Griechenland fürchtet sich vor neuer Radikalkur

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Symbolbild(c) REUTERS (GRIGORIS SIAMIDIS)
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Premier Samaras sträubt sich vor Entlassungen im öffentlichen Sektor, er befürchtet eine Stärkung der Linksradikalen und die Proteste der Gewerkschaften. Massenweise Entlassungen gibt es dafür im privaten Bereich.

Athen, c.g. Millionen Griechenland-Liebhaber verbringen derzeit ihren Urlaub in den griechischen Sommerparadiesen. Doch von ausgelassener Ferienstimmung ist in dem krisengeplagten südeuropäischen Mittelmeerland heuer kaum etwas zu spüren.

Trügerisch ist die Ferienidylle etwa im äußersten nordwestlichen Eck der Peloponnes – am Ufer der Lagune von Strofilia mit ihrem exotischen Pinienwald. Über der Lagune thront eine mykenische Festung, vorbildlich restauriert mithilfe von EU-Fonds – damals, in der goldenen Epoche Anfang dieses Jahrtausends, als noch das Geld aus Brüssel nach Griechenland floss. Kaum ein Tourist besucht allerdings die historische Festung, trotz der vielen Hotels in der Gegend. Ein Grund: Keine einzige Hinweistafel führt zum Eingang des Monuments. Für Schilder fehlt nämlich das Geld.

Immerhin: Personal arbeitet in diesem Jahr wieder hier. Noch im vergangenen Jahr musste die Zahl die Vertragsbediensteten wegen der Sparmaßnahmen gekürzt werden. Der neue Wächter hat allerdings nicht wirklich einen archäologischen Hintergrund: Er war Angestellter der griechischen Staatsbahnen und wurde im Zuge der Sanierung des überschuldeten Staatsbetriebes ins Kulturministerium versetzt.

Entlassene Beamte wählen Linksradikale

Der Denkmal-Wächter mit Berufserfahrung in der Staatsbahn ist ein typisch griechischer Fall. Bei seinem Athen-Besuch mahnte Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker weitere Einsparungen im öffentlichen Sektor ein. Die griechische Regierung sträubt sich allerdings vor Entlassungen im öffentlichen Bereich. Denn sie fürchtet sich vor den sozialen – aber vor allem vor den politischen Konsequenzen. Schon jetzt hat die linksradikale Opposition viel Zulauf von frustrierten Beamten, die starke Lohnkürzungen hinnehmen mussten. Athen möchte auch eine Konfrontation mit den mächtigen Gewerkschaften verhindern.

So will die griechische Regierung den „Speck“ von 150.000 öffentlichen Bediensteten, die bis 2015 abgebaut werden müssen, durch Frühpensionierungen und radikalen Anstellungsstopp für Vertragsbedienstete auf Zeit erreichen. Im Gespräch ist auch wieder die sogenannte „Arbeitsreserve“, eine Art Vorruhestand mit niedrigeren Bezügen.

Im Privatsektor kann man von solchen Zuständen nur träumen. Hier gibt es massenweise Entlassungen, Lohnkürzungen, Firmenschließungen. Besonders schlecht geht es den vielen kleinen Familienbetrieben im Einzelhandel, die schon vor der Krise nur knapp überlebten.

Junge ziehen zu ihren Eltern zurück

Über 22Prozent der Griechen sind inzwischen arbeitslos. Besonders betroffen sind die Jungen: Die finden erst gar keine Arbeit, weil keine Vertragsbediensteten mehr eingestellt werden, oder sie werden als Erste entlassen, weil für sie nur wenig Abfertigung anfällt. Und so füllen sich wieder die stillen Provinzstädte und Dörfer des Landes mit jungen Leuten und Familien. Sie ziehen aus der Stadt zurück zu den Eltern. Hier müssen sie keine Miete zahlen und brauchen kaum Geld zum Leben.

