Salzburger Festspiele: "Der Sturm" als netter Jux

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Irina Brook zeigt eines der letzten großen Stücke Shakespeares bei den Salzburger Festspielen auf der Halleiner Perner Insel: Die »Neuschöpfung« ist amüsant, bleibt aber an der Oberfläche des Stückes.

„Den ,Sturm' brauchen Sie nicht lesen“, sagt die alte Dame vor der Premiere zur Kritikerin, „die Aufführung hat nichts damit zu tun. Sie spielt in einer Pizzeria, ist ganz kurz und nachher gibt es etwas zu essen.“ Irina Brook zeigt nach „Peer Gynt“ eines der letzten großen Stücke Shakespeares. Er variierte darin noch einmal seine großen inneren Themen, Liebe, Täuschung, Läuterung, schilderte aber auch, was seine Zeit beschäftigte:  Kolonialismus, der Bruderkrieg zwischen England und Schottland, Ideen vom Staat, der Kampf zwischen Religion und Magie. „Der Sturm“ ist ein Resümee von Shakespeares Werk. Zunächst wurde er wenig geschätzt, inzwischen gilt er als eines seiner reichsten Stücke.

Großräumig umgeschrieben.
Herzog Prospero hat wie der Herzog von Wien in „Maß für Maß“, letztes Jahr mit Gert Voss bei den Festspielen zu sehen, eine Sinnkrise. Müde von den Regierungsgeschäften zieht er sich zurück, um religiöse oder esoterische Studien zu betreiben. Das war zur damaligen Zeit nicht ungefährlich. Der  Priester, Philosoph, Magier Giordano Bruno wurde 1600 in Rom wegen Ketzerei verbrannt. Zwei Jahre nach Shakespeares Tod brach in Kontinentaleuropa der 30-jährige Krieg aus. Der Habsburger-Kaiser Rudolf II. war ähnliche Wege gegangen wie die Shakespeare'schen Herzöge, er resignierte, studierte, es kam zum Kampf, Bruderzwist, ein großes Reich stürzte ins Chaos. Intellektuelle lasen derweilen Montaignes Theorien vom freien Menschen, Shakespeare hat sie im „Sturm“ fast wörtlich zitiert: Keinen Reichtum, kein Amt, keine Zäune, kein Regiment, fordert der alte Rat des Königshauses von Neapel, Gonzales. Bei Irina Brook ist er bloß ein Diener. Er gibt Prospero und seiner Tochter Nahrung mit aufs Schiff, das sie in die Verbannung bringt. Dafür wird er getötet. Es ist jetzt sicher nicht nötig und möglich, die großen politischen und geistigen Auseinandersetzungen Europas zur Zeit Shakespeares im „Sturm“ abzuhandeln, aber das Stück als italienische Gastro-Groteske zu präsentieren, ist doch eine arge Verhunzung. Hier gilt die alte Regel der Regietheater-Bekämpfer: Leute, schreibt euch eure Stücke selbst und benennt sie nicht nach den Klassikern, wenn sie mit diesen nur mehr am Rande zu tun haben.

Taschenspielerei statt Magie.
Es wird jetzt viel von Peter Brooks „Sturm“-Version, die 1993 bei den Wiener Festwochen zu sehen war, geredet. Der Vergleich mit Tochter Irina funktioniert nicht. Peter Brooks „Sturm“ setzte der Multikultur, die damals noch keine abgebrauchte Worthülse war wie heute, ein Denkmal: Er zeigte minimalistisch und atemberaubend schön geglückte Koexistenz, unrealistisch, aber ästhetisch. Die Tochter setzt sich mit Recht energisch vom Vater ab, sonst wäre sie nicht so erfolgreich. Ihr Plan ist laut Programm eine „Neuschöpfung“, was also hat diese außer gravierenden Irrtümern in der Herangehensweise an das Werk zu bieten?

