Salzburger Festspiele: Fortunatus Wurzel spricht Bayrisch

(c) Silvia Lelli
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Die Thalia Kompagnons aus Nürnberg zeigen in Salzburg Raimunds „Bauer als Millionär“: Entzückendes Figurentheater, garantiert staubfrei, aber mit teilweise befremdlichen Einfällen und herben Reduktionen.

Trauen sich die Salzburger Festspiele nicht mehr, Raimunds „Bauer als Millionär“ real zu spielen? Nun, Figurentheater ist eine der ältesten Theaterformen und Raimunds Zauberspiele sind angesichts der vielen Fantasyfilme gefährdet, zur billig wirkenden Maskerade zu verkommen. Seinerzeit war der Mann ein Bühnenvisionär, wie man den Szenenanweisungen zu seinen Stücken entnehmen kann. Die Nürnberger Thalia Kompagnons von Joachim Torbahn und Tristan Vogt, die im schmucken Salzburger Schauspielhaus, ehemals Elisabethbühne, ihre Neuinszenierung zeigen, rezitieren auch einen Teil der szenischen Vorschläge, jenen besonders poetischen, als die Nacht das Mädchen Lotte verschlingt, nachdem sie der Vater hinausgeworfen hat, was damals für ein Mädchen in mehrfacher Hinsicht gefährlich war: Nach dem Verlust der Ehre war die Frau Freiwild, was auch die Gefahr von Vergewaltigung einschloss.

Video, Tanz, Schau- und Puppenspiel

Raimund selbst hatte mit dem weiblichen Geschlecht viele Probleme: Seine Partnerin Luise Gleich musste er heiraten, weil sie schwanger war, wiewohl das Kind vielleicht nicht vom Dichter, sondern von einem ihrer anderen Liebhaber, zum Beispiel dem Fürsten Kaunitz war. Die Cafétierstochter Toni Wagner war Raimunds große Liebe, aber es gab viel Streit und Eifersucht, vielleicht mit Grund, weil der Schauspielerdichter auch andere Damen ansah, notgedrungen gewissermaßen, wenn er mit ihnen auf der Bühne stand. Die Liebe wird bei Raimund stets glorifiziert. Im „Bauer als Millionär“ will kurz gesagt ein Mädchen aus der Feenwelt einen armen Fischer heiraten, was ihr Ziehvater, ein durch Zauberei reich gewordener Bauer, verhindern will. „So schön mit so einfachen Mitteln“, fand nach der Premiere am Dienstagabend eine Besucherin.

Einfach ist hier gar nichts, die Aufführung wirkt im Gegenteil sehr aufwendig mit Video, Tanz, Schau- und Puppenspiel. Das Nürnberger Figurentheater hat für diesen Raimund eine eigenartige Komposition aus Biedermeier und Moderne gefunden, mit schräger Musik, Trommeln, mit Figuren, deren Spannweite von der Commedia dell'Arte bis zur Moderne reicht, die ihrerseits wieder „Primitive Kunst“ zitierte: Der Neid sieht aus wie die monumentalen Figuren von den Osterinseln, deren Rumpf erst jüngst ausgegraben wurde. Die schöne Zufriedenheit ist ebenfalls eher kantig geraten und gleicht einem buddhistischen Mönch. Lotte hat grüne Haare, die sie trägt wie die Teenager, denen ständig die Fransen in die Augen fallen. Lottes Mutter, Lakrimosa, die Tränenreiche, hat die Züge einer Schwarzen, einer „Fremden“, ihre Hautfarbe aber ist blau wie die Romantik oder die Melancholie; ihr Kleid ist rosa wie ihr kindliches Gemüt, das die Fee animierte, sich in einen Akrobaten zu verlieben, der vom Seil stürzte und sie mit dem gemeinsamen Kind zurückließ.

Vom biedermeierlichen Theater und der alten Wiener Stadt auf Prospekten im Video über den herrlich komischen Geisterhaufen mit Clowns und Kobolden bis zum satirischen Schluss – Lakrimosa schenkt dem Fischer als Aussteuer für Lottchen nicht wie bei Raimund Fischgründe, sondern eine Fischfabrik – regiert hier sublimer Ideenreichtum. Manches ist allerdings irritierend. Für die nicht allzu stark gekürzte Fassung von circa 90 Minuten wurde einiges verfremdet, was dem deutschen Publikum, dem dieser Raimund auch gefallen soll, unverständlich sein dürfte, vor allem Sprachliches und Anspielungen auf den Vielvölkerstaat der Monarchie, dessen Bewohner und Anrainer sich über einander lustig machten.

Berühmte Lieder verschenkt, verschandelt

Wie heute zum Beispiel die Deutschen über die Österreicher und umgekehrt. Schmerzlich und inakzeptabel allerdings wird die Angelegenheit, wenn Fortunatus Wurzel Bayrisch spricht und die berühmtesten Lieder aus dem Stück verunstaltet werden: Von „Brüderlein fein“ blieb nur ein Fragment und von „An Aschen“ eine kitschige Parodie auf das Wienerlied. Das ist nicht nur billige Pointenschnapperei, sondern auch völlig gegen Raimunds Intention, er glaubte eben gerade nicht an das Gute im Menschen und schon gar nicht im Wiener. Deren Bosheit, das Fiese, wie die Deutschen sagen, das „Gfeanste“, wie es hierzulande heißt, war im alten bunten Raimund, den große Schauspieler, Meinrad, Konradi & Co. prägten, nachhaltig vorhanden.

Der alte bunte Raimund ist wohl tot und dieses charmante Puppentheater eine passable Zwischenstation auf dem Weg zu neuen Ufern. Aber es sollten sich auch wieder jüngere Regisseure dieses Wiener Klassikers annehmen und eine echte „Hebung“, Neuinterpretation versuchen wie dies Martin Kušej mit Grillparzers „Ottokar“ in Salzburg und im Burgtheater gelang. Das Publikum applaudierte herzlich den Thalia Kompagnons, die der Muse Theater und Raimund fantasievoll dienten, aber auch mit rüpelhafter Kumpanei diesem schillernd-somnambulen „Briaderl“ nahe traten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2012)

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