Schöner scheitern: Das Aufstehen nach dem Fall

Schoener scheitern Aufstehen nach
Schoener scheitern Aufstehen nach(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Während Österreich noch um die verpassten Olympia-Medaillen weint, müssen die Sportler auch noch ihr Scheitern verarbeiten. "Die Presse am Sonntag" hat mit Gescheiterten gesprochen.

Wie immer stand zu Beginn des Scheiterns ein großer Plan, der zur kurzfristigen Welteroberung führen sollte und schließlich beinahe mit dem Fall des Protagonisten endete. „Wir hatten den Traum, eine neue Welt zu erschaffen“, sagt der 40-jährige Lev Ledit, „eine Welt, die alle bisherigen Online-Welten miteinander verbindet.“ Der Wiener ist Computerspiele-Entwickler und konnte bis vor zwei Jahren tatsächlich noch von sich behaupten, bald auf der ganzen Welt bekannt zu sein. Die Mitarbeiter von Microsoft waren auf ihn aufmerksam geworden, besser gesagt, auf die von ihm und seinen Kollegen entwickelte virtuelle Welt „Papermint“.

Auf einer Spielermesse im schwedischen Malmö hatte ihnen ein Microsoft-Mitarbeiter ein verlockendes Angebot gemacht: „Wenn wir an einem Pitch teilnehmen und die Microsoft-Chefs von unserem Spiel überzeugen, dann soll Papermint ein fixer Bestandteil von Windows werden“, erzählt Ledit. Was folgte, waren eineinhalb Jahre, in denen er und seine Kollegen sich von einem Microsoft-Verhandlungsgespräch zum Nächsten hantelten, unzählige Male in der Zentrale in Redmond/USA vorsprachen und schließlich zum ersten Mal in der Geschichte von Microsoft gleichzeitig zwei Vizepräsidenten von ihrer Idee überzeugen mussten. Doch das Glück sollte es nicht gut mit ihnen meinen. Im letzten Moment kam die Absage. Einer der beiden Vizechefs glaubte nicht an den Erfolg des Spiels.

Aus. Vorbei.

Zurück blieb ein fauler Nachgeschmack und ein Konkursverfahren. Ledits persönlicher Weltuntergang war vollzogen. Zumindest vorerst.

Du Versager. Menschen wie Lev Ledit gibt es viele in Österreich. Visionäre, Unternehmer, Künstler, Träumer, die sich mit ihren Unternehmungen und Ideen nach vorn kämpfen, Anerkennung und Bewunderung erfahren und schließlich aus Eigen- oder Fremdverschulden doch eine Bruchlandung hinlegen. Ein bisschen erinnern sie auch an die österreichischen Teilnehmer der Olympischen Sommerspiele in London. Der erhoffte Medaillenregen blieb bisher aus. Das Ergebnis der Spiele in London wird damit, so nicht noch ein Wunder geschieht, wohl zu den bisher schlechtesten für Österreich zählen und einigen teilnehmenden Sportlern – sofern sie Medaillenchancen hatten – wohl auch in ziemlich schlechter Erinnerung bleiben.

„Wir haben in Österreich überhaupt keine Scheiterkultur“, sagt dazu Christine Steindorfer, die bereits mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht hat (siehe Infokasten). Sie führt das auf den Neid in unserer Gesellschaft zurück. „Wenn es jemanden auf die Nase haut, dann gibt es in Österreich ganz viele Leute, die das auch noch richtig freut“, sagt Steindorfer. Dabei gehören Gewinnen und Verlieren oft ganz eng zusammen.

Alles weg – in einer Nacht. Das weiß auch der Wiener Michael Marcovici. Als er am Abend des 18.Jänner 2006 nach Hause kam, musste er nicht nur den Verlust seiner Firma hinnehmen, sondern hatte auch noch mit einem Wasserrohrbruch zu kämpfen. Damit nicht genug, trennte sich in derselben Nacht noch die Freundin von ihm, außerdem verlor er einen Schneidezahn, weil er vor lauter Wut in einen Kugelschreiber gebissen hatte. Dass er sich damals nicht gleich von einem Hochhaus stürzte, verdanke er allein dem Umstand, dass er schon vorher gelernt hatte, sich nicht alles zu Herzen zu nehmen, sagt der 42-Jährige heute. Trotzdem war sein Fall ein harter.

