Die echten Helden sind immer die Kleinen

Die neue, alte Lust am Kleinen. Gemeinsam mit Ski-Ass Hans Knauß haben wir in einem winzigen NSU gelernt: Ein Auto kann nie so klein sein, dass der Spaß auf der Strecke bleibt.

Downsizing gehört zum guten Stil der Stunde. Die Hubräume der Motoren werden kleiner, die Zylinder weniger, sogar die Autos selbst schrumpfen, bis aus elefantösen Geländewagen stadttaugliche Micro-SUVs geworden sind.

Wohin das führen wird? Und ob Autofahren in Zukunft noch lustig sein darf? All das ist ganz einfach zu beantworten. Weil die Zeit ja bekanntlich eine Schleife ist, kann man an der geeigneten Stelle rasch in die Vergangenheit zurückhüpfen und damit gleichzeitig einen Blick in die Zukunft wagen. Eine solche Kreuzung zur Zeitenüberschreitung ist die Ennstal Classic.

Gemeinsam mit dem ehemaligen Ski-Ass und heutigen ORF-Kommentator Hans Knauß wurden wir zu diesem Anlass in einen NSU 1200 TT gebeamt. Zu Beginn war der Hans ein wenig verdutzt. Man muss wissen, dass er nach seiner aktiven Skikarriere im zweiten Bildungsweg Rennfahrer war. Drei Saisonen lang bewegte er Porsche und Lamborghini in der GT3-Europameisterschaft am Limit, da darf man angesichts eines Kleinwagens mit kümmerlichen 65 PS schon einmal die Stirn runzeln.

Ein Amalgam namens Audi

Aber der Funke sprang dann doch schnell über, vor allem aufgrund einer charmanten Gemeinsamkeit: Das Auto stammt wie der Hans selbst aus dem Jahr 1971. Damals war der NSU allerdings einer der Letzten seiner Art, und die Marke selbst war schon fast verschwunden. Salopp gesagt hatte Volkswagen 1969 die Neckarsulmer Firma übernommen, mit der konzerneigenen Auto Union verknetet und das amalgamierte Gebilde fortan „Audi“ genannt.

Die grundlegende Konstruktion unseres NSU stammt aus der Mitte der Sechzigerjahre, als Autowaschen noch ein Familienspaß und die Ölkrise so unwirklich wie Perry Rhodan war. Schon die für heutige Verhältnisse seltsame Form zeigt, wie viel Wasser die Enns hinuntergeflossen ist. Generationen von Schulkindern haben diese Silhouette abgemalt, als archetypische Darstellung des Automobils an sich. Der Kofferraumdeckel ist fast deckungsgleich mit der Motorhaube, und wenn Sie jetzt denken, die Motorhaube wäre vorn, dann sollten Sie sich schämen. Motor im Heck, Antrieb auf die Hinterräder: So lautete das Grundrezept der Mobilität im Entry-Level-Bereich über viele Jahrzehnte – vom VW Käfer über den Puch 500 bis hin zum Skoda 1000.

Bei NSU war es der „Prinz“, der die Massen mobilisieren sollte. Was mit einem winzigen, 20 PS starken Auto begann, schwang sich rasch in die Höh. Man fand auch sportliches Potenzial, was aus heutiger Sicht nur mit Mühe nachvollziehbar ist, und so kam es 1967 zu unserem TT, einem Kürzel, das Audi heute noch pflegt.

Die Grundidee: Mit Doppelscheinwerfern und Doppelvergaser wurde aus dem braven Familienauto ein kleines Fun Car. Auch wenn 65 PS bescheiden anmuten – im Umfeld seiner Zeit war das gut doppelt so viel, wie man für notwendig hielt. Zudem musste das Maschinchen lediglich 685 Kilo in Schwung bringen, und so gilt der NSU TT als Vorläufer der GTI-Idee: Vernunft und Fahrspaß in kompakter Größe.

Bei der Ennstal Classic sind beide Talente gefragt. Während es dem Fahrer naturgemäß um den Spaß geht, hat der Beifahrer nichts gegen eine Portion Vernunft einzuwenden. Bei knapp 900 Kilometern auf alpinen Backroads sind weiche Sitze, Platz bei Bein und Schulter gut, schließende Türen und eine funktionierende Heizung (für die Bergpässe) keine Schande. Dabei zeigt sich, wie gut der TT die Basics der Mobilität damals schon beherrschte. Freilich in rührender Schlichtheit: Ein zweiter Außenspiegel oder ein fünfter Gang waren Luxusartikel, die man aus Kostengründen hintanstellen musste.

Dafür diente der Motor als Entertainmentsystem: Unter Beihilfe einer kurzen Getriebeübersetzung geht's hurtig voran, und je enger die Kurven werden, desto glänzender werden die Augen von Hans Knauß. In den Kehren ist der NSU TT fast unschlagbar: Da ledert man sogar die Supercars im Feld ab und beginnt zu verstehen, warum die Rennversion unseres Autos, der TTS, „Deutscher Bergmeister“ wurde und noch heute bei Autoslalom-Wettbewerben fährt.

Es braucht nicht viele Kurven, bis Hans zur artgerechten Bewegung des NSU gefunden hat. Seine Fahrweise changiert zwischen munterem Cruising über die Landstraßen und markigen Showeinlagen in den Kurven. Als Lokalmatador ist er seinem Publikum verpflichtet, und er kommt dem Auftrag gern nach – nicht nur beim Fahren, wenn er emsig winkt und fleißig hupt, sondern auch in den Pausen, in denen er Autogramme schreibt. Von den Stars bei der Ennstal Classic ist er fürs breite Publikum der greifbarste, und davon wird reichlich Gebrauch gemacht.

Für den Beifahrer ist der Hans ein Glücksfall. Nicht nur in fahrerischer Hinsicht, wo des Racers Auge für die Linie auf gutes Gespür fürs Material trifft; auch in Sachen Ehrgeiz, der einen entspannten Mittelweg einschlägt. Wir schauen auf die Wertung, nehmen unsere Niederlagen aber mit Humor.

So genießen wir zurückgelehnt unsere Zeitreise, in deren Verlauf erkennbar wird, dass wir nicht nur auf den schönsten Straßen Österreichs, sondern auch auf einer Welle der Sympathie unterwegs sind. Denn die Teuren und Raren mögen zwar bewundert werden – aber die richtigen Helden sind doch immer die Kleinen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2012)

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