Rumänische Grenzüberschreitung

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Die Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaat in Rumänien, Bulgarien und Ungarn sorgen in der EU-Zentrale Brüssel für Sorge und Zorn.

Brüssel Europa findet sich in einer albtraumhaften Wirklichkeit wieder: Die Osterweiterung der Europäischen Union, die doch Demokratie, Rechtsstaat und Bürgersinn in den früheren Warschauer-Pakt-Staaten stärken sollte, scheint genau dieses Ziel an immer mehr Orten zu verfehlen.

Die unzimperliche Machtpolitik des christlich-konservativen Ungarn Viktor Orbán seit seinem Wahlsieg im Sommer 2010 ließ sich noch als Folge jahrelanger sozialistischer Vetternwirtschaft in Budapest und als Einzelfall abtun.
Doch die jüngsten Ereignisse in Rumänien und Bulgarien lassen ein besorgniserregendes Muster erkennen: Die Parteien in diesen Ländern treiben die Idee, dass Politik ein Nullsummenspiel sei, ins Extrem. Sobald sie nach Wahlen oder fliegenden Koalitionswechseln an die Macht kommen, raffen sie in kürzestmöglicher Zeit alle Ämter an sich: von Parlamentspräsidenten über Verfassungsrichter bis zu Leitern nationaler Statistikämter. Und sie versuchen, diese Machtergreifung für so lange wie möglich zu zementieren: durch überlange Amtszeiten der neuen, parteitreuen Behördenleiter und durch den Erlass einer Flut von Verfassungsgesetzen, die nachfolgenden Regierungen einen Richtungswechsel verunmöglichen.

Wer nicht für uns ist, ist ein Feind: Die weltanschauliche Ausrichtung spielt in dieser Denkweise keine Rolle. „Wir haben die Linke zertrümmert", jubelte der Rechte Orbán jüngst zur „Presse". „Victor Ponta rückt doch bloß die demokratischen Ungleichgewichte gerade, die unter der vorherigen Regierung entstanden sind", sagte der Chef der europäischen Sozialdemokraten, Bulgariens früherer Ministerpräsident Sergej Stanischew, am Donnerstag über seinen rumänischen Parteigenossen Victor Ponta.

Schallende Ohrfeige für Premier Ponta

Der Rumäne weilte am Mittwoch und Donnerstag in Brüssel, um die Sorgen über den lautlosen Putsch in seinem Land zu zerstreuen. Wenn ein Regierungschef wie Ponta mit Notverordnungen regiert und das Amtsblatt seines Landes an sich zieht, um die Veröffentlichung missliebiger Urteile des Verfassungsgerichts zu unterbinden, dann sieht die Kommission rot - und handelt.

Er sei „ernsthaft besorgt über die jüngsten politischen Ereignisse in Rumänien", teilte Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach seinem Treffen mit Ponta mit. Und er trug ihm viererlei auf: Pontas Übergangsregierung müsse „die volle Unabhängigkeit der Justiz respektieren, die Kompetenzen des Verfassungsgerichts wiederherstellen und sicherstellen, dass seine Urteile befolgt werden, einen Ombudsmann ernennen, der parteiübergreifende Unterstützung genießt, und ein neues offenes und transparentes Verfahren zur Bestellung eines Generalstaatsanwaltes und eines Leiters der Anti-Korruptions-Behörde garantieren."

Hinter diesen Forderungen steht unausgesprochen das schärfste Mittel, das die Union gegen Verfallserscheinungen einsetzen kann: der Verlust der Stimmrechte bei allen EU-Entscheidungen. Artikel 7 des EU-Vertrags sieht so etwas vor, wenn die Regierungen die „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" von Werten wie Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit feststellen.
Eine heftige Sanktion. Doch wann sind Demokratie und Rechtsstaat schwerwiegend verletzt? Wenn ein Regierungschef wie Ponta durch einen grenzwertigen Winkelzug sein Verfassungsgericht lähmt? Wenn sein Amtskollege Orbán die Gattin eines Parteifreundes zur Leiterin jenes Justizorgans macht, das alle wichtigen Richterstellen vergibt? Oder wenn in Bulgarien eine politisch lästige Richterin entlassen wird, wie das am Mittwoch Miroslava Todorova widerfahren ist, der Präsidentin der Richtervereinigung?

Druckmittel Schengen-Beitritt

Eine weitere Trumpfkarte hat Brüssel im Talon, zumindest im Duell mit Bulgarien und Rumänien: den Schengen-Beitritt. Nächsten Mittwoch legt die Kommission ihren Bericht über die Fortschritte der jüngsten fünf Jahre im Kampf gegen Korruption und Mafia vor. Rein formal hat das nichts mit Schengen zu tun. Politisch umso mehr. Die Niederlande, aber auch einige andere Schengen-Staaten wollen Rumänen und Bulgaren erst dann ohne Grenzkontrollen einreisen lassen, wenn sie mit den Reformen zufrieden sind. Angesichts der jüngsten Ereignisse in Bukarest und Sofia ist das unwahrscheinlich.

Auf einen Blick

Rumäniens Regierungschef Victor Ponta versuchte am Mittwoch und Donnerstag in Brüssel, die Sorge vor einer stillen Demontage des rumänischen Rechtsstaates zu zerstreuen. Der Sozialdemokrat führt seit Anfang Mai eine Übergangsregierung, die vor der Parlamentswahl im November möglichst viele Ämter an sich zu reißen versucht.

Ob Ponta die EU überzeugt, ist fraglich. Die Kommission ist vor allem wegen der Beschneidung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts durch Pontas Notverordnungen besorgt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2012)

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