Die Zerstörung von islamischem Kulturerbe im Namen des Islam

Radikale Muslime haben im westafrikanischen Mali wertvolle Kulturschätze vernichtet. Ähnliche Konflikte drohen auch in Ägypten.

Islamistische Rebellen zerstören im Norden Malis Grabmäler ihrer eigenen Religion. In Timbuktu stürmen Anhänger der Ansar-ad-Din-Gruppe die Mausoleen von Volksheiligen. Der Führer dieser Fanatiker, Iyad Ag Ghali, hat sich während seiner Reisen in Saudiarabien beziehungsweise Pakistan vom Trinker und Partylöwen zum streng frommen Muslimen geläutert.

Ein bekannter Parcours vieler Radikaler, bei Osama bin Laden verhielt es sich ähnlich. Überzeugt von den Prinzipien eines rigiden Monotheismus richtet sich ihr Hass gegen jede Verehrung von Verstorbenen.

Die Schiiten, die zehn Prozent der Muslime weltweit ausmachen, werden von rigiden Sunniten daher als „Knochenanbeter“ und damit Ungläubige verachtet. Denn die Schiiten haben ihren wesentlichen Imamen, wie Ali und Hussein, sowie Fatima, der Tochter des Propheten Mohammed, Schreine errichtet. Schiitische Moscheen und Prozessionen waren im Irak seit 2003 Ziele von Terror. Tausende Menschen kamen zu Tode, altes Kulturgut wurde zerstört.

Was sich in Mali abspielt, ist eine Neuauflage dieser alten Zerstörungswut. Anfang Juli drangen die Ansar-ad-Din-Milizionäre in 16 Mausoleen in Timbuktu, der „Perle der Wüste“, ein. Hier sind Gelehrte aus der Blütezeit der Region im 16. Jahrhundert begraben. Mit ihnen ruhen an diesem Ort auch alte Manuskripte, das Erbe einer reichen Schriftkultur.

Aufnahme als Unesco-Kulturerbe

Patrizierfamilien von Timbuktu, die Sammlungen dieser Texte privat besitzen, konnten ihre Schätze in Sicherheit bringen. Schon oft mussten sie ihr Kulturgut retten, früher vor europäischen Kolonisatoren, heute vor Islamisten.

Die Unesco, die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, hatte das Architektur-Erbe von Timbuktu und Gao in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Wissenschaftliche Projekte, die unter anderem von der südafrikanischen Regierung im Sinne einer „afrikanischen Renaissance“ gefördert wurden, haben zur Erkundung der Geschichte in Mali beigetragen. Paradoxerweise reizte gerade die Unesco-Liste die Bilderstürmer. So konnten sich die Anhänger von Ansar ad-Din, übersetzt „Verteidiger der Religion“, als Speerspitze gegen ausländische Einmischung präsentieren.

Eine alte Bruchlinie auf dem afrikanischen Kontinent offenbart sich wieder – zwischen muslimisch dominiertem arabischen Norden und Subsahara Afrika, wo sich neben Naturreligionen und dem aufgezwungenen Christentum auch ein mystisch geprägter afrikanischer Islam herausgebildet hatte. Diese Gräben vertiefen sich mit dem Anstieg der Zahl islamistischer Fanatiker in der Gegenwart.

Dass die Sahelzone in Nordwestafrika zum neuen Afghanistan, im Sinne eines Aufmarschgebietes diverser Terroristen, wird, hat sich herumgesprochen. Und dennoch ermöglichte erst der Westen mit der Nato- Operation in Libyen 2011 die Destabilisierung dieser fragilen Weltecke: Kämpfer, Geld und Waffen gelangten über Libyen weiter nach Mali.

Epoche der Dunkelheit

Anders als bei der Sprengung der Buddhastatuen im Bamian-Tal in Afghanistan im Jahr 2001 zerstören Islamisten nun ihr eigenes Kulturerbe. Damals wollten die Täter die Spuren des frühen Buddhismus verwischen. Denn vorislamisches Kulturerbe anzuerkennen verursacht ein Dilemma. Erst mit der Offenbarung des Islams an den Propheten fand die Epoche der Dunkelheit und Ignoranz, arabisch „al-Jahiliya“, ihr Ende. Was davor kulturell existierte, findet in dieser Geschichtsbetrachtung kaum Raum.

