Die Europäische Republik ist im Interesse der Bürger!

Schafft Europa nicht den Sprung zum europäischen Staat, verabschiedet sich der Kontinent endgültig von der Weltgeschichte.

Unlängst sorgte ein „Kurier“-Interview mit Vizekanzler Michael Spindelegger für Aufsehen, in dem er statuierte, man sollte Defizitländer aus der Eurozone „rausschmeißen“ können. Andererseits mehren sich auch Stimmen Intellektueller, Ökonomen und Politiker, die die Lösung der Eurokrise in einer Vorwärtsstrategie sehen: in einer Ergänzung der Währungsunion durch eine Fiskalunion, in Vereinigten Staaten von Europa, einer Europäischen Republik.

Ein „Grexit“ bringt nichts

Dass in der Bevölkerung der Weg zurück zum Nationalstaat populärer wird, liegt vor allem daran, dass selbst verantwortungsbewusste Politiker damit überfordert sind, die Komplexität der ökonomischen Zusammenhänge zu verstehen, geschweige denn, sie zu erklären. Griechenland etwa aus dem Euroraum zu drängen, bringt letztlich nichts, birgt aber erhebliche Risken: Bankenrun, Zusammenbruch der Wirtschaft, Anheizen der Spekulation auf das Ausscheiden eines nächsten Eurolandes oder überhaupt das Ende der Währungsunion. In den nördlichen Euroländern dagegen gebe es einen gigantischen Wertberichtigungsbedarf, haben doch die griechischen Bürger längst gewaltige Summen auf ausländische Bankkonten transferiert oder Bargeld (Forderungen gegen die EZB) abgehoben.

Den Einlagen bei den Banken des Nordens und dem Bargeld stehen somit Forderungen der Europäischen Zentralbank etwa gegen griechische Geschäftsbanken beziehungsweise innerhalb des Eurosystems Forderungen der Notenbanken des Nordens gegen die Notenbanken des Südens gegenüber. Aktuell belaufen sich die Forderungen der deutschen Bundesbank (Target-2) innerhalb des Eurosystems bereits auf über 700 Milliarden Euro.

Doch selbst wenn man die Eurozone problemfrei auflösen könnte – es wäre nicht im Interesse gerade des Normalbürgers in Österreich oder Deutschland. Eine zunächst wahrscheinliche Aufwertung des neuen Schilling würde zu Exporteinbruch und steigender Arbeitslosigkeit führen, aber auch ein späterer Währungsabsturz ist denkbar, wenn sich auf den Finanzmärkten wieder die Angst vor der exponierten Position österreichischer Banken im Osten breitmacht.

Kleinstaaterei schadet den Kleinen

Schließlich wären Europas Nationalstaaten – auf sich allein gestellt – dem Standortwettbewerb schutzlos ausgeliefert – mit möglicherweise sogar real sinkenden Löhnen, einem Steuersenkungswettlauf bei Kapital- und Gewinnsteuern und in Folge einem steigenden Spardruck bei Ausgaben für Infrastruktur, Bildung und sozialen Ausgleich. Gerade den kleinen Leuten schadet die Kleinstaaterei!

Schafft Europa nicht den Sprung nach vorn, hin zum europäischen Staat, ist nicht nur die soziale Marktwirtschaft passé: Europa wird generell kaum mehr „Einfluss auf die Agenda der Weltpolitik und die Lösung globaler Probleme“ haben, wie es der deutsche Ökonom Peter Bofinger, der Soziologe Jürgen Habermas und der Philosoph Julian Nida-Rümelin jüngst formulierten. „Der Verzicht auf die europäische Einigung wäre auch ein Abschied von der Weltgeschichte.“ Die USA und China wären die Player, Europas Staaten bloß Bauern auf dem Schachbrett der Weltpolitik.

Keine Angst vor Inflation

Es sind solche Argumente, mit denen die Bürger für die Europäische Republik gewonnen werden können. Nova EUropa hat den Weg dorthin in einem „Dreistufenplan“ konkretisiert – unterfertigt vom früheren Nationalratspräsidenten Heinrich Neisser, Altvizekanzler Josef Riegler und dem Industriellen Josef Taus.

