Das Ende der Wiener Straßenkunst?

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Seit Ende Juni ist eine neue Verordnung für Straßenkunst in Kraft. Und die hat es in sich. Viele Straßenkünstler fühlen sich in ihrer Existenz bedroht.

Wien. Die Erkenntnis kommt schleichend, da auf den ersten Blick ihr Fehlen gar nicht bemerkbar ist. Die Kärntner Straße ist belebt wie immer, Menschenmassen laufen hindurch, doch irgendetwas ist anders als sonst. Und da fällt es dem abendlichen Spaziergänger auf: Es sind fast keine Straßenkünstler mehr zu sehen und zu hören. Die Kärntner Straße ist stiller geworden. Sehr zu Freude mancher Anrainer und sehr zur Freude von Ursula Stenzel, Bezirksvorsteherin des ersten Gemeindebezirks, die sich jahrelang gegen die „Zwangsbeschallung“ gewehrt hat.

Schuld daran ist die neue Straßenkunstverordnung, die seit Ende Juni in Kraft ist. „Die neue Verordnung ist für viele existenzbedrohend“, sagt Abraham Thill erbost. Der gebürtige Wiener reist als Straßenkünstler quer durch Europa, von Festival zu Festival; tritt mit seinem Jongliergerät Diabolo aber auch immer wieder in den Straßen seiner Heimatstadt auf.

Wobei sich Thill gleich an mehreren Dingen stößt: Mit der neuen Verordnung wurden viele Plätze, an denen Künstler in Wien spielen dürfen, durch Platzkarten stark reglementiert. Früher konnten Straßenkünstler (mit Ausnahme von Musikern) an Orten wie der Kärntner Straße im Abstand von 25 Metern zwischen 13 und 22 Uhr spielen – nun ist es ihnen zwar auf zirka 30 Stellen in der Stadt zwischen 16 und 20 Uhr erlaubt. Diese Plätze liegen aber oft ungünstig, sagt Thill. „Wer will schon auf der Praterhauptalle oder im Stadtpark auftreten? Wir leben ja von Touristen.“

Plätze sind nicht bespielbar

Auch Aussuchen dürfen sich die Künstler die Plätze nicht, sie werden vom Magistrat per Computer zugeordnet. Pro Woche werden maximal zwei bis drei Platzkarten (abgesehen für Maler) hergeben, die Spielzeit pro Platz beträgt gerade einmal zwei Stunden. Auch das Abspielen von Tonträgern soll laut Thill untersagt sein. „Die meisten Shows funktionieren aber nicht ohne Musik.“

Unter den Künstlern ist die Stimmung dementsprechend getrübt. „Grundsätzlich finde ich die Idee von Platzkarten ja gut, aber in der Praxis funktioniert das nicht“, sagt ein junger Maler, der unerkannt bleiben will. Auch er hadert mit den Plätzen, die ihm von der Stadt zugeteilt wurden. „Am Michaelerplatz stehe ich genau in der Sonne. Da bleiben die Leute einfach nicht stehen. Und am Karlsplatz ist nur am Wochenende etwas los.“ Das geht natürlich ins Geld. Ein befreundeter Maler könne wegen der dadurch entstandenen finanziellen Einbußen seine Miete nicht mehr bezahlen. Und sein Cousin, der extra für den Sommer zum Marionettenspielen nach Wien gekommen sei, fährt jetzt wieder zurück nach Mazedonien: „Er kann ohne Musik gar nicht auftreten.“

In der MA 36 (Veranstaltungswesen) will man von den Problemen nichts gehört haben. „Mir sind solche Beschwerden nicht bekannt“, sagt Wolfgang Schieferle Leiter der Abteilung. Auch die Behauptung, dass Shows ohne musikalische Untermalung nicht mehr erlaubt seien, dementiert er aber heftig. „Solange die Künstler die gesetzlich vorgeschriebene Dezibelzahl nicht überschreiten, ist das Verwenden von Tonträgern natürlich erlaubt“, behauptet er.

Er habe seine Mitarbeiter sogar extra noch einmal angewiesen, die Künstler darüber zu informieren. „Da könnte es Missverständnisse gegeben haben.“ Die neue Verordnung macht für ihn Sinn. „Die Straßenkunst ist ein wesentlicher Teil von Wien. Aber die Lebensqualität von Anrainern und Nachbarn war auch zu berücksichtigen.“

Kampf gegen Künstler

Tatsächlich ist das Verhältnis der Stadt Wien mit den Straßenkünstlern von jeher gespannt. Immer wieder gab es Beschwerden wegen Lärm und Menschenansammlungen von Anrainern. „Mir war es auch nicht recht, wenn Straßenkünstler einen Platz den ganzen Tag lang blockiert hat“, sagt Abraham Thill dazu. Weswegen er seine Hilfe bei der Ausarbeitung einer neuen Verordnung angeboten hat.
Die Betreiber von Schanigärten in der Kärntner Straße wollen das Fehlen der Künstler jedenfalls schon bemerkt haben. „Es ist ruhiger geworden“, sagt ein Kellner von Casino Wien. Manuel Klapprodt, Geschäftsführer vom Swarovski-Café, berichtet auch von weniger Gästen am Abend. „Früher sind hier sicherlich zwei bis drei Künstler in der Nähe gestanden. Die Leute  haben sich dann niedergesetzt und das angehört.“

Ändert sich nichts, sieht Abraham Thill schwarz für die Zukunft der Wiener Straßenkunst. Und der Maler im ersten Bezirk? Der überlegt auszuwandern. Nach Salzburg vielleicht. Mal sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2012)

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