Rumänien, oder die Gefahren des politischen Manichäismus

Beim Sturm auf die Bastionen der politischen Gegner werden die Eckpfeiler des Rechtsstaats zerschossen.

Die Optik ist mehr als nur schief, sie ist geradezu verheerend. Wer in den vergangenen Wochen die Konvulsionen in der rumänischen Innenpolitik mitverfolgt hat, kann nur den Eindruck gewonnen haben, dass da eine außer Rand und Band geratene Clique mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, die eigene Macht zu zementieren und politische Gegner kaltzustellen. Akribisch listet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ jene Gesetze auf, die die sozialdemokratischen Strategen rund um Regierungschef Victor Ponta zurechtgebogen haben, damit die Demontage ihres präsidialen Erzfeindes Traian Basescu reibungslos über die Bühne gehen kann: Artikel 9/2 des Gesetzes 35/1997, Artikel 27 des Gesetzes 47/1992, Artikel 115/6 der Verfassung und so weiter und so fort. Dieser Weg ist mit politischen Leichen gepflastert: Unter anderem mussten im Zuge des Zangenangriffs auf Basescu der Volksanwalt und die Parlamentspräsidenten dran glauben.

Abseits der berechtigten Frage nach der Rechtmäßigkeit sollte man auch die demokratiepolitische Dimension nicht außer Acht lassen. Ponta ist nämlich nicht dank eines Wahlerfolgs an die Macht gekommen, sondern wurde nach einem Misstrauensvotum installiert, um die Regierungsgeschäfte interimistisch bis zur Parlamentswahl im Spätherbst zu führen. Natürlich könnte man an dieser Stelle das Gegenargument in die Schlacht werfen, dass jeder, der im Parlament über eine Mehrheit verfügt, automatisch legitimiert ist. Doch daraus ein Mandat zum Umbau des Staatsapparats abzuleiten, wie Ponta es offenbar tut, geht doch einen Schritt zu weit.

Wie verteidigen nun die Vertreter des linken Lagers die Vorgangsweise der rumänischen Regierung? Die Begründung, die man am häufigsten hört, lautet: Die anderen würden es doch genauso machen, Präsident Basescu sei auch kein Chorknabe, und überhaupt mache Ponta nur das rückgängig, was sein Rivale versaut habe. Das Spielfeld werde geebnet, damit, wenn das finale Gefecht gegen Basescu gewonnen ist, alles wieder mit rechten Dingen zugehen könne.

Interessanterweise ist das eine Erklärung, die man in Zentral- und Osteuropa immer wieder hört. Ähnlich argumentiert in Budapest Viktor Orbán, und auch die Kaczyński-Zwillinge in Polen bedienten sich vor wenigen Jahren dieser Endkampfrhetorik. Dem politischen Gegner wird dabei jegliche Legitimation abgesprochen, er ist sozusagen der Gottseibeiuns, während die eigenen Parteisoldaten in die Rolle der himmlischen Heerscharen schlüpfen.

Dieser Hang zum politischen Manichäismus hat einen Grund: Im jahrzehntelangen Kampf gegen den real existierenden Sozialismus waren die ideologischen Gräben unüberbrückbar und die staatlichen Organe als Erfüllungsgehilfen der Sowjets diskreditiert. Nicht von ungefähr schmückte Gary Cooper als Sheriff aus dem Streifen „Zwölf Uhr mittags“ 1989 das erste Wahlplakat der polnischen Solidarność: Es ging um Freiheit und Gerechtigkeit – und um die Abrechnung mit den verhassten Unterdrückern.

Das Problem ist nur, dass anno 2012 Teile der zentral- und osteuropäischen Eliten diese Haltung immer noch verinnerlicht haben, obwohl sich die Umstände geändert haben. Dass bei dem Sturm auf die gegnerischen Bastionen die Eckpfeiler des Rechtsstaats zerschossen werden, wird als Begleitschaden in Kauf genommen. Die Möglichkeit eines zivilisierten Dialogs mit seinen rechtsliberalen Kontrahenten scheint Pontas Vorstellungskraft zu übersteigen. Auch bei seinem ungarischen Kollegen hat man das Gefühl, er ziehe die Möglichkeit einer Wahlniederlage gar nicht mehr in Betracht.

Der EU bleibt in diesem Zusammenhang nur der undankbare Part des erhobenen Zeigefingers. Was die europäischen Beobachter aber auf keinen Fall tun sollten, ist für die eine oder andere Partei Stellung zu beziehen. Nicht einen der Kontrahenten gilt es zu schützen, sondern die Institutionen. Auch SPÖ-Europaparlamentarier Hannes Swoboda, der noch vergangene Woche seinem rumänischen Gesinnungsgenossen die Stange gehalten hat, scheint mittlerweile zu dieser Einsicht gelangt zu sein. Besser spät als nie.

E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2012)

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