Faymann: Politische Vision? Kanzler bleiben!

Faymann Politische Vision Kanzler
Faymann Politische Vision Kanzler(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Werner Faymann hat allen Grund, entspannt zu sein. ÖVP und Grüne streiten, wer ihn nach der Wahl zum Kanzler wählen darf. Neue Parteien stören ihn wenig. Nur die Inseratenaffäre wird noch einmal unangenehm.

Das Ziel ist so hoch gesteckt, dass nicht einmal die glühendsten Optimisten wie Laura Rudas glauben, es zu erreichen, aber es klingt einfach so schön. „32-18“ hat die SPÖ als Devise ausgegeben: 32 Prozent für die Sozialdemokraten, 18 für die Grünen, dann wäre die absolute Mandatsmehrheit erreicht, und der Traum von Rot-Grün ginge für beide Parteien in Erfüllung.

Zum Vergleich: Derzeit halten SPÖ und Grüne in den meisten Umfragen bei ungefähr 28 und 14 Prozent. Kein Wunder also, dass die Strategen der Grünen konsterniert reagieren, wenn sie von der Vorgabe des Koalitionspartners in spe hören. Bei der SPÖ hingegen ist dennoch immer wieder der Hinweis zu hören, dass die kleine Oppositionspartei in der aktuellen innenpolitischen Großwetterlage doch eigentlich viel besser liegen müsste. Jammern auf hohem Niveau, könnte man das nennen. Oder Luxusprobleme, von denen ein Michael Spindelegger nur träumen kann.

Rein strategisch könnte es Werner Faymann ein Jahr vor der Nationalratswahl kaum besser gehen. Er liegt in allen Umfragen klar voran, sowohl FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als auch Spindelegger sind mit den Skandalen in den eigenen Reihen beschäftigt. Die neuen politischen Bewegungen, die sich gerade finden bzw. noch einen Spitzenkandidaten suchen – die Piraten und Frank Stronach vor allem – werden aus heutiger Sicht fast allen Parteien schaden, der SPÖ vermutlich aber noch am wenigsten. Auch innerparteilich hat Faymann keine Gegner zu fürchten.

Das liegt auch daran, dass er sich inhaltlich nur selten positioniert. In der Debatte um einen Ausbau der direkten Demokratie etwa, die getragen ist vom Vorschlag der ÖVP, Volksabstimmungen am Parlament vorbei zu erleichtern, hat der Kanzler bislang nicht Farbe bekannt: Ja, im Grunde könne er sich schon vorstellen, dass es ab einer gewissen Unterschriftenzahl (im Gespräch sind rund 650.000) einen Automatismus vom Volksbegehren zur -abstimmung gibt. Aber über die Rolle, die der Nationalrat dabei zu spielen habe, müsse noch gesprochen werden. Von irgendjemand anderem am besten.

Vermögensteuerslalom. Beim Thema Vermögensteuern fährt Faymann seit Jahren Slalom – und schafft es trotzdem oder gerade deshalb, seinen linken Parteiflügel, der vornehmlich in Oberösterreich bzw. in den Gewerkschaften zu finden ist, bei der Stange zu halten. Angetreten ist er als Gegner der Erbschaftssteuer. Im vergangenen Winter, als die Koalition ein Steuer- und Sparpaket ausverhandelte, erklärte er die Idee plötzlich nicht mehr für ganz so schlecht, um sie am Ende doch links liegen zu lassen. Als Ausrede musste der Koalitionspartner nicht nur herhalten, er bot sich geradezu an: Gegen die ÖVP sei eine Erbschaftssteuer nun einmal nicht durchzusetzen.

Das Berufsheer, ein folgenschwerer PR-Gag Michael Häupls im Wiener Wahlkampf, den Faymann und Verteidigungsminister Norbert Darabos sogleich zum Programm machten (oder besser: zu machen hatten), ist so weit von einer Umsetzung entfernt wie Laura Rudas zwischenmenschlich von Günther Kräuter. Wenn Faymann die Wehrpflicht gegen den Willen der ÖVP unbedingt abschaffen will, warum lässt er es dann nicht auf eine Volksabstimmung ankommen? Die Aussicht auf eine Niederlage reicht dem Kanzler, um ein Thema flugs wieder in der Schublade verschwinden zu lassen.

Konflikte und heikle Themen, die zu Konflikten mit wem auch immer führen könnten, meidet Faymann. Schwierige Themen lagert er gern aus: in Arbeitsgruppen oder an Josef Ostermayer, den Staatssekretär für Medien und alles andere. Denn der Kanzler will nur eines: irgendwie im Sattel bleiben. Daher geht er immer den Weg des geringsten Widerstands.

Visionen, wie sie ein Alfred Gusenbauer („solidarische Hochleistungsgesellschaft“), Wolfgang Schüssel („Privat vor Staat“) und Viktor Klima mit seinem „dritten Weg für Österreich“ hatten, sind Faymann fremd. Er ist ein Besitzstandswahrer, der auch und vor allem den eigenen Parteibesitz bewahren will. Kanzlersein ist dabei eine Art Selbstzweck: Faymann will die SPÖ nicht notwendigerweise zu alter Stärke zurückführen. Ihm reicht ein Wahlergebnis um oder knapp über 30 Prozent, um bleiben zu können, was er ist. In einem System wie dem österreichischen ist das keine schlechte Taktik: Wer die Sozialpartnerschaft weitgehend in Ruhe werken lässt, überlebt politisch länger. Noch kaum ein Kanzler vor ihm genießt diesen Machtverlust so sehr wie er.

