London und die Folgen: Kritik an den Thesen der Sportpolitik

Nach den missglückten Olympischen Spielen wird es Zeit, die Mythen im österreichischen Spitzensport zu hinterfragen.

Die Olympischen Spiele in London neigen sich ihrem Ende zu. Die Enttäuschung, dieses Mal wohl keine österreichische Medaille feiern zu können, ist groß. Die Grundsatzdiskussion um die richtigen Reformschritte im österreichischen Sportsystem hat bereits begonnen.

Studien sagen, dass es zwei Indikatoren gibt, die zukünftigen olympischen Erfolg prognostizieren lassen: den Reichtum eines Landes einerseits und bisher erreichte Medaillen andererseits. Den zum Vorbild taugenden Benchmark – ein weltweit führendes Modellsystem – gibt es nicht. Offenbar führen höchst unterschiedliche Wege nach Rom.

Sich in Österreich an internationalen Entwicklungen zu orientieren, schadet dennoch nicht, nur bleibt uns nicht viel anderes übrig, als unser gewachsenes Sportsystem mit seinen Stärken und Schwächen weiterzuentwickeln – dies sowohl im Bereich des Breiten- als auch des Spitzensportes. In der grundlegenden Diagnose sind sich viele Kommentatoren einig, jedoch nicht alle Glaubenssätze halten einer kritischen Betrachtung stand. Manche können sogar irreführend sein. Grund genug, fünf weitverbreitete Thesen zu hinterfragen.


1. Österreich dominiert im Wintersport

Bei den vergangenen 10 Sommerspielen hat Österreich durchschnittlich jeweils drei Olympiamedaillen erringen können. Ein Ergebnis, dass oft mit der Dominanz im Wintersport relativiert wird. Nüchtern betrachtet sind zwei unserer sieben olympischen Wintersportverbände konkurrenzfähig: neben dem omnipräsenten Österreichischen Skiverband auch der Rodelverband.

Die bisher letzten Medaillen im Eissport holte Emese Hunyady 1994 in Lillehammer. Curling zählt bei den Olympischen Winterspielen zu den populärsten Sportarten, der österreichische Verband hat jedoch nur 198 Mitglieder und sich seit der Wiederaufnahme von Curling ins olympische Programm 1998 noch nie qualifiziert. Österreich als höchst erfolgreiches Land im Skisport, das kommt der Wahrheit schon viel näher.


2. Breitensport bedingt Spitzensport und umgekehrt

Natürlich ist ein Milieu der gesellschaftlichen Anerkennung des Sportes und seiner Protagonisten auch sehr förderlich für Spitzenathleten. Dass es jedoch einen Kausalzusammenhang zwischen Breite und Spitze gibt, lässt sich schon anhand des Beispiels Skispringen (das bekanntlich ungleich mehr konsumiert als aktiv betrieben wird) hinterfragen. Die sportlichen Biografien im Leistungs- und Spitzensport unterscheiden sich bereits in sehr jungen Jahren völlig vom Breitensport.

Der zeitliche und finanzielle Aufwand von potenziellen Olympiaathleten ist enorm. Ob Spitzenathleten heute noch zur aktiven Nachahmung motivierende Vorbilder sind? Es wäre interessant, dies am Beispiel des boomenden – und noch nicht olympischen – Sportkletterns zu untersuchen.


3. Das Grundproblem ist der Schulsport

Auch wenn es an Österreichs Schulen mehr als nur durchschnittlich viele Unterrichtsstunden im Fach „Sport und Bewegung“ gäbe, so hätte dies auf den Leistungs- und Spitzensport, der eine wesentlich intensivere und vielfach auch spezifischere Ausbildung im Verein voraussetzt, keinen unmittelbaren Einfluss.

Neben Schulen, die sportlich breit fördern wie beispielsweise Sportgymnasien, gibt es in Österreich seit vielen Jahren auch ein spezialisiertes Schulwesen für Leistungssportler. Dort wird auf die Trainings- und Wettkampfphasen Rücksicht genommen und der Lehrstoff auf ein zusätzliches Schuljahr erstreckt.

Grundsätzlich müssten sich alle Kinder und Jugendlichen auch außerhalb des Schulunterrichtes bewegen. Ganztägige Betreuungsformen sind dabei sicher Herausforderung und Chance zugleich. In der Gesamtbetrachtung sind ältere und sozioökonomisch schlechter gestellte Menschen noch weniger mit Sport und Bewegung versorgt.


4. Doping ist ein moralisches Versagen des Athleten

Doping ist wohl nicht das Ergebnis eines – vielleicht sogar angeboren – „schlechten“ Menschen. Vielmehr sind es Umstände im Trainings- und Wettkampfumfeld sowie der Mangel an persönlicher Reife und Alternativen, die zum Betrug führen.

Neben der unmittelbaren Verantwortung eines am Doping beteiligten Mediziners oder sonstigen Betreuers gibt es auch so etwas wie eine systemische Mittäterschaft im Umfeld des Athleten. Vorstellbar ist beispielsweise, dass die legalen – und von den Ressourcen her realistischen – Möglichkeiten der Leistungssteigerung aus Inkompetenz nicht ausgeschöpft werden. Vielleicht muss ein Verband auch Athleten aus dem Spitzensport in bestimmten Disziplinen herausnehmen, weil dort der Dopingbetrug trotz aller Bemühungen auf absehbare Zeit grassiert und somit die Wettbewerbsfähigkeit sauberer Athleten verunmöglicht.


5. Ehrenamtliche Funktionäre gehören durch Profis ersetzt

Was Athleten zu Recht einfordern ist, dass der Sportfunktionär seinen Aufgaben gerecht wird, also „professionell“ agiert. Ehrenamtlichkeit – in kluger Zusammenarbeit mit den Hauptamtlichen – deswegen grundsätzlich infrage zu stellen, wäre ein schwerer Fehler. In Österreich engagieren sich laut Statistik Austria etwas weniger als 500.000 Menschen ehrenamtlich im Sport. Aber nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen und an der Basis benötigt der Sport die Ehrenamtlichen.

Auch in strategisch-steuernder Funktion bis hinauf zum Bundes-Sportfachverband und auf internationaler Ebene sind sie gefragt. Eben überall dort, wo Kompetenzen und Kontakte aus den Zivilberufen zur Geltung kommen können. In der Entwicklung der Profession Sportmanagement und des Sportunterrichtes gibt es gewiss noch viel zu tun, letztlich geht es auch darum, im Sportverein ehrenamtlich tätigen Menschen – sei es als Übungsleiter oder Finanzreferent – unter die Arme zu greifen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich soll Sport und Bewegung gerade für junge Menschen so attraktiv wie möglich angeboten und auch an unseren Schulen ausgebaut werden. Nur aus den richtigen – also gesundheits- und sozialpolitischen – Motiven und völlig unabhängig von olympischen Ambitionen.

Der Erfolg wird sich jedenfalls im Breitensport rascher einstellen als in zwei Olympiaden, die wohl für eine substanzielle Verbesserung im Spitzensport einzuplanen sind.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Person

Markus Redl (38) hat Sportwissenschaften an der Universität Wien sowie an der Harvard Kennedy School of Government studiert. Er ist derzeit Geschäftsführer der Bergbahnen-Beteiligungsgesellschaft des Landes Niederösterreich und unterrichtet Sportmanagement an der IMC Fachhochschule Krems. [Ecoplus]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2012)

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