In einem ersten Schritt ist jetzt die Stabilisierung der Eurozone gefordert. Da die „Märkte“ darauf spekulieren werden, dass den europäischen Rettungsschirmen die Mittel ausgehen, bedarf es eines gar nicht so radikalen Schrittes: einer Bankenlizenz für den ESM, wie von Wifo-Chef Karl Aiginger gefordert, oder besser einer EZB-Statutenänderung, die dieser den Kauf eigener Staatsanleihen auf dem Primärmarkt gestattet, wie dies auch von den Notenbanken der USA, Großbritanniens oder Japans laufend praktiziert wird, und wie dies auch die deutsche Bundesbank in den 1970er-Jahren vorexerziert hat. Die EZB müsste erklären, so lange spanische und italienische Papiere zu kaufen, bis die Zinsen etwa drei Prozent erreichen.

Die Angst, dadurch eine Inflation auszulösen, ist mehr als absurd, schon aufgrund der Relation zwischen Geschäftsbanken- und Zentralbankgeldschöpfung: „Die Bilanzsumme der europäischen Banken beträgt 34.000 Milliarden Euro, davon finanziert die Europäische Zentralbank 1100 Milliarden Euro. Die Risken für eine Deflation sind aktuell um ein Vielfaches höher als die Gefahr einer Inflation“, erklärte UniCredit-Chefvolkswirt Bruckbauer am 22. 6. im „Wirtschaftsblatt“.

EZB-Finanzierung als Akutmedizin

Unbegrenzte EZB-Finanzierung ist eine Akutmedizin, kann aber keine Dauermedikamentation darstellen, denn auch bei Notenbankfinanzierung kann und darf die Staatsschuld nicht ins Uferlose steigen.

Die Währungsunion muss daher gemäß Stufe 2 des Plans durch eine echte Fiskalunion ergänzt werden – einer „Europäischen Föderation“ der Eurostaaten innerhalb der EU, an welche sie ihre Kompetenzen in der Wirtschaftspolitik übertragen, ansonsten aber, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik, souverän blieben. Institutionell würde eine Wirtschaftsregierung, gemäß den realen Machtverhältnissen, bestehend aus der deutschen Kanzlerin, dem französischen Präsidenten und einem Regierungschef der Eurozone sowie einigen Fachministern, die Exekutivgewalt innehaben. Ein Zweikammernparlament – mit einer Bürgerkammer, bestehend aus den EU-Parlamentariern der Eurostaaten, und einer Staatenkammer nach dem Muster des deutschen Bundesrates – würde als Gesetzgeber fungieren.

Eurostaaten, die nicht mitmachen wollen – etwa Finnland –, scheiden aus der Währungsunion aus.

Weltmacht Europäische Republik

In der Europäischen Föderation müssten die Steuern harmonisiert, Steuerflucht effizient bekämpft und Staatsschulden – in Form von Eurobonds – gemeinsam bewirtschaftet werden. Da volkswirtschaftliche Ungleichgewichte in einer Währungsunion nicht durch den Wechselkursmechanismus ausgeglichen werden können, bedarf es eines schnelleren Lohnwachstums in jenen Ländern, die Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen können, sowie einer Industrialisierung schwacher Regionen und vorübergehender Transfers. Die Austerity-Politik, die zu tiefer Rezession und erst recht ausufernder Staatsverschuldung führt, muss gestoppt werden.

Die Europäische Föderation kann freilich nur ein zeitlich befristetes Konstrukt sein, das letztlich – gemäß Stufe 3 des Plans – zur Gründung der Europäischen Republik führen muss, in der die beteiligten Staaten als Bundesstaaten aufgehen und an diese ihre Restsouveränität übertragen. Das EU-Mitglied „Europäische Republik“ wäre eine Weltmacht mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat, den sie von der Französischen Republik übernimmt.

Karl Koller ist Obmann von „Nova EUropa – Sammlungsbewegung für eine Europäische Republik“ (www.nova-europa.eu)


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2012)

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