Das wohltuende Schweigen des Servierpersonals

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SymbolbildREUTERS/Victor Fraile
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Ein wenig irritierend war er schon, der Erstkontakt mit dem Kellner des Gasthauses in Rudolfsheim-Fünfhaus.

Ein wenig irritierend war er schon, der Erstkontakt mit dem Kellner des Gasthauses in Rudolfsheim-Fünfhaus. Wie er sich so vor dem Tisch aufbaute und seinen stechenden Blick auf mich richtete – das hatte schon etwas Bedrohliches. Noch bedrohlicher war, dass er kein Wort sagte. Nur schaute. Nun, nach der ersten Schrecksekunde bestellte ich ein Bier. Seine Mimik blieb unverändert, als er auch nacheinander all die anderen am Tisch taxierte. Und bei keinem änderte er den Gesichtsausdruck, bei keinem zeigte er eine irgendwie geartete Reaktion, ob er das Gehörte denn auch verstanden hatte. In Situationen wie diesen meint man sogar Paul Watzlawicks Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ widerlegen zu können. Doch weit gefehlt, denn zwei Minuten später standen die bestellten Getränke auf dem Tisch. Es war lediglich eine auf das absolut Wesentliche reduzierte Kommunikation, die aufseiten des Kellners ohne jegliche verbale oder nonverbale Äußerung auskam.

Und spätestens ab diesem Moment wich das Bedrohliche sofort einer völlig gegenteiligen Stimmung. Es war angenehm. Kein pseudoamikales Gehabe, keine schlüpfrigen Kellnerwitze, kein schunkelfreudiges Verbalumtata bei der Entgegennahme der Bestellung. Und vor allem: keine pseudohöflichen Floskeln. Diese angloamerikanische Unart hat sich nämlich in den letzten Jahren heimlich und still des Sprachschatzes sämtlichen Verkaufs- und Bedienungspersonals bemächtigt und droht den natürlichen Widerwillen durch geheuchelte Freundlichkeit zu verdrängen. Warum muss etwa ein Kellner lächelnd „Gern“ sagen, wenn man ihn bittet, noch ein Getränk zu bringen? Wo doch ein einfaches „Ja“, ein „Okay“ oder was auch immer genügen würde, um zu signalisieren, dass die Botschaft angekommen ist. Oder auch nur Schweigen. Und im Übrigen glaube ich nicht, dass der Kellner in Rudolfsheim-Fünfhaus das Bier ungern gebracht hat.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2012)

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