Entscheid über Tierschützer-Prozess und Kritik an Richterin

(c) APA/ANDREAS PESSENLEHNER (ANDREAS PESSENLEHNER)
  • Drucken

Die Staatsanwaltschaft übt in einer 43 Seiten starken Berufung massive Kritik an der Richterin, die glatte Freisprüche fällte. Nun liegt es am OLG, ob es der Berufung stattgibt oder diese verwirft.

Die Erleichterung war groß, als am 2. Mai 2011 im Landesgericht Wiener Neustadt alle 13 Angeklagten freigesprochen wurden. Zur Feier des Tages floss sogar Sekt – in den Reihen der sonst eher asketisch gepolten Tierschützer. Der „Mafia-Vorwurf“ der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation war vom Tisch. Und auch in sämtlichen anderen Anklagepunkten (Nötigung, Sachbeschädigung etc.) ergingen Freisprüche. Letztere will die Anklage wie berichtet aber nicht hinnehmen. Die Berufung des Staatsanwaltes liegt nun vor. Diese gerät zur beklemmenden Abrechnung mit dem Gericht.

So enthält die 43 Seiten starke Berufung vielfach herbe Kritik an den rechtlichen Würdigungen der seinerzeitigen Vorsitzenden des Monsterprozesses, Einzelrichterin Sonja Arleth vom Landesgericht Wiener Neustadt. Die Berufung wurde von Staatsanwalt Wolfgang Handler ausgearbeitet, unterzeichnet ist sie von der leitenden Staatsanwältin Barbara Haider.

An einer Stelle wird etwa die richterliche Begründung von Freisprüchen vom Vorwurf der versuchten Nötigung der Firma Kleider Bauer (es ging um Proteste gegen den Verkauf von Pelzen) auseinandergenommen, es heißt: „Die Begründung ist unzureichend, unvollständig, aktenwidrig, undeutlich und widersprüchlich.“

Im Hinblick auf einen anderen Teil der Freisprüche – wieder geht es um mutmaßliche versuchte Nötigung der Firma Kleider Bauer – attestiert der Staatsanwalt der „erkennenden Richterin“, dass sie „jedenfalls völlig lebensfremd“ zu ihrem Urteil gekommen sei. An anderer Stelle heißt es scharf: „Diesen Widerspruch unterzieht das Gericht keiner Erörterung, sondern lässt diese beiden einander nach den Denkgesetzen ausschließenden Tatsachen unaufgelöst nebeneinander stehen.“

Indessen mutet ein vom Staatsanwalt in der Berufung nun aufrechterhaltener Anklagepunkt seltsam an: Ausgerechnet einem der Tierschützer, Jürgen F., wird neuerlich, trotz des erstinstanzlich ergangenen Freispruchs, Tierquälerei vorgeworfen: F. soll im August 2008 ca. 400 Mastschweine aus einem Stall in Bad Fischau-Brunn, Niederösterreich, freigelassen haben. F. bestreitet das. Jedenfalls seien damals einige Tiere „in Folge hiedurch ausgelöster Panik“ bzw. „Stress“ verendet, meint der Staatsanwalt.

Die Richterin hatte ihren Freispruch aus wohl nachvollziehbaren Gründen gefällt: Es könne doch nicht angenommen werden, schreibt sie in ihrer (der „Presse“ ebenfalls vorliegenden) Urteilsbegründung, dass ein „überzeugter Tierrechtsaktivist die Zufügung unnötiger Qualen vorsätzlich in Kauf nehmen würde“. Insgesamt beantragt der Staatsanwalt in seiner „Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld“ nun bei der nächsthöheren Instanz, beim Oberlandesgericht (OLG) Wien, dieses möge fünf (vier Männer und eine Frau) der 13 freigesprochenen Personen doch noch verurteilen. Der wohl prominenteste Tierschützer der ehemaligen Angeklagtenriege, der Tierrechtler Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken (VGT), hat die Sache aber hinter sich. Sein Freispruch vom Vorwurf „Kriminelle Organisation“ (§ 278a Strafgesetzbuch, dieser Tatbestand wird nun definitiv reformiert) ist rechtskräftig.

Nun liegt es am OLG, ob es der Berufung stattgibt oder diese verwirft. Aus eingeweihten Kreisen heißt es, das Justizministerium war über das – ursprünglich noch umfassender geplante – Rechtsmittel der Anklagebehörde nicht unbedingt erfreut. Man hätte „oben“ auch mit den Freisprüchen leben können. Letztlich soll sich aber die strikte Haltung der Anklage (Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, Oberstaatsanwalt Wien), durchgesetzt haben.

Wird die Berufung abgeschmettert, wäre dies eine Niederlage für die Anklage. Hat sie Erfolg, könnte es einen neuen (kleineren) Tierschützer-Prozess geben. Einen Tierschützer-Prozess light – sozusagen.

Auf einen Blick

Staatsanwalt Wolfgang Handler beantragt, dass fünf der insgesamt 13 zur Gänze freigesprochenen Tierschützer doch noch verurteilt werden. Das letzte Wort hat das Oberlandesgericht Wien. [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Archivbild: VGT-Obmann Martin Balluch beim Prozess
Recht allgemein

Tierschützer: "Mafiaparagraf"-Freispruch rechtskräftig

Der Staatsanwalt wird allerdings gegen die Freisprüche bei Einzeldelikten berufen. Damit ist das Verfahren für acht der 13 Beschuldigten beendet.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.