Klassische Rallyes: Aus den Tagen der freien Liebe

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Wenn's gut geht, sind sie das Recycling unserer Fantasie von Autos als Skulpturen, von geschmackssicheren Menschen und dem Flanieren im hellen, weiten Geläuf.

Okay, das hört sich wirklich wunderbar an, das Recycling des guten Geschmacks. Bis auf den Wettersturz. Die farbenfrohe Vielfalt der klassischen Automobile reduziert sich plötzlich auf Basics. Marksteine der Ingenieurskunst verschwimmen in der Unschärfe.

Denn im Prinzip gibt es nur zwei Arten von Autos: offene und trockene.

Cabrios haben im Regelfall kuschelige Dächer zum Drüberstülpen, die zählen also nicht. Wir reden jetzt von Autos, die so offen sind, dass man sie als nackt bezeichnen kann. Unser Exemplar war eine badewannenartige Auslegung des Fortbewegungsgedankens. Wo selbst sehr offene Automobile noch eine Windschutzscheibe vorfinden, hatten wir einen schmalen Plexi-Streifen als Abrisskante und Tropfenbeschleuniger.

Die Tauernrunde ging über zehn Stunden und sieben Pässe. Die Dohlen krächzten in der Kälte, der Regen kam quer, und über der Nock verhallte der letzte Pfiff der Murmeltiere. Ihr Chef, verwirrt durch die Kapriolen, rief zum Winterschlaf.

Der Mann neben mir bot wenig Trost. Der ehemalige Formel-1-Pilot Jochen Mass ist jahrelang zur See gefahren, tausend Nächte in der Gischt gestanden und hat den Großen Bären gecheckt. Er querte den Atlantik im Ballon und wasserte vor Labrador.

Ich indes bin ein Kind der Stadt, hab den Großen Bären kaum geschaut, wasserte nie vor Labrador und brauche seit etlichen Jahren eine Lesebrille.

Lesebrille ist deshalb blöd, weil sie das heroische Moment des kaltnassen Offenfahrens banalisiert, diese stolze Gebärde des Erdenwurms gegen die Elemente. Die Nieren im Wasser, mit heißem Herzen und frostiger Stirn, da tritt ja einiger Zivilisationstrotz zutage, aber die Darstellung leidet, sobald der Navigator die Sturmbrille hochschiebt und ein waschelnasses Hilfsgerät zur Nase nestelt.

Immerhin verlangt man ja pingelige Navigation und oft genug Sekundengenauigkeit über die Gesamtlänge der Sonderprüfungen, bisweilen gar auf Hundertstelsekunden. Wenn du da mit der Brille schistelst, schaust du ungefähr so alt aus wie in echt.

Fulminante Geschichte

Wahrer Trost indes kommt aus der Tiefe der Historie. Wir saßen in einem Juwel der Motorsportgeschichte, einem 55 Jahre alten Rarissimum. Es wurden nur zwei Exemplare davon gebaut, namens Mercedes 300 SLS.

Erst kürzlich wurde das Kürzel SLS von Merecdes wieder ausgebaggert, es schmückt jetzt einen neuzeitlichen 200.000-Euro-Supersportwagen, das weitaus Abgehobenste, das die Firma derzeit zu bieten hat. Wie fassen wir die fulminante Geschichte am kürzesten zusammen?

Um in der Not der Nachkriegsjahre zum Rennsport zurückzukehren, musste sich Mercedes eine radikale Konstruktion mit einer besonderen Architektur des Rohrrahmens einfallen lassen. Da war aber kein Platz mehr für normale Einstiege – so wurden die Flügeltüren geboren. Aus der Not wurde die Tugend eines extrem erfolgreichen Rennwagens namens 300 SL in den Jahren 1952 bis 1955. Sodann ging es darum, das Erbe der Legende zu verwalten und dafür Kunden zu gewinnen, die nun keine Rennfahrer mehr waren. Die Klientel war hauptsächlich in Amerika, dort hatten sie die Kohle. Die waren nun entweder der Mode der Flügeltüren überdrüssig oder plagten sich zu sehr beim Hinein- und Herauswuzeln. Also ließ man den Flügeltürer nach 1400 verkauften Exemplaren auslaufen und legte 1957 den 300 SL Roadster mit normalen Türen auf (die Rohrrahmen-Architektonik hatte man mittlerweile bandscheibenschonend im Griff).

Der US-Importeur maulte, er brauche unbedingt einen Zipfel vom Glanz des Mercedes-Rennsports, um das neue Modell einzuführen, baute zwei Roadster auf eine dezente Rennversion um, 225 PS, und gab ihnen einen eigenen Namen: 300 SLS. Der Importeur suchte einen amerikanischen Fahrer, der Mann hieß Paul O'Shea.

