Am 15. Juli 1927 sorgte in Wien der Freispruch im "Schattendorfer Prozess" für Aufruhr in der Arbeiterschaft. Die "Julirevolte" kostete mindestens 89 Menschen das Leben.
Von einem „klaren Urteil" schrieb die christlichsoziale „Reichspost", von einer „Aussaat von Unrecht" die „Arbeiter-Zeitung": Vor 85 Jahren löste in Wien ein Freispruch die so genannte Julirevolte aus, die mindestens 89 Menschen das Leben kostete.
Was war geschehen? Im Jänner 1927 schießen drei Anhänger der Frontkämpfervereinigung aus den Fenstern eines Wirtshauses im burgenländischen Schattendorf auf vorbeimarschierende sozialdemokratische Schutzbündler. Ein siebenjähriges Kind und ein Invalide werden getötet. Mit Spannung blickt das Land dem Urteil gegen die Schützen entgegen.
Am Abend des 14. Juli ist es dann soweit: Die Laienrichter am Wiener Landesgericht fällen einstimmig ihr Urteil: Freispruch wegen Notwehr. Das Urteil wird von einem Großteil der Bevölkerung als Skandal empfunden. Am nächsten Morgen marschieren deshalb Arbeiter aus den Außenbezirken in Richtung Justizpalast. Dort ist das Urteil zwar nicht gesprochen worden, das Gebäude zieht aber als Symbol für die gesamte Justiz den Zorn auf sich.
Knüppel und Bretter als Waffen
Der Protest ist unorganisiert, die politische Führung der Sozialdemokratie hält sich zurück. Einige Schutzbündler versuchen vergeblich, sich als Ordner zu betätigen. Steine fliegen durch die Fenster des Justizpalasts, Demonstranten bewaffnen sich mit Knüppeln und Brettern und steigen in das Gebäude ein. Akten fliegen aus dem Fenster, schließlich steigt Rauch auf: Unbekannte haben im Justizpalast Feuer gelegt.
Die Polizei versucht indes die Proteste aufzulösen. Beim Parlament und der Universität schlagen berittene Einsatzkräfte mit Säbeln in die Menge. Die Feuerwehr hat Schwierigkeiten bis zum Justizpalast durchzukommen. Der Wiener Bürgermeister Karl Seitz fährt deshalb auf dem ersten Löschzug mit - vergeblich, die Schläuche der endlich ankommenden Fahrzeuge werden zerschnitten. Der Brand hat sich in der Zwischenzeit über alle Stockwerke ausgebreitet.
Polizei schießt in die Menge
Schließlich erteilt Polizeipräsident Johann Schober den Schießbefehl. Mit Gewehren und Revolvern feuern die Einsatzkräfte in die Menge beim Justizpalast. Insgesamt sterben an diesem Tag mindestens 89 Menschen, davon fünf Polizisten. Mehr als 800 Menschen werden verletzt. 700 Verhaftungen gibt es in der Folge, die zu rund 350 Verurteilungen führen - meist wegen Bagatelldelikten.
Oft wurde der Brand des Justizpalastes mit dem französischen Sturm auf die Bastille verglichen. Historiker sehen in den Ereignissen jedenfalls den Anfang vom Ende der Ersten Republik. Die Kluft zwischen den Lagern war nach der Revolte größer als je zuvor. Im Februar 1934 eskalierte sie schließlich im Bürgerkrieg.
(kron)