Das zivilisatorische Erbe der Pharaonenzeit könnte auch noch für Streit unter den islamistischen Machthabern am Nil sorgen. Den Salafisten, die rund 25 Prozent bei den Parlamentswahlen gewannen, sind die archäologischen Spuren der Mythologie ein Dorn im Auge. Denn Skulpturen, die Frauenkörper in aller Fülle zeigen, Götter als Mischwesen von Tier und Mensch und auch die schöne Sammlung der Bilder im Museum moderner Kunst in Kairo passen nicht in ein verschrobenes Weltbild.

Als Salafisten bezeichnet man generell die strenggläubigen Wahhabiten außerhalb Saudiarabiens. In ihrer Welt haben Bilder und Musik keinen Platz. Sie wollen zwar wie die Gefährten des Propheten leben, verwenden aber dennoch aktuelle Technik.

Als im Sommer 2010 der Louvre in Paris eine Ausstellung unter dem Titel „Routes d'Arabie“ ausrichtete, fiel ein Tabu. Erstmals zeigte das wahhabitische Königreich Saudiarabien Kulturschätze der arabischen Halbinsel aus vorislamischer Epoche. Hatte nicht der Prophet Mohammed die Tempel der Vielgötterei zerstört und nun wurden die Überreste ausgestellt! Sponsor war der Ölkonzern Total. Mancher wollte in diesem Projekt eine saudische Volte in Richtung Öffnung erkennen. Einer der Motoren hinter dieser Initiative ist Prinz Salman (76). Auch König Abdullah (87) musste wohl intern den Klerus beruhigen.

Doch weit gefehlt. Eine Ausstellung macht noch keine Reform. Wie wohl auch ein Dialogzentrum in Wien noch keine Religionsfreiheit ermöglicht.

Weniger innovativ war Rafik Hariri im Libanon. Der 2005 ermordete frühere Premier finanzierte teils aus Privatvermögen den Wiederaufbau von Beirut nach dem Bürgerkrieg. Es wäre der ideale Moment gewesen, die vielen Schichten der alten Metropole zu bearbeiten. Nur wenige symbolische Teile wurden vor Zubetonierung geschützt. Hariri wollte kein politisches Risiko eingehen und verhinderte mit Immobiliendeals die Arbeit der Archäologen. Denn die Ära der Phönizier, des Hellenismus, der Kreuzritter usw. ist jeweils mit einer umstrittenen politischen Interpretation verbunden.

Fundis unter sich

Im Orient, wo Politik und Religion fatal vermengt sind, übernimmt die Archäologie oft eine politische Funktion. Dies gilt unter anderem für Israel, wo hochrangige Militärs oft auch Hobby-Archäologen waren und sind. Als der aus Mähren stammende Orientalist Alois Musil, Cousin des Schriftstellers Robert, das Schloss Qusair Amra bei Amman vor rund hundert Jahren freilegte, stieß er auf Fresken mit Badeszenen, erotischen Posen, Tieren etc. Diese Wandbemalungen sind Zeugnis für die frühe islamische Kunst ohne religiöse Inhalte.

Das Verbot, naturgetreue Bilder anzufertigen, ist eine spätere Entwicklung des Islam. Doch für Fundamentalisten ist diese Erkenntnis kaum vorstellbar. Ebenso muss es sich mit den Bilderstürmern der Reformation im 16. Jahrhundert in Europa verhalten haben. Die Darstellung von Jesus und Heiligen war den Reformatoren zuwider, sie stürmten die Kirchen. Ihnen erschien jede Kunst als Götzendienst. Und wie bedienten sich doch die Päpste am Kolosseum in Rom als Steinbruch.

Kulturbanausen und gefährliche Ignoranten finden sich zu allen Zeiten in allen Religionen. Mutige Menschen versuchen nun in Mali ihr Erbe zu retten, andere werden es in Syrien tun müssen, bevor Fanatismus nach den Menschen auch Kulturgut tötet.


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Zur Person

Karin Kneissl studierte Jus und Arabistik in Wien, war von 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst in Paris und Madrid tätig. Danach Lehrtätigkeit. Zahlreiche Publikationen, darunter: „Der Energiepoker“ (2008); vor Kurzem erschienen: „Revolution. Testosteron macht Politik“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2012)

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