„Unsere Firma ist einfach viel zu schnell gewachsen“, sagt der Mann mit dem Dreitagebart und der Brille. Vor seinem Konkurs vor sechs Jahren war Marcovici Inhaber von „Quentis“, dem größten eBay-Händler Europas, einer Firma mit 30 Millionen Umsatz im Jahr und 45 Mitarbeitern. Seine Firma verkaufte so ziemlich alles über die Online-Plattform – vom Zahnarztstuhl bis zum Gabelstapler. Bis es ihn schließlich an jenem Jännertag erwischte. Insolvenz wegen Liquiditätsproblemen, „dann bin ich nach Hause gegangen und habe mir mein Bargeld zusammengesucht“, sagt der 42-Jährige. Er fand 2000 Euro. Nicht viel für einen Mann, der vorher bis zu 15.000 Euro im Monat verdient hat.

Leugnen und nicht nachdenken. Um nicht zu viel nachdenken zu müssen, verbracht er die Wochen danach mit wilden Partys: „Ich hatte ja auf einmal Zeit, davor war ich fast 16 Stunden am Tag komplett mit Arbeit eingedeckt.“ Nach einem Monat war wieder Schluss. „Mir war klar, irgendwas muss ich ändern.“ Also stellte er seine Ernährung um, beschloss, mehr Sport zu machen („Yoga, weil das so billig ist“), und nahm 30 Kilo ab. Dazwischen definierte er seine Lebenswerte neu, probierte Neues aus. Einen Sommer verbrachte er deswegen ohne Kühlschrank. „Das geht total gut, wenn man keine Käseprodukte isst.“

Frauen scheitern besser. „Wer aus dem Scheitern wieder hinauswill, der muss seine Ziele neu überdenken“, sagt Scheiter-Expertin Steindorfer. In ihrem Buch „Die Aufwärtsspirale“ spricht sie von drei Scheiterphasen („die Geisterfahrerphase“, die „Selbstverleugnungsphase“ und die „Feindbildphase“), die ein Mensch bis zum totalen Crash durchläuft. Wenn er sich nicht vorher befreit. „Das ist schon möglich. Aber schwierig, weil man ja sehen muss, dass man auf dem falschen Weg ist. Dafür benötigt man viel Reflexion und Selbstkritik.“ Eine Fähigkeit, die eher Frauen nachgesagt wird. „Weil sie viel eher bereit sind, sich ihren Problemen zu stellen“, sagt Steindorfer.

Der Wiener Lev Ledit hat sich jedenfalls von Anfang an seinen Problemen gestellt. Auch wenn er es damals lieber nicht getan hätte. Er musste im März 2011 den Konkurs seiner Firma Avaloop anmelden. „Sieben Jahre Entwicklungszeit, das ständige Hoffen, Warten, Weiterkämpfen waren damit vorbei“, sagt er. Aber er sieht es auch positiv, denn „ich konnte am Schluss einfach nicht mehr weiterkämpfen“.

Seine Chance genützt hat auch Michael Marcovici. Anstatt frustriert zuhause zu sitzen, probierte er sich als Künstler (Marcovici trainierte Ratten, die Aktieneinkäufe und -verkäufe an der Börse tätigten) und fasste schließlich wieder als Unternehmer Fuß. Er leitet einen Domain-Fund mit Sitz auf den Cayman Islands. Die Nachwirkungen seines Konkurses spürt er aber bis heute. Marcovici bekommt kein Konto mehr in Österreich und wird auch – geht es nach den heimischen Banken – nie wieder eine Kreditkarte besitzen. Trotz positiven Ausgangs des Schuldregulierungsverfahrens. Es ärgert ihn. „Wenn ich nicht meine Kinder hätte, ich wäre glatt ausgewandert“, sagt er.

