Die Muslimbrüder lassen in Ägypten die Muskeln spielen und versuchen, die Armee unter ihre Kontrolle zu bringen.
KAIRO/WIEN/AG./w. s. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Ägyptens Präsident Mohammed Mursi schickte am Sonntagabend den Verteidigungsminister und Chef der Streitkräfte, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, in Pension und enthob Generalstabschef Sami Enan seines Amtes. Zugleich erklärte Mursi alle Verfassungszusätze für null und nichtig, die der Oberste Militärrat kurz vor der Präsidentenwahl im Juni erlassen hatte. In diesen Paragrafen hatte sich der bisher von Tantawi geführte Militärrat große politische Befugnisse zuerkannt und die Stellung des Staatsoberhauptes und des Parlamentes deutlich geschwächt.
Mursis hartes Vorgehen ist ein neuer, dramatischer Höhepunkt im Machtkampf zwischen der Militärspitze und der islamistischen Muslimbruderschaft, der der Präsident entstammt - ein Kampf, der schon seit Monaten tobt. Nach dem Sturz des ägyptischen Machthabers Hosni Mubarak am 11. Februar 2011 hatte der Oberste Militärrat unter der Führung von Feldmarschall Tantawi die Macht übernommen. Die Streitkräfte setzten die Übergangsregierungen ein und verfügten de facto über die oberste Polizeigewalt. Proteste gegen die neue ägyptische Führung wurden mit Gewalt niedergeschlagen, tausende Zivilisten von Militärtribunalen verurteilt. Aktivisten, die gegen Mubarak auf dem Tahrir-Platz protestiert hatten, klagten, dass ihre Revolution von der Armee gestohlen worden sei.
Nachfolger bereits vereidigt
Mit den ersten freien Parlamentswahlen und der Präsidentenwahl erwuchs dem Militär aber ein mächtiger Rivale: Die islamistische Muslimbruderschaft siegte bei beiden Abstimmungen. Und sie denkt nicht daran, sich ihren Platz an der Spitze des Staates von den Generälen streitig machen zu lassen.
Präsident Mursi ernannte nun Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi zum Nachfolger Tantawis an der Spitze der Streitkräfte. Al-Sisi legte noch Sonntagabend den Amtseid ab. Der neue Vizeverteidigungsminister General Mohammed al-Assar sagte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass Tantawis Entlassung in Rücksprache mit diesem selbst und dem Militärrat erfolgt sei. Von Tantawi und dem abgesetzten Generalstabschef Enan lagen am Sonntagabend aber keine Reaktionen vor.
Inwieweit die Militärspitze mit dem Schritt Mursis tatsächlich einverstanden ist, war zunächst unklar: Tantawi galt als misstrauisch und hatte sich mit engen Vertrauten umgeben. Es ist fraglich, ob er und seine Gefolgsleute so leicht das Feld räumen. Sollte der Schritt nicht abgesprochen gewesen sein, könnte Tantawi versuchen, erneut Panzer auf die Straße zu schicken.
In den niedrigeren Offiziersrängen war der nun pensionierte Feldmarschall aber umstritten: Er galt als reformresistent und unfähig. Jüngere Offiziere, die eine Ausbildung in den USA erhalten hatten, waren mit den Zuständen unzufrieden. Sie waren frustriert über mangelnde Aufstiegschancen, weil die alte Garde um Tantawi das verhinderte. Professor Robert Springborg, Experte für die ägyptischen Streitkräfte an der Naval Postgraduate School der US-Marine, warnte im Februar im „Presse"-Interview vor einem „internen Putsch" in den Streitkräften: Jüngere unzufriedene Offiziere könnten versuchen, Tantawi loszuwerden.
Wechsel an Geheimdienstspitze
Der Hinauswurf der Militärführung erfolgte in zeitlichem Zusammenhang mit anderen Umstrukturierungen, die Mursi zuletzt vorgenommen hatte. Wegen Versäumnissen im Kampf gegen die gewaltbereiten Extremisten, die seit Tagen den Sinai unsicher machen, wurde auch die Spitze des Geheimdienstes ausgewechselt.