Nach Griechenland übt sich auch Italien im Merkel-Bashing. Auch angelsächsische Medien beschimpfen ihr deutsches Feindbild immer aggressiver. Die Deutschen und der Rest der Welt reden aneinander vorbei.
Berlin. Die Geschichte unserer Epoche muss neu geschrieben werden. Zumindest, wenn es nach dem Berlusconi-Blatt „Il Giornale“ geht. Für seinen Leitartikler gehört Italien „nicht mehr zu Europa, sondern zum Vierten Reich“. Es ist das Reich der Deutschen, denen zwei Weltkriege „offenbar nicht genug sind“. Alle müssen sich „dieser Angela Merkel“ ergeben, „die auch in unserem Haus das Kommando übernehmen will“. Als Folge des Kniefalls wird mit den Worten Churchills Düsteres prophezeit: Wer die Schande wählt, werde Krieg ernten.
Eine Domina im Völkerkerker, die preußische Finanzdisziplin aufzwingt und damit den Frieden aufs Spiel setzt: Nach Griechenland hat der Merkel-Hass auch Italien erreicht. Mario Monti zeigt sich „sehr beunruhigt“, wenn er ihr über wachsende Ressentiments berichtet. Der italienische Premier will die Macht der Parlamente beschneiden, um Eurohilfen rascher durchzuboxen. Dass er dafür in Deutschland kritisiert wird, heizt die Stimmung noch weiter an. „Die Nazi-Deutschen wollen uns Lektionen in Demokratie erteilen“, höhnt die Zeitung „Libero“.
Die Kanzlerin bietet sich dabei als Feindbild neuer Art an. Viele hassen sie für ebenjene Eigenschaften, die sie früher – etwa bei ihrem Klimaengagement – an ihr schätzten: die ruhige, emotionslose Beharrlichkeit, mit der sie ihre Ziele verfolgt und die Erfüllung von Versprechen einfordert. Das wirkt anderswo typisch deutsch. Was aber wirft man den Germanen vor? In der schärfsten Form Folgendes: Sie hätten sich die Wiedervereinigung von Europa finanzieren lassen und dann den Euro genutzt, um die Partner mit ihrer Exportkraft an die Wand zu drücken. Nun flüchtet das Kapital in ihren sicheren Hafen und beschert dort niedrigste Zinsen. Als Profiteure der Krise treiben sie die Olivenländer mit Spardiktaten und Hilfsverweigerung in die Rezession.
Pragmatisch statt paranoid sehen die Angelsachsen die Situation: Da sie der Währungsunion beigetreten sind, müssen die Deutschen jetzt ihre Geldtaschen öffnen und Schulden vergemeinschaften. Die USA helfen ja auch ihren Bundesstaaten, die in finanzielle Probleme geraten. So wurde der Dollar zur Leitwährung, die auch hohe Schulden nicht erschüttern kann. Nur so sei der Euro zu retten, sonst werde die Weltwirtschaft zum sinkenden Schiff, wie jüngst auf dem „Economist“-Cover mit dem Titel: „Frau Merkel, können wir jetzt die Motoren starten?“ Aber die Ungeduld steigert sich auch bei den Briten zum bösen Bashing: Das Magazin „New Statesman“ bezeichnete Merkel als „Europas gefährlichstes Staatsoberhaupt seit Hitler“.
Auch die Deutschen selbst setzten bei ihrer Sicht der Dinge bei der Wiedervereinigung an: bei der schmerzlichen Erfahrung, dass geschenktes Geld allein nicht auf die Beine hilft. Durch Arbeitsmarktreformen und moderate Lohnabschlüsse gewann die deutsche Wirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit zurück und bewährt sich heute auf dem Weltmarkt. Das Rezept wird nun den neuen „kranken Männern“ Europas verschrieben. Da sie an deren Chancen glauben, sind die Deutschen bereits mit hunderten Milliarden ins Risiko gegangen. Zu diesem Zweck wird das Hilfsverbot, das am Anfang der Währungsunion und ihrer Zentralbank stand, gebeugt oder gar gebrochen. Und den Vergleich mit den USA halten die Deutschen einfach für falsch: Ein Staatenbund ist kein Bundesstaat, Haftung und Verantwortung dürfen nicht auseinanderfallen. An deutschen Spesen kann die Welt nicht genesen.
Gesundeter verschreibt Rezepte
Dass diese recht einfache Botschaft im Ausland nicht ankommt, spricht nicht für deutsche Krisen-PR: Man redet konsequent aneinander vorbei. Freilich hat die Regierung genug damit zu tun, Abgeordnete und Verfassungsrichter zu überzeugen. Nicht nur liberale Wutprofessoren sehen Merkel längst wieder als Umfallerin. Immerhin: Zwei Drittel der deutschen Bürger stehen voll hinter ihr – ein Traumwert. Und zumindest ein internationales Leitmedium, das „Time Magazine“, verteidigte jüngst die Kanzlerin mit dem Cover: „Warum alle es lieben, Angela Merkel zu hassen – und warum sie alle falschliegen“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2012)