Links andeuten, rechts vorbei. Nirgendwo wird Faymanns Schlingerkurs derzeit so deutlich wie in der Europapolitik. In Brüssel agiert der österreichische Bundeskanzler oft wie ein Fußballspieler: Er deutet links an und geht dann rechts vorbei. Oder, wenn möglich, durch die Mitte. Seine Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm ESM und zum Fiskalpakt, einer zutiefst unsozialdemokratischen Schuldenbremse, rechtfertigt Faymann nicht lange, sondern fordert gleichzeitig Investitionen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

Damit macht er es allen recht: der deutschen Kanzlerin und europäischen Chefcontrollerin Angela Merkel, die Faymann zu schätzen gelernt hat, weil sie ihm das Gefühl gibt, ihn zu schätzen. Dem französischen Präsidenten und Etatisten François Hollande, den die europäischen Sozialdemokraten zu ihrem neuen Guru ernannt haben. Dem Koalitionspartner in Österreich, der immer gut findet, was Frau Merkel gut findet. Und dem linken Flügel in der SPÖ, der gern hört, dass Faymann auch das will, was Hollande will. Diplomatisch – so nennen das seine engeren Parteifreunde.

Die Liebe zu Europa hat Faymann überhaupt erst sehr spät entdeckt. Die Skepsis des ehemaligen Wiener Wohnbaustadtrates, der im Kanzleramt aufwachte, war fast so groß wie bei seinem Mentor Hans Dichand. Als der „Kronen Zeitung“-Chef verstarb, orientierte sich Faymann neu um, hörte Europa-Anhängern plötzlich genau zu. Mit seinem Credo für die EU in schwierigen Zeiten schaffte er es, seine bisherigen Kritiker zu versöhnen. Das erhöhte seine Selbstsicherheit, die ihm bei den ersten außenpolitischen Gehversuchen auf europäischen Gipfeln und Co. gefehlt hatte. Mittlerweile schätzt der Kanzler Ausfahrten mit Limousinen, Empfänge und die berüchtigten Beichtstuhlgespräche. Wie so vielen Politikern vor ihm, gefällt ihm die Wichtigkeit und Distanz zur Unbill der ach so kleingeistigen Innenpolitik.

Da wartet etwa ein unangenehmer Frühherbst auf den Kanzler. Denn in der Inseratenaffäre wird heftig ermittelt. Auf Wunsch – oder besser auf Ersuchen des Justizministeriums soll der Fall noch einmal aufgerollt werden. Ehemalige Asfinag-Vorstände, die wissen könnten, ob der damalige Verkehrsminister bei ihnen Druck für Inserate in der „Krone“ gemacht hat, werden nun doch von der Staatsanwaltschaft befragt. Auch die finanzielle Sinnhaftigkeit von ÖBB-Inseraten und -Fotos, die Faymann bestellt haben soll, werden noch einmal untersucht.

Nach dem Sommer soll das Thema im parlamentarischen Untersuchungsausschuss behandelt werden. Der Versuch, den U-Ausschuss davor abdrehen zu lassen, dürfte ohne große Chance auf Realisierung bleiben. Man kann getrost davon ausgehen, dass der grüne Chefinquisitor Peter Pilz und die wegen eigener Skandale gedemütigten ÖVP-Abgeordneten sich ein Kanzlerverhör nicht entgehen lassen werden.

Faymann/Strache: Das Duell. Sind der U-Ausschuss und die Ermittlungen einmal ohne große Konsequenzen über die Bühne gegangenen, wovon viele in der Justiz aufgrund fehlender Beweise ausgehen, beginnt der wohl längste Wahlkampf des vergangenen Jahrzehnts. Die SPÖ wird exakt so verfahren, wie es Bürgermeister Michael Häupl bei der Gemeinderatswahl in Wien vorgegeben hat: Über Monate wird – unterstützt von befreundeten und früher großzügig mit Inseraten versorgten Medien – das Duell zwischen Werner Faymann und Heinz-Christian Strache ausgerufen.

Dass die FPÖ in allen Umfragen derzeit weit von Platz eins entfernt ist, tut dabei nichts zur Sache. Die Zuspitzung auf den rechten Feind, der nicht ins Kanzleramt darf, soll die eigenen Funktionäre besser mobilisieren als etwa die Ansage, gestärkt wieder mit der ÖVP koalieren zu wollen. Wie schon in Wien haben weder ÖVP noch Grüne in einer Materialschlacht zwischen SPÖ und FPÖ viel entgegenzuhalten. In der öffentlichen Wahrnehmung drohen beide Parteien unterzugehen.

Dass die SPÖ nicht den nächsten Kanzler stellen könnte, ist in der Partei trotz Duellspielens mit Strache natürlich völlig undenkbar. So formuliert auch SPÖ-Klubobmann Josef Cap schon jetzt, was in das nächste Regierungsübereinkommen zu schreiben sei: die Forderungen des Bildungsvolksbegehrens müssten Punkt für Punkt aufgenommen und abgearbeitet werden. Und: Er verstehe die ÖVP mit ihrer Blockade nicht. Cap gab auch noch zu bedenken, dass die Bildungspolitik der Grund für die rot-grüne Koalition in Wien gewesen sei. Das entspricht zwar eher nicht der Wahrheit, aber es ist immerhin eine schöne Drohung in Richtung ÖVP. Faymanns SPÖ fühlt sich derzeit unverwundbar. Mit nicht einmal 30 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2012)

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