Eine Hauptforderung der Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds ist die Senkung oder Abschaffung von Mindestlöhnen, um Schranken bei der Anstellung von Jungen abzubauen, aber auch um das unproduktiv hohe Lohnniveau Griechenlands zu senken. Auch bei diesem Punkt stoßen sie auf Widerstand der griechischen Regierung. „Griechenland wird nicht Indien werden“, sagte der ehemalige Ministerpräsident Georgios Papandreou einmal, und darum kämpfen Griechenlands Politiker auch heute noch.

Über die mykenische Festung bei Strofilia hinweg donnern täglich die Kampfflieger vom nahen Militärflughafen Araxos. Glaubt man besorgten Militärexperten, wird ihnen bald das Benzin ausgehen, da das Budget für Wartung und für den Kauf von Militärmaterial gekürzt wurde. Ursprünglich hatten die Militärs dafür eine Milliarde Euro zur Verfügung, im Februar wurde der Betrag auf 700 Millionen Euro gekürzt.

Das ordentliche Budget für das Verteidigungsministerium liegt allerdings – trotz der Kürzungen der letzten Jahre – immer noch bei über vier Milliarden Euro. Nicht betroffen von den Sparmaßnahmen ist zudem der Kauf deutscher U-Boote. Das seit einem Jahrzehnt laufende Programm hat ein Gesamtbudget von 3,4 Milliarden Euro.

Neue Milliarden-Einsparungen geplant

Fortschritte im Sinn der Troika wurden dafür bei anderen notorischen Schuldenmachern gemacht – etwa im Gesundheitssektor und bei den Pensionen. Die Auflagen der Troika für diese Bereiche wurden von der Regierung direkt ins Budget für das Jahr 2012 eingearbeitet. Die Senkung des Ausgabenniveaus hat bislang sogar die Zielvorgaben der Europäer überschritten.

Die Zeche zahlen müssen allerdings wieder einmal die Pensionisten, die Angestellten und die Immobilienbesitzer – und das sind in Griechenland mehr als 80Prozent der Bevölkerung. Und diese Gruppen werden auch beim neuen Sparpaket, das 11,5 Milliarden Euro betragen soll, zur Kasse gebeten werden. Die Einsparungen sollen eine Haushaltssanierung bis Ende 2015 garantieren.

Die EU, der Währungsfonds und die Europäische Zentralbank beharren darauf, dass es ohne Schuldenabbau kein Wachstum geben kann. Griechenlands Premierminister, Antonis Samaras, sieht das anders. Er argumentiert, dass das übertriebene Sparen kontraproduktiv sei: Die von seinem Land geforderten radikalen Einsparungen würden das Wachstum hemmen. Steuereinnahmen würden ausbleiben – und die Schuldenkrise noch weiter vertiefen, sagt er. Deshalb verlangt Samaras auch mehr Zeit für die Sanierung des Staatshaushaltes. Doch solange Griechenland keine primären Überschüsse produziert, wird es auf den Finanzmärkten keinen Kredit erhalten und am Tropf der Gläubiger hängen. Samaras wird mit seinen Forderungen wohl auf taube Ohren stoßen.

Auf einen Blick

Griechisches Sparpaket: Bis 2014 soll das Defizit unter die Obergrenze von drei Prozent der Wirtschaftskraft gedrückt werden – von schätzungsweise 9,3Prozent in diesem Jahr. In den nächsten beiden Jahren soll es Einsparungen im Umfang von 11,5 Mrd. Euro geben, zum Großteil durch Einschnitte bei den Staatsausgaben. Athen hat sich zu einer radikalen Reform des Pensionssystems verpflichtet. Außerdem muss die Regierung im öffentlichen Sektor bis Ende 2015 um 150.000 Stellen reduzieren. Die Gesundheitsausgaben sollen bei oder unter sechs Prozent des BIPs liegen. Bei Arzneimitteln soll 2012 eine Milliarde Euro eingespart werden. Die Mindestlöhne werden um 22Prozent gesenkt. Regelungen über automatische Lohnzuwächse werden ausgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2012)

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