NS-Verbrecher: Ungarns lahme Justiz

NSVerbrecher Ungarns lahme Justiz
NSVerbrecher Ungarns lahme Justiz(c) EPA (BEA KALLOS)
  • Drucken

Der Fall des mutmaßlichen Ghettokommandanten von Košice, László Csatáry, ist seit Langem bekannt. Sein hohes Alter sollte Csatáry aber nicht vor einem Strafprozess schützen.

Derzeit hat es den Anschein, als dürfte einer der meistgesuchten Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs ungeschoren davonkommen. Der Grund: Die Mühlen der ungarischen Justiz mahlen zu langsam.

Dem heute in Budapest lebenden 97-jährigen László Csatáry wird vom Simon-Wiesenthal-Zentrum zur Last gelegt, tausende Juden in den Tod geschickt zu haben. Im September des Vorjahres hatte der Direktor des Jerusalemer Zentrums, Efraim Zuroff, gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher in Ungarn Anzeige erstattet. Zwar nahm die ungarische Generalstaatsanwaltschaft damals Ermittlungen auf, allerdings gegen „Unbekannt“ und nur äußerst schleppend.

Für Efraim Zuroff viel zu schleppend. Aus diesem Grund reiste Zuroff kürzlich nach Budapest, um eine Beschleunigung der Ermittlungen in der Causa Csatáry zu erwirken. So rief er die ungarische Justiz dazu auf, Csatáry so rasch wie möglich vor Gericht zu stellen. Weiterer Druck auf die ungarische Staatsanwaltschaft wurde jüngst auch durch die britische Boulevardzeitung „Sun“ ausgeübt. Am vergangenen Sonntag veröffentlichte das Blatt einen langen Bericht über Csatáry. „Sun“-Journalisten konnten den Mann sogar in seiner Budapester Wohnung ausfindig machen und fotografieren. Die Bilder gingen um die Welt.

„Könnte noch Jahre dauern“

Angesichts des wachsenden internationalen Drucks sah sich auch Ungarns Generalstaatsanwaltschaft genötigt, sich zu Wort zu melden. In einer Aussendung hieß es, dass die Ermittlungen in der Causa Csatáry mit Schwierigkeiten verbunden seien. Einerseits wurde darauf hingewiesen, dass Csatáry die ihm zur Last gelegten Verbrechen in der Stadt Košice in der heutigen Slowakei begangen habe, was die Arbeit der ungarischen Behörden massiv erschwere. Andererseits machte die Staatsanwaltschaft darauf aufmerksam, dass die Mehrzahl der jüdischen Opfer oder deren Angehörige nicht in Ungarn lebten. Der Rechtsprofessor der Universität Pécs, Mihály Tóth, sagte gegenüber der linksliberalen Zeitung „Népszabadság“, dass sich die Ermittlungen nicht zuletzt wegen dieser Gründe noch Jahre hinziehen könnten.

Sein hohes Alter sollte Csatáry nicht vor einem Strafprozess schützen. Im Gespräch mit der „Presse“ fordert Efraim Zuroff eine rasche Anklage: „Ein Prozess wäre gut für das Land, vor allem, um sein momentanes Image zu verbessern.“ László Csatáry war 1944 Kommandant des jüdischen Ghettos in der südslowakischen Stadt Košice, die damals zu Ungarn, einem Bündnispartner Hitler-Deutschlands, gehörte. In jenem Jahr wurden aus der Stadt über 15.000 Personen ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Laut ungarischen Historikern war Csatáry für seine Brutalität unter den Ghettobewohnern besonders berüchtigt. In Sachen Kaltblütigkeit soll er sogar den Deutschen zu weit gegangen sein.

Sein Name scheint seit Jahresbeginn auf der Liste der am meisten gesuchten NS-Kriegsverbrecher auf, die jährlich vom Simon-Wiesenthal-Zentrum herausgegeben wird.

Demonstration vor Wohnung

Nachdem der Bericht über Csatáry im Boulevardblatt „Sun“ am Sonntag erschienen war, suchten auch ungarische Aktivisten die Wohnung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers auf. An der Eingangstür zu Csatárys Wohnung brachten sie einen Zettel mit der Aufschrift „We never forget“ und mehrere Aufkleber mit durchgestrichenem Hakenkreuz an. Csatáry selbst soll mittlerweile seine Zweizimmerwohnung verlassen haben und untergetaucht sein.

Zur Person

Laszlo Csatáry soll 1944 als Polizeichef der Stadt Košice (heutige Slowakei, damals Ungarn) die Deportation von rund 15.700 Juden nach Auschwitz mitorganisiert haben. 1948 wurde er in der Tschechoslowakei in seiner Abwesenheit zum Tod verurteilt. Csatáry floh nach Kanada, erhielt 1955 die Staatsbürgerschaft, die ihm 1997 aberkannt wurde. Wenig später ließ er sich in Budapest nieder. [Sun]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.