Wir brauchen wieder mehr langweilige Politiker

Der frühere Innenminister Ernst Strasser hat alle Voraussetzungen erfüllt, um in Österreich politisch Karriere zu machen. Als Angeklagter wäre er eine Ausnahme.

Der Nächste, bitte! Über Korruption redet man in Österreich mittlerweile wie über eine Krankheit. Eine Krankheit, die vor allem Politiker und Manager befällt. Eine Sonderform der Höhenkrankheit, die bei Menschen auftritt, die auf höchster Ebene agieren. Patient Ernst Strasser ist so ein Beispiel. Der Verdachtsfall passt in eine mittlerweile unüberschaubare Liste von ehemaligen und noch nicht ehemaligen Politikern. Diese Krankheit muss wohl ziemlich ansteckend sein, könnte man meinen.

Erst vor wenigen Wochen wurde in Ferndiagnosen darüber sinniert, warum so viele ehemalige und noch nicht ehemalige freiheitliche Politiker beim Handaufhalten so unersättlich waren. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Grasser, Meischberger, Rumpold, Uwe Scheuch, und wie sie alle heißen, hätten halt nicht alle politischen Institutionen durchlitten und durchschritten wie dies in der SPÖ und ÖVP der Fall ist, lautete eine der Begründungen. Unter Jörg Haider sei die FPÖ so rasant gewachsen, dass man mangels altgedienter Kader eben auf eine Buberlpartie zurückgreifen musste. Und den Buberln sei dann die schnell erlangte Macht noch schneller zu Kopf gestiegen.

Würde diese Ferndiagnose stimmen, gäbe es den Fall Strasser nicht. Denn der Strasser Ernstl, wie er in St. Pölten noch immer liebevoll genannt wird und für den ebenfalls die Unschuldsvermutung gilt, hat alle politischen Niederungen durchwandert. Studentenvertreter, Ministersekretär. Landesparteisekretär, Klubobmann im Landtag, Minister, EU-Abgeordneter. Sein Problem war nur, dass er auch als Minister und EU-Parlamentarier diese Niederungen im Geiste nie verlassen hat. Dass ihm dieser Umstand allerdings erst in Brüssel zum Verhängnis wurde, spricht ebenfalls Bände.

Korruption ist keine Krankheit, und schon gar keine Höhenkrankheit. Wer oben nimmt, hat auch schon unten aufgehalten. Nur waren dort die Beträge, die Versuchungen und Möglichkeiten von geringerer Tragweite. Als das fatale Video von Ernst Strasser in Brüssel publik wurde, meinte einer seiner niederösterreichischen VP-Kumpanen doch allen Ernstes: „In Brüssel haben sie ihn umgedreht, den Ernstl.“

Der „Ernstl“ wurde weder in Brüssel noch in Wien noch in St. Pölten umgedreht. Strasser hat eine grandiose politische Karriere hingelegt, weil er so ist, wie er ist. Er hat ja viele Jahre lang wunderbar funktioniert. Und es hat seinem früheren Parteichef Josef Pröll unheimlich getaugt, dass Strasser kein Langweiler wie Othmar Karas ist. Ein bisschen ein „Gfrast“ muss man doch sein als Politiker, oder? Das wollen die Wähler, oder?


Jetzt steht er vor Gericht, der „Ernstl“. Wegen einer besoffenen G'schicht in Brüssel. Wie konnte das nur passieren? Es ist möglich, weil Strasser zum Zeitpunkt dieser Affäre EU-Parlamentarier war. Wäre er im Nationalrat gesessen, er hätte beispielsweise ohne Weiteres 100.000 Euro von einem Lobbyisten verlangen können, um für diesen zu intervenieren. Es wäre strafrechtlich völlig legal gewesen. Erst seit Anfang Juli besitzt Österreich ein Antikorruptionsgesetz, das derartige Nebenbeschäftigungen von Politikern unter Strafe stellt. Und selbst die Regelung für EU-Abgeordnete ist so vage, dass die nun erhobene Anklage auf ziemlich wackeligen Beinen steht. Doch egal, ob Strassers Geschäftssinn nun zu einer strafrechtlichen Verurteilung führt oder nicht. Allein die Tatsache, dass ein österreichischer Politiker über seine eigene Präpotenz stolpern kann, ist für dieses Land psychohygienisch mindestens so wichtig wie das neue Antikorruptionsgesetz.


Wer Korruption an der Wurzel packen möchte, muss aber weit vor dem Strafrecht ansetzen. Es geht um die Frage: Welche Charaktere setzten sich auf ihrer Reise durch politische, gesellschaftliche und unternehmerische Institutionen durch? In der Politik wird nach Typen verlangt, nach Schlitzohren, nach „Gfrastern“. Aber vielleicht nähren all die Skandale wieder die Sehnsucht nach langweiligen Politikern? Bieder, anständig, womöglich kompetent. Unter diesen Umständen hätte es der „Ernstl“ schwer gehabt.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2012)

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