Wien Mobil: "Wir brauchen ein Miteinander"

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Die Stadt wirbt für mehr Fairness auf den Straßen und will selbst Mödlinger zum Pendeln per Rad animieren. Die Radfahrer werden rasant mehr. Im vergangenen Jahr wurde ein Zuwachs um 20 Prozent in Wien verzeichnet.

Für tausende Radfahrer wird es ab heute, Montag, eng. Der Ring-Rund-Radweg ist (laut Plan) bis 19. Oktober wieder teils Baustelle. Schon vorigen Sommer wurde der Radweg ausgebaut, nun sollen die Lücken am äußeren Ring von der Babenberger Straße bis zur verlängerten Stadiongasse geschlossen werden. Einzig am äußeren Universitätsring rund um das Schottentor kann man den Ring auch im Herbst noch nicht durchgehend mit dem Rad befahren – der weitere Ausbau ist in Planung. Die Stadt trägt mit dem Ausbau des meistfrequentierten Radwegs Wiens – im Schnitt passieren diesen täglich 2800, an Spitzentagen bis zu 6000 Radler – einer Entwicklung Rechnung, die seit Jahren nicht zu übersehen ist: Die Radfahrer werden rasant mehr.

Im vergangenen Jahr wurde ein Zuwachs um 20 Prozent in Wien verzeichnet. Die jüngsten Zahlen zeigen: Dieser Trend hält an. So wurden in Wien im ersten Halbjahr wochentags um sechs Prozent mehr Radfahrer gezählt als ein Jahr zuvor, an den Wochenenden haben um gut zehn Prozent mehr Radfahrer die acht Zählstellen der Stadt passiert. Diese Zuwächse spiegeln den Trend anderer Städte Europas, sagt Martin Blum. Er ist seit November 2011 Wiens erster Radfahrbeauftragter.

„Wir sind in Wien nicht im Spitzenfeld, aber wir haben eine gute Ausgangsbasis.“ Das Fahrrad sei in wenigen Jahren zum anerkannten Verkehrsmittel geworden, man lasse sich gern damit sehen. „Das Rad hat mittlerweile viele Attribute, die einst Autos hatten: Sie sind ein Statussymbol, stehen für einen Lifestyle, für Freiheit“, sagt Blum.

Der Siegeszug der Radfahrer geht nicht spannungsfrei vonstatten. Kaum ein Thema wird in Wien hitziger debattiert als die Frage, wie man die Stadt auf ihre Bewohner samt ihren Verkehrsmitteln aufteilt. „In den Gründerzeit-Vierteln ist der Platz eng und umkämpft. Es ist gut, dass der Diskussionsprozess im Gange ist. Es ist schon viel passiert“, sagt Blum. Er beobachte, dass Autofahrer mittlerweile mehr Rücksicht nehmen – und umgekehrt. „Es ist ein kontroversielles Thema, das ist immer so, wenn etwas im Wandel ist. Aber wir brauchen ein Miteinander.“

Je mehr Radler auf der Straße unterwegs seien, umso entspannter würde das Verhältnis. Je akzeptierter das Rad als gleichwertiges Verkehrsmittel, umso eher hielten sich Radler an die Regeln. Indizien dafür, dass Radfahrer öfter Regeln brechen als andere Verkehrsteilnehmer, gebe es nicht.

20 neue Radweg-Kilometer

Auch das Rathaus will das Wettkampfdenken besänftigen. Dazu wurde Ende Mai eine Kampagne für mehr Fairness („Tschuldigen!“ „Passt schon“) gestartet, die sich die Stadt (in diesem Fall die MA 18 für Stadtentwicklung) 338.000 Euro kosten lässt. „Bewusstseinskampagnen haben schon bei anderen Problemen viel bewirkt – Stichwort Hundekot“, sagt Blum.

Die aktuelle Strategie der Stadt, wie der Platz aufgeteilt werden soll, sieht vor, dass der Radverkehr auf den Hauptverkehrsrouten baulich getrennt von den Autos läuft, im übrigen Straßennetz soll er auf markierten Streifen mitlaufen. In Summe wird das Wiener Radverkehrsnetz heuer laut Plan um 20 Kilometer auf 1220 Kilometer wachsen. Aktuell wird neben dem Ring auch das Areal um den künftigen Hauptbahnhof erschlossen, ein zusätzlicher Fokus liegt auf dem 22. Bezirk. Im Büro von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou beziffert man die Kosten für den Ausbau der Radwege mit einem einstelligen Millionenbetrag. 24 Bauprojekte hat sich das Rathaus für 2012 vorgenommen. In Ottakring entsteht noch im Sommer Wiens erste fahrradfreundliche Straße, die Hasnerstraße. Mit dem Plan, auch die Pfeilgasse durch die Josefstadt zu so einer Fahrradstraße zu machen, ist die Stadt allerdings jüngst am Widerstand des Bezirks gescheitert. Neue Rad-Highways sind derzeit nicht geplant. Angedacht aber wohl. „Es geht darum, hochrangige Radrouten in die Stadt zu schaffen“, sagt Blum. Derzeit arbeitet er – auch in Kooperation mit der TU – an Konzepten für eine Verbindung von Floridsdorf ins Zentrum oder von Mödling nach Meidling. Noch stecken diese Routen aber in der Phase der Konzipierung.

Diese neuen Wege sollen mehr Menschen zum Fahrradfahren bringen. Dazu soll auch die Radkonferenz Velo City beitragen, die im Juni 2013 mit einem ausgedehnten Rahmenprogramm rund ums Fahrradfahren in Wien stattfinden wird. In anderen Städten, so Blum, habe die Velo City viel bewegt.

Rad-Highway nach Floridsdorf

Wie er noch mehr Wiener zum Umsteigen motivieren will? „Durch Infrastruktur, Bewusstseinsbildung, Gewohnheitsbildung.“ Auch Wienern, die sich bisher nicht trauen, will er das Fahrradfahren schmackhaft machen. Eltern mit Kindern zum Beispiel. „Dazu wäre ein flächendeckendes Tempo 30 abseits der Hauptverkehrsrouten wichtig.“ Schon jetzt nehmen die Kindersitze und Anhänger zu. Auch andere unkonventionellere Räder: Im Juni, erzählt Blum, habe ein Händler von Lastenrädern so viele Fahrzeuge verkauft wie im ganzen Jahr 2011.

„Kinder sind auch für das Image wichtig“, sagt Blum. So wie Frauen. Derzeit beträgt das Verhältnis von Frauen zu Männern auf den Radwegen noch 40 zu 60. „In führenden Radstädten, Kopenhagen oder München, ist es ausgeglichen.“ Diese Städte sind auch Vorbild beim Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr: Kopenhagen mit 35 Prozent, München mit 17 Prozent. Langfristig zumindest. Vorerst hat Wien als Ziel definiert, dass der Anteil 2015 zehn Prozent erreichen soll. Aktuell liegt er bei sechs Prozent. Was fehlt Wien im Vergleich zu Kopenhagen oder München? „Sie sind uns in der Zeit voraus. Kopenhagen hat schon in den 70er-Jahren begonnen, den Radverkehr aktiv zu fördern“, sagt Blum. Nun aber hole Wien auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2012)

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