Die Mühsal der alten Zeiten

Zeitreise (3). Nach dem Krieg wurden etliche Modelle von früher weitergebaut, weil es keine Alternative gab. Die echten Vorkriegsautos indes hatten ihre eigene Kultur der Rituale und Leiden. von Herbert Völker

Zum Beispiel der Bentley Blower (=Kompressor), Jahrgang 1930. Der mühsamste Teil ist die Schalterei, zwar mit innenliegendem Hebel, aber knapp am Körper und von solcher Pingeligkeit der verfeindeten Zahnräder, dass du alles tust, um im hohen Gang zu bleiben. Der Kompressor läuft dauernd, also nicht per Zuschalten, und die Maschine hat allen Dampf von unten heraus. Das heißt, du bewegst dich auf der Landstraße zwischen 1500 und 2500/min, darüber hinaus wird das Getöse dramatisch. Alles, was sich nicht im direkten Gang abspielt, ist von metallischer Akustik begleitet, die greinend, von Wimmern überlagert, um Erlösung fleht. In höchster Verzückung, also dem Schaltpunkt nahe, erinnert die Tonsetzung an die lebhaftesten Lamenti des Renaissancemusikers Gesualdo, der allerdings durch die Ermordung seiner Frau und deren Liebhaber mittlerweile als politisch nicht korrekt gilt.

Als Parallele und Zeitgenosse des Bentley Blower können wir den Mercedes SSK anführen. Herzstück aller Erfolge war Ferdinand Porsches Kompressormotor. Der Hubraum konnte von 7,1 bis 7,3 l reichen, und die PS konnten von den offiziell angegebenen 225 bis deutlich über 300 gehen. Und 710 Newtonmeter! Der SSK von 1928 hat die Kupplung links, Gas in der Mitte, Bremse rechts, erst ab Anfang der dreißiger Jahre wurden bei allen Autos die Pedale im heutigen Sinn angeordnet.

Die halbstündige Kaltstartzeremonie halten wir vor unserem Quartier ab, einem Landgasthof, der bis dahin zur Hotelbruderschaft der Silence Hotels gehörte.

Unser SSK ist 1760 kg schwer, und, uuuhh, ein Haucherl frontlastig. In Kurven schiebt er wie die Transsibirische Eisenbahn, und er bremst auch so ähnlich.

Sie aber werden fragen: Wie tut der Motor?

Er macht wundersüße Geräusche, wenn man diese Art von Geräuschen mag. Er schiebt naturgemäß sehr satt unten raus, der angenehmste Drehzahlbereich liegt zwischen 1500 und 2500/min, darüberhinaus wird er sehr laut und irgendwie gewalttätig. Allerdings kommen wir mit dem Kompressor nicht ganz klar. Er sollte sich über normales Kickdown zuschalten. Bei Vollgasstellung sind Getöse und Schub aber so gewaltig, dass wir nicht ganz sicher sind, wie weit da der Kompressor schon mitspielt.

Bis sich durch einen Zufall alles aufklärt.

Beim Überholen bleibt Jochen Mass länger als üblich auf Kickdown, und über das Grammeln und Plotzen und allgemeine Getöse legt sich ein entsetzlicher markdurchdringender heiserer Schrei, HEY, DER KOMPRESSOR!, wir schauen uns ganz glücklich an, jetzt sind wir komplett!, und der weiße Riese zieht noch einmal mächtig durch und drückt seine zwei Tonnen spurtmäßig den Berg rauf.

Der Schrei des Kompressors ist deshalb so irre, weil er sich in hoher Tonlage über das grundsätzliche Geplärr des Wagens legt, heiser, metallisch und brunftig wie Walrossbullen bei der Paarung, wie wir uns das halt vorstellen, dass die Eisschollen bröckeln.

Der ständige Fahrtwind, die Schläge des eisernen Rahmens, der dumpfe Nachhall der Federpakete, das Vibrato dieser seltsamen Dämpfer, das Geradeausschieben des Bullen und die Balgerei beim Einlenken und Nachlenken und Nochmalnachlenken, darunter das Gedröhn von Motor und Auspuff, darüber das heisere Schreien und Kirren der Walroßbullen führt dich in diese glückselige Verblödung, die du erlebst, wenn du an besonderen Tagen unter wunderbaren Umständen ein außergewöhnliches offenes Auto fährst.

Nach Zeitkontrollen laufen wir immer wieder auf einen Engländer auf, wie er seinen kleinen Bugatti mit vollem Herzen durch die Ecken presst. In Rechtskurven hängt er sich bis zum Arsch aus dem Auto, wie es alle Bugattisti immer getan haben, wenn sie es ernst meinten. So wie die Bentley-Boys und die Helden auf dem SSK immer getan haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2012)

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