Die Absetzung der ägyptischen Militärspitze durch Präsident Mursi sorgt teils für Jubel, teils für Besorgnis. In den Reihen der Streitkräfte regt sich kein öffentlicher Widerstand.
Die überraschende Absetzung von Militärrats-Chef Mohammed Hussein Tantawi durch den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi stößt in Ägypten auf geteiltes Echo. Während die Staatszeitung "Al-Akhbar" am Montag die Entmachtung Tantawis als "revolutionär" feierte, warnte die Militär-nahe "Al-Usbua" vor einer "Diktatur der Muslimbrüder".
Mursi hatte am Sonntagabend Verteidigungsminister Tantawi und seinen Stellvertreter, Generalstabschef Sami Enan, in den Ruhestand versetzt. Zudem versetzte er die Oberkommandierenden der Marine, der Luftwaffe und der Luftabwehr, die ebenfalls dem Militärrat angehörten, auf Führungsposten im öffentlichen Sektor. Mursi hob außerdem den umstrittenen Verfassungszusatz auf, mit dem sich der Militärrat im Juni nach der Auflösung des Parlaments eigenmächtig das Recht zur Gesetzgebung, ein Veto bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung sowie ein Veto bei allen Budgetentscheidungen gesichert hatte.
ElBaradei: "Schritt in die richtige Richtung"
Der ehemalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation, Mohamed ElBaradei, sprach am Montag von einem "Schritt in die richtige Richtung". Auch Vertreter der Protestbewegung, die im Februar 2011 zum Sturz Hosni Mubaraks geführt hatten, äußerten sich positiv. Noch am Sonntagabend feierten tausende Anhänger Mursis auf dem Kairoer Tahrir-Platz den "Sieg über das Militär".
Offene Kritik kam aus Juristenkreisen. "Ein Präsident hat nicht die Vollmacht, eine Verfassung zu ändern, auch nicht eine provisorische", sagte die Verfassungsrichterin Tahani el-Gabali dem Portal "alahramonline". Trotz seiner Zustimmung warnte ElBaradei: "Ein Präsident, der sowohl exekutive als auch gesetzgeberische Vollmachten hat, widerspricht dem Kern der Demokratie. Das kann nur ausnahmsweise und provisorisch gehen."
"Mursi greift sich die gesamte Macht", schrieb die unabhängige Zeitung "Al-Masri al-Youm" im Hinblick auf die Absetzung des 76-jährigen Marschalls Tantawi. Die ebenfalls unabhängige Zeitung "Al-Shurouk" warnte, dass der Präsident mit der Übernahme des Rechts zur Gesetzgebung mehr Vollmachten erhielte als der im Februar 2011 gestürzte langjährige Machthaber Mubarak.
In den Reihen der Streitkräfte regte sich indessen am Montag kein öffentlicher Widerstand. Dies wurde als Zeichen dafür gewertet, dass die überraschende Maßnahme von Generälen niedrigen Ranges sowie von vielen weiteren Offizieren gebilligt wurde. Ein Beobachter sprach von einem Handstreich von Zivilisten, der von jüngeren Armee-Angehörigen mitgetragen wurde. Dabei soll auch der Wunsch vieler Armee-Angehöriger nach einem Generationswechsel eine Rolle spielen.
Israel zeigt sich besorgt
In Israel stieß die Absetzung Tantawis auf Besorgnis. Die Absetzung der eher israelfreundlichen Militärspitze seien überraschend früh gekommen, schrieb die Zeitung "Jerusalem Post" am Montag. Ein israelischer Regierungsvertreter sagte, die Entwicklung im Nachbarland werde mit "einiger Sorge" verfolgt.
Die Europäische Union betont die Notwendigkeit einer weiteren Demokratisierung. "Die EU erwartet einen raschen Abschluss der Arbeiten an einer neuen Verfassung, die die Rechte und Freiheiten aller Ägypter schützt, sowie Parlamentswahlen so rasch wie möglich zur Vervollständigung des demokratischen Übergangs", sagte ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Daran müssten alle gesellschaftlichen Gruppen und politischen Kräfte beteiligt werden.
Nach dem Sturz Mubaraks hatte der Oberste Militärrat das Heft in die Hand genommen. Unmittelbar vor der Wahl von Mursi, des Kandidaten der Muslimbruderschaft, zum Präsidenten löste der Militärrat das von den Islamisten dominierte Parlament auf, beschnitt die Vollmachten des neuen Staatschefs stark und sicherte sich die Federführung bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung. Mit einer neuen Verfassungserklärung übertrug nun Mursi am Sonntag die Vollmachten, die bisher die Militärs exklusiv für sich beansprucht hatten, auf sich selbst.
(APA/AFP/dpa)