Am Freitag wurden drei Musikerinnen der Punkband Pussy Riot wegen "Rowdytum aus religiösem Hass" verurteilt. Ein Warnschuss des Systems Putin an die Adresse seiner Kritiker. International regt sich scharfe Kritik.
Ihre erste Reaktion war keine: Es war, als hätten sie den Schuldspruch – zwei Jahre Haft – nicht gehört; als wollten sie das Urteil des Gerichts gar nicht erst zur Kenntnis nehmen. Nichts in den Gesichtern der drei gerade verurteilten Mitglieder der Frauen-Punkband Pussy Riot ließ auf Gefühle – Betroffenheit, Verzweiflung oder Hass – schließen.
Wie schon in den Stunden zuvor, als Richterin Marina Syrowa hastig und unter mehrmaligen Versprechern die Begründung des Urteils verlesen hatte, zeigten sich die drei Frauen unbeeindruckt von der russischen Rechtsprechung, die für sie nur unter Anführungszeichen zu denken ist: Von Beginn des Verfahrens an hatten sie klargemacht, dass sie dieses für einen Polit-Prozess halten, angeordnet von ganz oben. Ihr „Vergehen“: Sie hatten im Februar in der Moskauer Erlöserkathedrale ein „Punkgebet“ (Wortlaut siehe Kasten)zelebriert, in dem sie in drastischer Sprache die Mutter Gottes anflehten, den damaligen Premier und jetzigen Präsidenten Wladimir Putin doch bitte von der Macht zu vertreiben.
„Verletzung religiöser Gefühle“
Vor der Urteilsverkündung am Freitag haben die drei Frauen noch miteinander gescherzt, die Szene kommentiert, scheinbar gelangweilt der Begründung gelauscht, die sich argumentativ auf die „Verletzung religiöser Gefühle“ konzentriert hatte. Für zwei Jahre also müssen Nadeschda Tolokonnikowa, die 22-Jährige mit dem braunen Pagenschnitt, die langhaarige Maria Aljochina (24) und Jekaterina Samutsewitsch (30), die gestern in einem hellen Karohemd erschien, in ein Straflager. Drei Jahre hatten die Ankläger gefordert. Die sechs Monate U-Haft werden immerhin auf die Haftzeit angerechnet.
Richterin Syrowa legte den drei Musikerinnen als erschwerend zur Last, dass sie „keine Reue gezeigt“ hätten. Dabei blieb unklar, wie diese Reue hätte aussehen müssen, denn im Prozess hatten die Angeklagten ausgesagt, dass es nicht ihre Absicht gewesen sei, jemandes religiöse Gefühle zu verletzen.
„Unverhältnismäßige Strafe“
Die internationale Empörung über den Schuldspruch war groß: „Das harte Urteil steht in keinem Verhältnis zur Aktion der Musikgruppe“, sagte Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle. Auch Österreichs Außenamtsstaatssekretär Wolfgang Waldner sprach von einer „völlig unverhältnismäßigen Strafe“: Eine friedliche Kunstaktion könne nicht als Verbrechen gelten, das zu einer langen Inhaftierung führt, sagte der frühere Kulturmanager.
Dunja Mijatović, die OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, warnte vor einer „gefährlichen Tendenz zur Beschneidung der freien Meinungsäußerung“. Vorwürfe wie Rowdytum oder Anstachelung zum religiösen Hass sollten nicht dazu missbraucht werden. Sogar der Menschenrechtsbeauftragte der russischen Regierung kritisierte das Urteil als ungerecht.
Protestiert wurde gegen den Schuldspruch auch vor dem Gericht – und die Polizei sorgte dafür, dass die russische Justiz auch weiter beschäftigt ist: Etwa 30 Demonstranten wurden verhaftet, darunter Kreml-Kritiker und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2012)