Was sich damals in Amerika abspielte, waren die absoluten Heydays. Die Kultur des Motorsports erlebte die Epoche des Existenzialismus, die Tage der freien Liebe zum Auto und zur Rennerei, und wenn Sie jetzt nach einer wissenschaftlichen Untermauerung fragen, sage ich: Ansaugluft war gleich Atemluft. Wir wollen ein paar Rennstrecken nennen: Sebring, Nassau, Mosport, Watkins Glen, Bridgehampton und Elkhart Lake, mit Ikonen wie Fangio, Penske, Carroll Shelby, Chinetti, Musso, Peter Collins und Alfonso de Portago, mit Hawthorn, Brabham, Phil Hill, Stirling Moss und Colin Chapman. Schöner, aufregender ist es nachher nie wieder geworden.

Paul O'Shea brachte tatsächlich das Kunststück zuwege, die US-Meisterschaft 1957 gegen die Ferraris, Maseratis (Shelby!) und Jaguar-D-Types zu gewinnen. Eine unglaubliche Leistung, und damit war das Amerika-Projekt beendet. Sodann, das verschwimmt im Dunkel der Jahrzehnte: Beide Autos wurden verkauft und verschwanden.

Bis einer auf wundersame Weise im Ennstal auftauchte, knurrend und grummelnd den Pyhrnpass gewann, am Tauernpass durch den Nebel stieß und drei Stunden später auf der Nockalm gesehen wurde, in sauberen Schwüngen am kurzen Zügel, aus den beiden Endrohren schnaubend.

Man hat ihn also tatsächlich aufgestöbert. Er wurde von Mercedes zurückgekauft, in mehrjähriger Arbeit restauriert und gleich noch einmal als Kopie fürs Museum gefertigt. Und weil die Herren vom Mercedes-Museum ein großes Herz haben, sagen sie: Was zum Rennen gebaut wurde, soll wieder rennen. Dann suchen sie die tüchtigsten Burschen aus, ...den Rest können Sie sich vorstellen.

Artgerechte Haltung

Mercedes hat in den jüngsten hundertzehn Jahren schon genug gewonnen, von Monaco bis Buenos Aires, von Daytona bis Tripolis, mit Fangio und Moss, mit Schumi und Coulthard. Daher waren Jochen Mass und ich nicht angehalten, unbedingt auch noch die 20. Ennstal Classic zu gewinnen.

Wir durften uns in die artgerechte Haltung eines sportlichen Klassikers vertiefen, voller Harmonie am straffen Zügel, die Reindln werden ausgeschmiert in langen, eleganten Wischern, in den Spitzkehren untermalt mit köstlichem Plotzen und kernigem Grummeln im Auspuff, all das aus dem Überschwang eines Sechszylinders, den sie heute in den Vorlesungen an der TU als Musterstück an Wirkungsgrad und Kompaktheit vorführen.

Trotz aller Freude an der freien Liebe: Klassische Rallyes münden letztlich in eine strikte Prozedur, in ein Resultat, in eine Wertung. Es kann ja nicht um Raserei gehen, klar, auf öffentlichen Straßen. Also ist die Wahrnehmung der kleinen Einheit gefragt, ausgedrückt in Sekunden (bei vorgegebenen Durchschnittsgeschwindigkeiten) oder in Hundertstelsekunden (an speziellen Lichtschranken).

Die Wahrnehmung der Geringfügigkeit erhellt sich weder dem Jochen Mass noch mir in der wünschenswerten Qualität. Wir nähern uns diesen Pfadfinderaufgaben daher eher in der Lässigkeit von Lederstrumpf, dem Vorbild aller Pfadfinder. Statt in die vorgeschriebene Hunderstelsekunde zu gleiten, stolpern wir, dabei nicht unelegant, in die Lichtschranken und hoffen auf die Gnade des Zufalls, aber der Zufall liebt nicht immer die Tapferen.

Das lässt sich statistisch einordnen. Von 230 Startern dieser Ennstal Classic sind etwa 15% ausgefallen, wegen der Tücken der Technik, des Wetters oder der Psyche. Etwa 15%, am anderen Ende, gelten als Meister der retardierten und vielfach geübten Wahrnehmung, unter ihnen wird der Sieger herausgetüftelt. Weitere zehn Prozent scheren sich um rein gar nichts, die tschundern fröhlich durch die Gegend, halten sich bloß an die Geografie der Streckenführung. Bleiben 60%, die sich an die Vorgaben halten, aber in fröhlicher Lässigkeit, sie ziehen kein mathematisches Vokabular (km/h-Schnitttabelle) zu Hilfe und gacken sich nicht an vor der Lichtschranke.

Der berühmte Jochen Mass mit dem heiligmäßigen Mercedes 300 SLS wurde von mir auf Rang 146 geleitet. Am Ende haben wir uns dann glücklich abgeschnuddelt, denn wir mögen einander gern.

Resümee: Der Weg war der Weg, das Ziel war das Ziel, und unsere 9430 Strafpunkte haben wir uns ehrlich erworben, dagegen ist kein Einspruch zugelassen, Euer Ehren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2012)

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