Ist der Islam in Österreich daham?

Dass der Islam in Österreich seit 100 Jahren anerkannte Religionsgemeinschaft ist, ist vielleicht schön, jedenfalls aber für aktuelle Fragestellungen irrelevant.

Österreich hat kein Monopol auf exzentrische Islam-Debatten. Der FPÖ-Slogan „Daham statt Islam“ war zwar, was die Sinnbefreitheit angeht, ein Weltklasseprodukt. Aber auch die Islam-Debatte, die in der jüngeren Vergangenheit bei unseren deutschen Nachbarn auf höchster Staatsebene geführt wurde, traf lange nicht den Kern des Problems. Im Oktober 2010 musste der damalige Bundespräsident Christian Wulff für seine Erklärung, dass der Islam ein Teil Deutschlands sei, ziemlich viel Kritik einstecken. Etwas mehr als zwei Wochen später komplettierte er in einer Rede vor dem türkischen Parlament in Ankara seine Sicht der Dinge mit dem Satz: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei.“

Die wohlwollende Interpretation beider Stellungnahmen lautet: Wulff wollte hier wie dort für mehr Toleranz plädieren. Zu akzeptieren, dass der Islam ein Teil Deutschlands sei, würde bedeuten, dass die Deutschen aufhören, Zuwanderer aus islamischen Ländern als doppelte Fremde zu betrachten, die doppelt so viele Probleme machen wie Zuwanderer aus nicht islamischen Ländern. Zu akzeptieren, dass das Christentum zur Türkei gehört, würde bedeuten, dass die türkische Regierung den Christen in der Türkei volle Religionsfreiheit gewährt.

Wulffs Nachfolger, der Theologe Joachim Gauck, griff die Debatte vor einigen Wochen in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ auf. Er könne, sagte Gauck, Wulffs Einschätzung, dass der Islam zu Deutschland gehöre, so nicht übernehmen, „aber seine Intention nehme ich an“. Es gehe einfach darum, die Tatsache zu akzeptieren, dass in Deutschland viele Muslime leben; seine Neuformulierung des Wulff'schen Diktums würde demnach lauten: „Die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland.“

Man kann dem Mann nicht widersprechen. Und wäre er dabei geblieben, hätte er genau die Differenz markiert, die für eine vernünftige Debatte über Zuwanderer aus islamischen Gesellschaften entscheidend ist: Teil Europas oder Teil eines Landes können nur Menschen sein, nicht eine Religion. Mehr noch: Je weniger Rolle die Religion im Leben von Zuwanderern aus islamischen Gesellschaften spielt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich in angemessener Frist als Teil des Landes sehen, in das sie eingewandert sind.

Joachim Gauck aber konnte offensichtlich der akademisch-theologischen Versuchung nicht widerstehen und wollte seinem katholischen Kollegen Joseph Ratzinger das Feld nicht allein überlassen. Und so formulierte auch er seine Islam-Kritik in Frageform: „Wo hat denn der Islam dieses Europa geprägt, hat er die Aufklärung erlebt, gar eine Reformation?“ Erwartungsgemäß konterten Vertreter der islamischen Gemeinde mit dem Hinweis darauf, dass Europa ohne die arabischen Gelehrten der spanischen Renaissance bis heute keinen Zugang zur klassischen griechischen Philosophie hätte.

Und so weiter und so fort, man kennt die Argumente, und die wesentlichen Fakten dürfen als bekannt vorausgesetzt werden: Als das Christentum in Europa noch im Mittelalter verharrte, gab es so etwas wie eine arabische Aufklärung, heute sehen wir ein säkularisiert-aufgeklärtes Christentum neben einem mittelalterlichen Islam. Der politische Islam der Gegenwart ist ein totalitäres Denksystem, das man am ehesten mit den links- und rechtsfaschistischen Regimen des 20.Jahrhunderts vergleichen kann.


Wirklich interessant, diese Debatte, aber vollkommen irrelevant für die konkreten Fragestellungen, die sich durch die Zuwanderung aus islamischen Ländern ergeben. Das Gleiche gilt für den kollektiven Stolz darauf, dass der Islam in Österreich nun schon seit hundert Jahren über den Status einer anerkannten Religionsgemeinschaft verfügt.

So groß und bedrohlich das Thema politischer Islam auf globaler Ebene ist – und da ist die Rolle Österreichs als PR-Agent des saudischen Mittelalters problematisch genug –, so irrelevant ist es für die Frage der Integration von Zuwanderern in Österreich. Dort dient es nur zur politischen Folklore und als bequeme Ausrede für säkularisierte, aber dennoch integrationsunwillige Zuwanderer.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2012)

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