Niemetz: Schwedenbomben-Alarm

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THEMENBILD: SUeSSWAREN-PRODUZENT NIEMETZAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Die Gründung der Süßwaren-Fabrik reicht zurück in die 1920er. Bis heute hat die Schwedenbombe 80 Prozent Marktanteil. Verpasste Expansionschancen und fehlende Innovationen trieben die Firma aber in Finanznöte.

Es war kurz vor 1930 und es war in Wien. Der Konditormeister Walter Niemetz war nach sieben Jahren, in denen er in einer Patisserie in Paris gearbeitet hatte, in die Heimat zurückgekehrt. Dort besuchte ihn ein Freund aus dem hohen Norden, der ihn um einen Job bat. In der Backstube staubte der Zucker und spritzte die Schokolade: Die beiden tüftelten an einer lockeren Süßigkeit aus Eischnee und Zucker. Grundlage: ein schwedisches Rezept. Die Schneemasse ruhte auf einer Oblate und wurde überzogen mit Schokolade.

So entstand die traditionelle Wiener Süßigkeit, die der Konditor in Andenken an seinen Freund Schwedenbombe nannte. 1930 eröffnete Niemetz die Süßwaren-Manufaktur in der Aspangstraße im dritten Wiener Gemeindebezirk, wo bis heute auch die Schokoriegel Manja und Swedy hergestellt werden. In den Siebzigerjahren wich die Oblate einer Waffel – doch an der Rezeptur hat sich bis heute nichts geändert.


Kakao als Geheimwaffe. Die Österreicher lernten die Schwedenbombe und ihren speziellen Geschmack lieben. Denn bis zum Markteintritt des deutschen Süßwaren-Herstellers Storck 1988 war Niemetz hierzulande praktisch konkurrenzlos. Die Vormachtstellung beim Kunden ließ sich aber auch noch auf Jahre nach dem Markteintritt internationaler Wettbewerber und Handelsmarken ausdehnen.

Denn auch wenn die Süßigkeiten sich optisch ähnelten, in der Füllung liegt der feine Unterschied: Während die deutschen Dickmann's ein schneeweißes Innenleben führen, sind die Schwedenbomben graumeliert. „Wir mischen Kakao in die Eiweißmasse“, erklärt der Amerikaner Steve A. Batchelor, der den Familienbetrieb mit seiner Lebensgefährtin, Niemetz-Erbin Ursula Niemetz, führt. „Niemand bringt es fertig, diese Konsistenz zu kopieren“, sagte Handelsexperte Rudolf Trettenbrein von der Unternehmensberatung Inverto. Wettbewerbern wie Storck hat dies den Markteinstieg deutlich erschwert. Niemetz besitzt noch heute einen Marktanteil von rund 80 Prozent in diesem Segment, Storck zählte zuletzt 14 Marktanteilspunkte. Den Rest teilen sich kleinere Hersteller auf.

Doch die Herstellung der Schaumkugeln ist längst kein Bombengeschäft mehr: 2011 brach der Absatz in der Kategorie „Schokoladen-Schaumküsse“ in Österreich um 8,6 Prozent auf 772 Tonnen ein. Seit Jahresbeginn 2012 schrumpfte der Absatz hierzulande um weitere 22,9 Prozent. 2002 und 2003 wurden noch mehr als 1000 Tonnen abgesetzt.

„Die Essgewohnheiten haben sich geändert“, sagt der ehemalige Penny-International-Manager Trettenbrein. Konsumenten würden Süßigkeiten, die viel Zucker und Fett enthalten, weniger stark nachfragen. Wer Schwedenbombe hört, denkt an Kalorienbombe. Woran auch der Hinweis, dass ein Stück nur 70 Kalorien enthält, wenig ändert.


Innovative Produkte fehlen. Und so kommt es, dass die Firma, die saisonabhängig zwischen 65 und 80 Mitarbeiter beschäftigt, dieser Tage in ernsten Geldnöten steckt. Anderen Unternehmen, die auf eine lange Firmentradition zurückblicken, etwa dem Wiener Schnittenhersteller Manner, gelang es, sich auf die geänderten Kundenwünsche einzustellen. So stellt Manner mittlerweile zusätzlich „Vollkorn-Schnitten“ her, die weniger Zucker enthalten als das Original. Auch Coca-Cola hat sich mit Cola Light und später Coke Zero immer wieder neu erfunden. „Niemetz hingegen produziert mit Schwedenbomben, Manja und Swedy seit Jahrzehnten dieselben Produkte“, sagt der Handelsexperte. Auch die patentierte transparente Verpackung ist seit den Siebzigerjahren unverändert: In einer durchsichtigen Schachtel reihen sich je drei schwarze und drei mit Kokos bestreute Stücke aneinander. „Der Firma fehlen modernere, innovative Produkte, speziell für die jüngere Zielgruppe“, sagt Trettenbrein.

Denn Niemetz hat auch noch ein anderes Problem: Österreich ist der einzige Markt, auf dem die Firma ihre einzigartige Vormachtstellung besitzt. Während der deutsche Hersteller Storck es langfristig schaffte, sich mit seinen Dickmann's in Österreich zu etablieren, gelang dies umgekehrt eher schlecht als recht. „Wir exportieren ein bisschen nach Deutschland“, sagt Batchelor. Außerdem soll der Export in die Länder Tschechien und Slowenien ausgebaut werden. Das Engagement in den USA (die Ware wurde für den Export tiefgefroren), das Niemetz in den 1990er-Jahren aufgebaut hat, sei Geschichte: „Wir konzentrieren uns auf Europa.“


Neues Firmenkonzept. Immerhin handelt es sich bei Schwedenbomben um ein äußerst delikates Exportgut. „Wir machen keine Kompromisse bei der Qualität“, sagt der Minderheitseigentümer Batchelor. Doch ohne Konservierungsstoffe ist die Ware maximal vier Wochen haltbar. Während der Sommermonate wird die „echte“ Bombe sogar durch ein Produkt ersetzt, das – ohne Schoko im Eiweiß und ohne Kokos – weniger anfällig für Hitze ist.

Erst Ende August vertreiben Billa, Merkur und Spar wieder das Original. In den kommenden Wochen könnte auch im Traditionsbetrieb noch eine Bombe platzen. Die Eigentümer verhandeln mit potenziellen Finanzpartnern, um die Finanzierung, aber auch das Konzept der Firma auf neue Beine zu stellen. „Danach planen wir die Produktpalette zu expandieren“, sagt Batchelor. „Wir sind uns der Probleme bewusst.“

IN ZAHLEN

772Tonnen
Schaumküsse verkaufte die Süßwarenindustrie 2011 in Österreich.

80Prozent
Marktanteil hält die Firma Niemetz.

4Wochen
ist die traditionelle Schwedenbombe maximal haltbar.

Foto: Breuss

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2012)

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