Sein neues Leben hat er um die fehlende Kreditkarte und seine Vergangenheit herumgebaut. Geschäfte macht er heute nur mehr mit Partnern in den USA, um den kritischen Blicken in Österreich zu entkommen „Dort ist Scheitern fast noch wie eine Eintrittskarte. Die sagen: Jetzt hast du's einmal verbockt, jetzt kannst du's wenigstens.“ In Österreich sei das nicht so. Dass ihm niemand in der Alpenrepublik etwas zutraut, stört ihn gewaltig. „Ich war 20 Jahre lang ein erfolgreicher Unternehmer, warum sollte ich es jetzt nicht mehr sein?“

Trotzdem hat Marcovici seinen Konkurs vergleichsweise gut überstanden. Seinem ehemaligen Geschäftspartner ging es monatelang viel schlechter als ihm. „Vielleicht habe ich mich einfach besser distanzieren können“, sagt Marcovici. Er habe schon immer Privates von Beruflichem trennen können. „Die Leute fragen mich immer wieder, ob ich ein schlechtes Gewissen habe, weil so viele Menschen ihr Geld durch meinen Konkurs verloren haben“, sagt er. Er antwortet dann bestimmt mit „Nein!“. Nachsatz: „Immerhin habe ich auch meine gesamte Existenz verloren.“

Die Flucht nach vorn. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er offensiv mit seinem Scheitern umgegangen ist. Marcovici hat ein Buch über seinen Konkurs veröffentlicht. „Davon konnte ich auch eine Zeit lang gut leben.“ Die Flucht nach vorn rät er bis heute jedem, der ihn um einen Rat wegen eines Konkurses bittet (und das tun viele): „Man kann heutzutage seinen Konkurs einfach nicht mehr geheim halten“, sagt er. Schuld daran sei das Internet. Dadurch sind alle gläserne Menschen.“

Im Nachhinein kann Marcovici seinem Scheitern also durchaus Positives abgewinnen. „Früher habe ich ungefähr tausend Freunde gehabt“, erzählt er. Zum Beweis hält er sein Smartphone in die Höhe und scrollt sein Telefonbuch mehrere Sekunden auf dem Bildschirm hinunter, bis es das Ende des Buchstaben A erreicht hat. Aber: „80 Prozent meiner Freunde sind nach dem Konkurs verloren gegangen.“ Heute zählt er nur mehr zwölf. „Das sind jetzt eben die richtigen.“

Auch Geld und Vermögen haben ihre Bedeutung verloren. „Kurz nach dem Konkurs war mein einziger Gedanke, wie ich wieder auf 15.000 Euro im Monat komme“, sagt er. Erst langsam habe er begriffen, dass er wahrscheinlich nie wieder so viel Geld verdienen werde. Glücklich ist er jetzt trotzdem. Vermutlich auch, weil er keine Geldsorgen mehr hat. Auch jetzt liegt am Ende des Monats genügend Geld auf dem Konto, bei zirka acht Stunden Arbeit am Tag. Auch der Schneidezahn in seinem Mund ist neu.

„Scheitern kann also seinen Schrecken verlieren. Das ist schon mal ein tröstlicher Gedanke“, schreibt Steindorfer in ihrem Buch. Für die Zukunft hält sie ein Umdenken der Gesellschaft für notwendig. Fehler machen muss in Ordnung sein. Denn das führe zu mehr Mut und letztlich zu mehr Kreativität und Innovation.


Wieder von vorn. Auch Computerentwickler Lev Ledit hat wieder von vorn begonnen. „Ich habe mir überlegt, wo meine Prioritäten liegen. Und dabei war schnell klar: Ich möchte nur mehr Spiele entwickeln.“ Vor zwei Jahren hat er daher mit vier Kollegen die Firma „Game Gestalt“ gegründet, in der er ausschließlich Konzepte für Spiele entwickelt. Umgesetzt wird nur mehr maximal der Prototyp. „Für ein Spiel ständig das Marketing zu machen ist mir jetzt viel zu anstrengend.“ Aber wer weiß schon, was die Zukunft bringt. Das Konkursverfahren ist so gut wie abgeschlossen. Und sogar eine Option, dass sein Computerspiel „Papermint“ doch wieder erscheint, gibt es. Sein Traum von der Weltherrschaft, der ist noch längst nicht ausgeträumt.

Scheitern lernen

»Vom Charme des Scheiterns. Krisen für den Neustart nutzen«Louis Schützenhöfer, Verlag Carl Ueberreuter, 2011.

»Die Kraft des Scheiterns. Eine Anleitung ohne Anspruch auf Erfolg«Gerhard Scheucher, Christine Steindorfer, Leykam Verlag, 2. Aufl., 2008.

»Die Aufwärtsspirale. Wie man mit Erfolg Niederlagen meistert«
Gerhard Scheucher, Christine Steindorfer, Leykam Verlag, 1. Aufl., 2011.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2012)

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