Physik lässt freien Willen zu

Physik laesst freien Willen
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Innsbrucker Quantentheoretiker haben ein Gedächtnismodell konstruiert, in dem es Raum für Freiheit gibt. Wir sind die Herren respektive Frauen unserer Handlungen.

Es ist eine uralte Frage – und immer noch das größte Rätsel der Wissenschaft: Wie kann es in einer von Naturgesetzen bestimmten Welt Willensfreiheit geben? Unser Selbstbild als Mensch steht und fällt damit, dass wir uns als selbstbestimmt wahrnehmen: Wir sind die Herren respektive Frauen unserer Handlungen. Wir bestimmen z.B. autonom, ob wir jetzt die Zeitung weglegen und auf den Balkon gehen. Es erscheint absurd, dass „uns“ der Körper zu diesen Handlungen zwingt, weil er wie eine biochemische Maschine einen Sauerstoffmangel im Blut festgestellt hat.

Dennoch: Wenn man das wissenschaftliche Weltbild akzeptiert, laut dem alles gemäß Naturgesetzen ablaufen muss (und es daher auch keinen unkörperlichen „Geist“ geben kann), dann ist unsere Wahrnehmung, dass wir selbstbestimmt sind, zweifelhaft. Viele Forscher sind auch der Ansicht, dass der freie Wille eine bloße Illusion ist. Aber ebenso viele halten den Widerspruch nur für einen scheinbaren. Manche argumentieren, dass man noch nicht alle Naturgesetze kennt – in der Hoffnung, mit erst zu entdeckenden neuen Gesetze ließen sich Geist, Bewusstsein, freier Wille etc. erklären.

Das sei aber gar nicht nötig, behauptet nun Hans Briegel, Physiker an der Uni Innsbruck und am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der ÖAW. Er hat in einem FWF-Projekt gemeinsam mit Gemma De las Cuevas eine „projektive Simulation“ konstruiert, das ausschließlich auf physikalischen Gesetzen beruht, aber dennoch Raum für Kreativität oder freien Willen zulässt (Nature Scientific Reports, 20. Juli 2012).


Zufall im System. Dieses Modell nutzt den wohl einzig möglichen Ausweg aus dem Dilemma Naturgesetz vs. Freiheit: Es lässt Zufallsprozesse zu. Diese sind in der Natur weitverbreitet – von Molekularbewegungen bis hin zu Quanteneffekten. Die Gesetze, die solche Vorgänge beschreiben, sind zwar kausal (aus einer Ursache folgt eine Wirkung), aber nicht deterministisch (sie laufen nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ab). Unter Philosophen ist der Rückgriff auf Zufallsprozesse derzeit verpönt. Das Argument: Zufälle würden aus der Fremdbestimmtheit durch Naturgesetze keine Selbstbestimmtheit machen, weil alles Handeln dann durch den Zufall bestimmt wäre.

Dieses Argument lässt Briegel aber für sein Modell nicht gelten. Darin wird die Struktur des sogenannten episodisch-kompositorischen Gedächtnisses simuliert: Frühere Handlungen sind in Form von kleinen Fragmenten („Clips“) gespeichert und netzwerkartig miteinander verbunden. Wenn nun auf ein bestimmtes Ereignis mit einer Handlung geantwortet werden soll, dann werden in einer Zufallsbewegung die damit zusammenhängenden Clips abgerufen. Dieses „Stolpern“ durch die Erinnerung wird durch Übergangswahrscheinlichkeiten bestimmt, die aufgrund der Erfahrung verändert werden können – die Maschine lernt durch Erfolg oder Misserfolg. Zudem können einzelne Clips mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verändert werden, aus ihnen entstehen neue Clips mit neuen Erfahrungsinhalten.

Das bedeutet, dass auf Basis von früheren Erfahrungen neue, fiktive Szenarien entworfen werden. Wenn sich eine Handlung, die auf neuen Clips basiert, bewährt, dann werden die Clips in das Gedächtnis integriert und wie echte Erfahrungen behandelt. „So beeinflusst die Fiktion die tatsächlichen Handlungen“, so Briegel.

Dieses Modell sei keine Erklärung für das Bewusstsein oder eine Theorie über die Funktionsweise des Gehirns, merkt er an. „Das überlasse ich den Hirnforschern.“ Aber es zeige, wie in ausreichend komplexen Systemen, die auf allen Ebenen den Gesetzen der Physik unterworfen sind, dennoch ein Spielraum entstehe und genutzt werden könne. „Die Existenz eines solchen Spielraums ist die Voraussetzung für die Möglichkeit von Freiheit und letztendlich für freien Willen.“ Da das Modell auf bekannten Naturgesetzen beruht, kann es im Prinzip auch mit existierenden Technologien umgesetzt werden. Denkbar ist etwa ein Quantenroboter, der in seinem Gedächtnis Grundzüge eines kreativen Verhaltens entwickelt und damit flexibler wird.

Briegel betont, dass es für sein Ergebnis keine Rolle spiele, wie unser Gehirn tatsächlich arbeitet. „Selbst wenn die menschliche Freiheit am Ende eine Illusion sein sollte, wären die Menschen im Prinzip dennoch in der Lage, freie Roboter zu bauen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2012)

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