satire gelungen und wann nicht?

Die andere Frage ist, wann eine Satire sein darf und wann nicht, hier geht es nicht um Ästhetik, hier geht es um Recht: Am Dienstag hat das Landgericht Hamburg in einer Klage von Joseph Aloisius Ratzinger – so heißt der Papst nach wie vor in seinem Pass – gegen das Satiremagazin „Titanic“ dem Kläger vorläufig recht gegeben, es erließ eine einstweilige Verfügung: Die aktuelle Ausgabe von „Titanic“ darf nicht mehr verbreitet werden. Denn sie zeigt auf der Titelseite den Papst in einer Soutane mit einem gelben Fleck im Schritt – und darüber die Schlagzeile: „Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden“, es spielt auf die „Vatileaks“-Affäre an. Auf der Rückseite sieht man den Papst von hinten, diesmal mit einem braunen Fleck. Ratzinger sah seine Persönlichkeit und Ehre verletzt und beauftragte einen in Medienrecht und insbesondere in Sachen „Titanic“ erfahrenen Anwalt, Gernot Lehr. Der brachte die Klage ein und den Antrag auf einstweilige Verfügung. Über den ist entschieden, ausgeliefert darf kein Exemplar mehr werden, 250.000 Euro Strafgeld sind angedroht, in der Sache selbst wird später geurteilt.

„Freund des Erfrischungsgetränks ,Fanta‘“

„Titanic“ nahm es gelassen, Chefredakteur Leo Fischer kündigte den Weg durch sämtliche Instanzen an – „bis zum Jüngsten Gericht“ –, und im Übrigen sei alles ohnehin nur ein Missverständnis: Der gelbe Fleck komme „von einem Glas Limonade“, das der Papst im Überschwang der Freude über die Aufklärung von „Vatileaks“ über seine Soutane verschüttet habe: „Es ist allgemein bekannt, dass der Papst ein großer Freund des Erfrischungsgetränks ,Fanta‘ ist.“ (Zur Illustration stellte „Titanic“ das oben gezeigte neue Titelbild online.)

Fischer hat einigen Grund für seinen Humor: Zwar wurden von dem 1979 gegründeten Satireblatt bisher 35 Ausgaben verboten, und der Verlag war in 55 Gerichtsverfahren verwickelt, was ihn bisweilen an den Rand der Insolvenz brachte. Aber erfolgreiche Klagen kamen vor allem von Politikern, 2006 etwa vom SPD-Vorsitzenden Kurt Beck. Unter dessen Konterfei stand: „Problembär außer Rand und Band: Knallt die Bestie ab!“ Beck nahm einen Anwalt, der hatte Erfolg, es war Gernot Lehr.

Wird er auch beim Klienten Ratzinger Erfolg haben? „Titanic“-Fischer verweist darauf, dass der Spielraum für Satire in Deutschland sehr groß ist. Das gilt vor allem dann, wenn es um Religion geht: Die katholische Kirche scheiterte bisher achtmal mit Klagen gegen „Titanic“ (entweder wegen Verunglimpfung des Papstes oder wegen Religionsbeschimpfung). Es ging dabei etwa um ein Titelbild, das den Gekreuzigten als Halter einer Klopapierrolle zeigte: „Spielt Jesus noch eine Rolle?“ Auch die Bezeichnung eines Erzbischofs als „Kinderschänder“ ließen Gerichte passieren.

Das ist kein „Titanic“-Privileg: Bei Gerhard Haderers Jesus-Cartoons – mit Joint im Mund etwa – verzichteten die Kirchen selbst auf angedrohte Klagen, und die Bezeichnung „Latten-Gustl“ ging bei Gericht frei. Bei einem ans Kreuz gehefteten Schwein als Aufdruck eines T-Shirts, das die Punkband Wizo vertrieb, hörte sich in einem Entscheid 1997 allerdings die Freiheit auf: Das Gericht sah den öffentlichen Frieden gestört, dann greift der Blasphemie-Paragraf (166 StGB). Aber auch nur dann, religiöse Gefühle per se schützt er nicht. 2002 lehnte der deutsche Bundestag eine Verschärfung ab. Vor vier Wochen hat der Schriftsteller Martin Mosebach wieder eine gefordert. Dabei geht es um Strafrecht.

Bei Ratzinger gegen „Titanic“ geht es um Zivilrecht, irgendwann wird ausjudiziert. Inzwischen fragen sich erste Kommentatoren, ob die Klage klug gewesen sei und die Kirche nicht lieber Humor bewiesen hätte. Nein, antwortet Lucas Wiegelmann in der „Welt“, es gehe nicht nur um die „Schmähung und Verhöhnung“ einer Person, sondern auch um das Amt: „Kirchliche Würdenträger müssen darauf achten, dass das Ansehen dieses Amtes nicht in unzumutbarer Weise beschädigt wird.“ Ganz anders sieht es der Deutsche Journalistenverband (DJV): Auch der Papst müsse sich Satire gefallen lassen, erklärte der Bundesvorsitzende Michael Konken.

Sie können die Druckfarben nicht halten

Aber ist es Satire, was „Titanic“ (sich) da geleistet hat? Und, vor allem, ist es in irgendeiner Hegel'schen Hinsicht gelungen oder komplett misslungen? Daumier langte auch grob hin, er kam ins Gefängnis, weil er König Louis Philippe als „Gargantua“ lithografiert hatte, der die Schätze seines Volks in sich hineinstopft und das Volk gleich mit. Aber das war auch noch voll Geist. Die Fotomontagen vorne und hinten auf „Titanic“ muten doch eher reichlich infantil an und rufen einen der ganz Großen der Satire in Erinnerung, Lichtenberg: „Er kann die Tinte nicht halten“, urteilte der über einen allzu geschwätzigen Schriftsteller. Offenbar konnten sie bei „Titanic“ bei ihrem Fäkalspäßchen die Druckfarben nicht halten.

Satire und Recht

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Bild und Schrift frei zu äußern und zu verbreiten. (...) Eine Zensur findet nicht statt. (...) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ So vorbehaltlos garantiert das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Freiheit. Allerdings ist nicht alles erlaubt: Das Strafrecht bedroht in seinem Blasphemieparagrafen (166 StGB) Gotteslästerung dann und nur dann, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (in Österreich ist es ähnlich). Das ist in der jetzigen Causa nicht der Fall, deshalb klagt der Papst auf zivilrechtlichem Weg gegen die Verletzung seiner Persönlichkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Porträt des Tages

Ein „Volksschädling“ und stolz darauf

Als Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“ sieht es Leo Fischer als Pflicht, vor niemandem Respekt zu zeigen.
Medien

"Titanic" will Verbot des Papst-Covers nicht hinnehmen

Noch diese Woche wird die Anwältin des Magazins Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung einlegen. Stein des Anstoßes war ein Titelbild des Papstes mit besudelter Soutane.
Papst geht gegen Satiremagazin
Religion

Papst geht gegen das Satiremagazin "Titanic" vor

Das Titelbild zeigte Benedikt XVI. in weißer Soutane mit einem gelben Fleck im Schritt. Nun wurde die aktuelle Ausgabe gestoppt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.