Olympia „elektrisiert“ nicht nur London

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Symbolbild(c) AP (Patrick Semansky)
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Bei den Briten war das Großereignis in London lange unbeliebt. Durch sportliche Erfolge vollzog sich ein Stimmungswandel, das Momentum ist erreicht. Kosten, Terror und soziale Bedenken rückten in den Hintergrund.

London. Anfangs waren die Briten skeptisch, als es darum ging, in London zum dritten Mal nach 1908 und 1948 Olympische Sommerspiele auszutragen. Befürchtungen von Staus, Terrorangriffen und steigenden Preisen für Mieten und Bier machten die Runde. 15.000 Soldaten würden das Stadtbild Londons prägen. Auch sorgten sich viele darum, dass die Ausgaben für Olympia – sie sollen sich auf zwölf Milliarden Euro belaufen – zulasten der Steuerzahler gehen. Doch seit dem Wochenende ist in Großbritannien alles anders, jetzt überwiegt Euphorie. Denn die Briten gewinnen eine Goldmedaille nach der anderen. Sogar in Wimbledon, Andy Murray besiegte im Endspiel Roger Federer.

Im Olympiastadion dröhnte ohrenbetäubender Lärm, als der somalischstämmige Mo Farah den 10.000-Meter-Lauf gewann. 80.000 Besucher applaudierten, als die britische Siebenkämpferin Jessica Ennis triumphierte. Bei Weitspringer Greg Rutherford konnte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Und als feststand, dass die Ruderer neun Medaillen gewannen und damit einen Rekord aufstellten, war die „Insel“ endgültig vom Event der fünf Ringe erobert.

Kingdom, tatsächlich „united“

Die Atmosphäre sei „elektrisch“, twitterte Premierminister David Cameron. Das ist sie fürwahr, denn Farah, der als achtjähriger Flüchtling nach London gekommen war und später den britischen Pass erhalten hatte, gilt nun als „everybody's darling“. Das ist nicht nur ein Erfolg auf der Laufbahn, sondern auch für die Gesellschaft – die Spiele schließen (vorerst) den Kreis zwischen Einwanderern und der britischen Mehrheitsgesellschaft.

Sein Sieg markiert den bisherigen Höhepunkt dieser Spiele und gibt vielen der 2,6 Millionen Arbeitslosen in diesem Land neuen Antrieb. Das Land durchlebt seine schwerste Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren, viele Sektoren spüren die Folgen der rigorosen Sparprogramme der Regierung. Nur das Klagen der Einzelhändler hält an – für sie ist Olympia kein Geschäft. Die Touristen gehen lieber zum Sport als in Einkaufszentren.

So rückt der bisweilen absurd anmutende Kommerz der Spiele, begleitet von überaus penetrantem Markenschutz für die olympischen Sponsoren, in den Hintergrund. Besucher ohne Bargeld können im Olympia-Park etwa nur mit Visa-Karte bezahlen, und Athleten ist es nicht gestattet, sich über ihre eigenen Sponsoren zu äußern, sofern diese nicht auch mit dem Veranstalter im Geschäft sind. Essens- und Getränkepreise an den Wettkampfstätten sind für Besucher exorbitant. 4,50 Pfund, also 5,70 Euro, kostet ein Pint Bier.

Für den Veranstalter, das Internationale Olympische Komitee, geht die Rechnung bei den Spielen in London aber vollends auf. Sie sind der krönende Abschluss der bislang ertragreichsten „Geschäftsperiode“ der Olympiageschichte. Für die Winterspiele 2010 in Vancouver und das Ereignis in London nahm das IOC aus dem gekoppelten Verkauf der TV-Rechte 3,914 Milliarden US-Dollar, ca. 3,19 Mrd. Euro und aus dem Sponsorenprogramm mit dem klingenden Namen „Top“ (The Olympic Partners) weitere 779 Millionen Euro ein.

Für diese gigantischen Summen sind aber überwiegend die Sportler und deren Leistungen verantwortlich. Ohne sie würden TV-Sender und Sponsoren auch ihre Budgets nicht erreichen. Athleten wie US-Schwimmer Michael Phelps, der in London seine Edelmetallsammlung bei Olympischen Spielen auf 22 – davon 18 in Gold – geschraubt hat, verwandeln das Produkt „Olympia“ in eine Verkaufsmaschine. Es war kaum verwunderlich, dass dieser Tage auch Bernie Ecclestone auf den Sportstätten vorbeischaute, um zu verstehen, womit noch mehr Geld als mit seiner Formel 1 zu verdienen ist. Eine wichtige Zutat ist jedenfalls die freiwillige Mitarbeit von 70.000 Menschen, die in London ihren Dienst versehen.

Eingehüllt in die Union-Jack-Flagge posierte der Mittelstreckenläufer Mo Farah mit seiner Tochter und der hochschwangeren Ehefrau Tania auf der Laufbahn. Das Paar erwartet in einem Monat Zwillinge, wie mittlerweile alle Briten wissen dürften. Diese blicken noch einem weiteren „Doppel“ entgegen: Am Samstag läuft Farah das 5000-Meter-Rennen. Die Stimmung soll „elektrisch“ bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2012)

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