Es geht schon lange nicht mehr nur um Griechenland

An Griechenland wird stellvertretend der Richtungsstreit über die Zukunft der EU ausgetragen. Die Politik sollte den Bürgern dabei ihre Souveränität zurückgeben.

Es sei jene Reise, in der über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone entschieden werde, titelten griechische Zeitungen Anfang der Woche. Und auch wenn bei den Besuchen des griechischen Premierminister, Antonis Samaras, in Berlin und Paris keine konkreten Beschlüsse über einen möglichen „Grexit“ getroffen werden dürften, so könnte sich aufgrund der Gespräche mit Angela Merkel und François Hollande zumindest entscheiden, ob Griechenland seine Anstrengungen erhöht, die Sparziele doch noch zu erreichen (wie von Deutschland gefordert) oder sich auf ein weiteres Hilfspaket einstellt (wie von Frankreich bereits in den Raum gestellt).

Die Antwort auf diese Frage ist essenziell, da es hierbei nicht nur um die Zukunft Griechenlands, sondern um jene der gesamten Eurozone geht. Griechenland steht für lediglich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der gesamten Währungsunion. Theoretisch könnten die Griechen daher ohne große Probleme auf Jahre vom Rest Europas durchgefüttert werden. Allerdings blieben die Auswirkungen davon nicht nur auf Griechenland beschränkt. Auch in Portugal, Spanien, Italien, Frankreich und zu guter Letzt sogar in Deutschland oder in Österreich würden die Einwohner nicht verstehen, warum notwendige Maßnahmen wie ein späterer Pensionsantritt, ein sparsameres Gesundheitssystem oder eine schlankere Verwaltung umgesetzt werden sollten, wenn es sich doch auch ohne Reformen weiter gut leben lässt.

Schlussendlich steht Griechenland stellvertretend für die Frage, ob die Eurostaaten in Zukunft nach deutschem Vorbild verhältnismäßig sparsam, mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und einer starken Währung ausgestattet sein sollen. Oder ob die mediterrane Methode das Ziel ist, bei der sich Staaten im internationalen Konkurrenzkampf mittels gezielter Abwertung durch das regelmäßige Anwerfen der Notenpresse samt Inflationierung der Währung behaupten. Letzteres mag im Jetzt für viele Menschen zwar bequemer sein. Um den gewohnten Wohlstand für die Zukunft abzusichern, bedarf es allerdings unbedingt des zuerst genannten Weges.

Dieser Richtungsstreit findet natürlich nicht nur in der Eurozone statt. Die Krise hat auch in anderen Industrieländern schonungslos offengelegt, dass schon zu lange auf Kosten der Zukunft gelebt wurde. Doch während andernorts – etwa beim diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf in den USA – die Bürger ihr Votum klar abgeben können, entscheiden in der Eurozone nationale Regierungen, die nach nationalen Wahlkämpfen mit nationalen Themen gewählt wurden, über die wirtschaftliche Zukunft der gesamten Eurozone.

Vielen Europäern wurde erst durch die jetzige Krise bewusst, wie sehr sie mit den Bewohnern anderer Euroländer in einem gemeinsamen Boot sitzen. Über die Steuerung dieses Bootes können sie jedoch nur sehr indirekt entscheiden. Eine Lösung für diese demokratiepolitische Schieflage und den damit verbundenen Eurofrust vieler Menschen kann nur eine Rückgabe der Souveränität an die Bürger bringen. Sie müssen über die Zukunft für die Eurozone wieder direkt entscheiden dürfen. Auch wenn dies schlussendlich die von vielen gefürchteten Vereinigten Staaten von Europa oder den Austritt einzelner Staaten aus der Währungsunion bringen könnte. Damit wäre endlich jener Geburtsfehler der Währungsunion behoben, dass diese ohne engere politische Verzahnung nicht funktionieren kann, diese politische Verzahnung aber demokratisch nicht legitimiert ist.

Heute wird der Richtungsstreit über die Zukunft der Eurozone nämlich unbemerkt von weiten Teilen der Bevölkerung in Gremien wie dem Rat der Europäischen Zentralbank entschieden. Gremien, deren Strukturen nicht für Sondersituationen wie die gegenwärtige Krise geschaffen wurden. So hat etwa die Zentralbank Maltas im EZB-Rat gleich viel Stimmgewicht wie jene des Euro-Schwergewichts Deutschland. Die Bürger können daher nur zusehen und hoffen, dass sich die Verteidiger der ursprünglich geplanten und versprochenen Hartwährungsunion durchsetzen.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2012)

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