Berlin stellt sich gegen eine Bankenlizenz für den Euro-Rettungsschirm, gegen massive Anleihenankäufe der Europäische Zentralbank (EZB) und verliert damit immer mehr europäische Verbündete.
Wien/Berlin. „Wir wollen nicht den Weg in eine Inflationsunion, sondern wir haben den Weg beschritten in eine Stabilitätsunion“, beschwört Deutschlands Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Seit Tagen kämpft die deutsche Bundesregierung gemeinsam mit der Bundesbankführung gegen eine Aufweichung des auf Sparen und Reformen ausgerichteten Kurses in der europäischen Schuldenkrise. Die Bundesbank unter ihrem Präsidenten Jens Weidmann stellt sich gegen neue massive Ankäufe von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB), und die Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sperrt sich gegen eine Bankenlizenz für den neuen Euro-Rettungsfonds ESM. Damit würde nämlich ihrer Ansicht nach der Druck auf die hoch verschuldeten Länder sinken, Reformen und Sparkurs fortzusetzen.
Zum Unterschied von diesen nun diskutierten Maßnahme waren alle bisherigen Hilfsprogramme eng begrenzt. Erhielte der Euro-Rettungsschirm eine Banklizenz, könnte er fast grenzenlos Staatsanleihen von hoch verschuldeten Ländern ankaufen. Er dürfte sie als Sicherheit bei der EZB hinterlegen, und sich damit bei der Zentralbank immer wieder neues Geld borgen. Der Effekt wäre, dass sich der Zinsdruck für angeschlagene Länder aller Voraussicht nach reduzieren würde. Funktioniert die Intervention, könnten sie sich leichter wieder über die Märkte finanzieren. Allerdings besteht auch das hohe Risiko, dass dieses System ein Fass ohne Boden wird. Die Inflation könnte letztlich massiv steigen und damit die Stabilität des Euro gefährden.
Es gibt einen formalen Grund, warum die deutsche Regierung bremst: „Deutschland hat hier wenig Handlungsspielraum, weil noch das Urteil des Verfassungsgerichtshofs über den ESM ausständig ist“, so der Direktor des Brüssel-Büros der Bertelsmannstiftung, Thomas Fischer, im Gespräch mit der „Presse“. Ein Beschluss über eine unbegrenzte Ausweitung des Rettungsfonds könnte die Ratifizierung in Deutschland gänzlich verhindern.
Darüber hinaus gibt es aber auch einen politischen Grund: Angela Merkel und ihre Regierung haben mit ihrem strikten Nein zu solchen Optionen im Inland bisher punkten können. 59 Prozent der Deutschen sind derzeit der Ansicht, dass Merkel in der Krise „richtig und entschlossen“ handelt. Die Bevölkerung erwartet laut der für die ARD durchgeführten Umfrage, dass sich die Krise noch weiter verschärfen werde. Sie sehen die Gefahr, dass Deutschland letztlich für die Haftungen zugunsten maroder Euro-Länder aufkommen müsse. „Die Deutschen fürchten, dass eine grenzenlose Ausweitung des Rettungsschirms die Bürgschaften für andere Euroländer unüberschaubar machen“, so Fischer. Deshalb unterstützt die Bevölkerung den harten Kurs gegenüber Schuldnerländern, der zurzeit auf immer neue Sparanstrengungen hinausläuft.
Allerdings ist Deutschland mit dieser Haltung innerhalb der Eurozone, aber auch international, immer stärker isoliert. Aus Washington flog zuletzt eigens der amerikanische Finanzminister Timothy Geithner ein, um seinen deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble (CDU) zur Abkehr von diesem Kurs zu bewegen. Selbst der sonst strikt auf der deutschen Linie segelnde finnische Ministerpräsident Jyrki Katainen spricht sich nun dafür aus, dass der Rettungsschirm Staatsanleihen von Ländern wie Italien kaufen soll, um die heikle Situation zu entspannen.
Achse Paris, Madrid, Rom
Frankreichs neuer Präsident François Hollande hat mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti und dem spanischen Premier Mariano Rajoy eine neue Achse geschmiedet, die intensiv daran arbeitet, einen Gegenpol zu der von Deutschland vorgegebenen Sparpolitik aufzubauen. Sie fordern monetäre Maßnahmen durch die EZB, um das Wirtschaftswachstum anzutreiben und die Abwärtsspirale für hoch verschuldete Länder endlich zu beenden.

Auch Fischer von der Bertelsmannstiftung sieht Deutschland derzeit isoliert, glaubt aber nicht, dass die Regierung in Berlin letztlich übergangen wird. Er hält es für bedeutend problematischer, dass es derzeit sowohl für einen kurzfristigen monetären Lösungsansatz als auch für einen „eigentlich besseren“, längerfristigen politischen Lösungsansatz über neue europäische Integrationsschritte eine Pattstellung gebe. Denn seiner Meinung nach könnten eine engere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit und eine gemeinsame Fiskalpolitik ebenfalls eine Entspannung für die Eurozone bringen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2012)