Irina Brooks „Sturm“ bietet Amüsement, blendendes Spiel und einige gute Ideen, deren beste der Umgang mit dem Kolonialismusthema ist: Caliban, der „Wilde“, ist ein Ureinwohner, der wahre Herr der Insel, die er aber bereit ist, jedem Hergelaufenen zu verkaufen. Sein Land ist ihm kein Anliegen, sondern Wohlleben, Faulheit, Schnaps. In diesem Caliban bilden sich Drittwelt-Regenten ab. Völlig unlogisch ist, dass er am Ende mit dem Reisekoffer von dannen zieht, in der Fremde wäre er kein Tourist, sondern ein Flüchtling. Miranda ist nicht 15 wie im Stück, sondern 30, sie will unbedingt einen Mann, nimmt den Nächstbesten, der ein Prinz, aber völlig untüchtig ist. Dieser Ferdinand kann zwar prächtig mit Zwiebeln und Tomaten jonglieren, aber um ein Muschelgericht herzustellen, das dem Schwiegervater mundet, braucht es Zauberei.

Diese besteht hier über weite Strecken aus billiger Taschenspielerei, sodass es sonderbar wirkt, wenn Prospero, der im roten Jackett eher in einen Zirkus als in eine Denkerklause passt, plötzlich ein dürres Ästchen schwingend, den Sturm entfesselt, die Elemente toben lässt. Luftgeist Ariel ist hier ein Kellner, der Waschbären aus dem Zylinder zaubert und Bälle aus seinem Schlund würgt, also auch eher ein Jahrmarktkünstler. Die Rüpelszenen sind breit ausgeführt: Trinculo, Stephano, die beiden Schiffsleute, sowie Caliban erringen viele Lacher, wenn sie sich besaufen und versuchen, Prospero zu töten. Dieser hat am Ende dann doch noch einen rührenden Moment, der auch sonst zieht: Allein, einsam bleibt er zurück, ein Alter Ego des Dichters und Theaterkönigs.

Spöttereien der Völker Europas.
Recht witzig werden Meinungen, Stereotypen der Völker Europas übereinander aufs Korn genommen: Was macht der Prinz als Erstes, wenn er auf die exotische Insel kommt? Er fragt die schöne Insulanerin „Sprechen Sie Englisch?“ Die Spöttereien der kultivierten Franzosen über die merkantilen Engländer werden deutlich, auch die notorischen erotischen Rivalitäten zwischen Franzosen und Italienern. Ob dergleichen ein Ersatz ist für eine schlüssige, gehaltvolle Neuinterpretation des „Sturm“, bleibt jedem überlassen. Mit dem Stoff lässt sich durchaus eigenwillig umgehen, wie die Filme von Derek Jarman, Peter Greenaway („Prosperos Books“ mit John Gielgud) zeigen.

Das Publikum in Hallein trampelte vor Begeisterung über das launige Spektakel. Das Theater wendet sich ab von der moralischen Anstalt, könnte man nach diesen letzten beiden Festspiel-Premieren sagen, es kehrt zurück zu Poesie, Märchen, Spaß, was Vorteile und Verluste bringt. Fürs Erste wirkt dieser „Sturm“ wie Ariane Mnouchkine für Arme. Dass im Programm ein Prospero-Menü mit Rezepten mitgeliefert wird, ist nicht wirklich ein Trost. Speziell wenn man liest, dass die guten Muscheln mit tausenderlei Kräutern zubereitet werden. Womöglich trifft auf diese Art von Theater ein alter Spruch, hier leicht variiert, zu: „Zu viele Zutaten verderben die besten Speisen.“ 

Der Sturm

„Der Sturm“, 1610/11 entstanden, gilt als Romanze oder Tragikomödie. Er bildet mit „Cymbeline“ und „Wintermärchen“ die letzte Werkgruppe des Dichters (1564–1616).
Inhalt. Prospero, der Herzog von Mailand, zieht sich zu Studien der „freien Künste“ zurück und übergibt die Macht seinem Bruder, der sie an sich reißt und Prospero und seine kleine Tochter Miranda auf eine einsame Insel bringen lässt. Auf dieser stranden nach Jahren Prosperos Widersacher.
Background. Shakespeare zeigt die Bilder, die von Eroberungen ferner Länder (Bermudas) in England kursierten: grotesk aussehende, „wilde“ Menschen wie Caliban, der in England ein lukratives Schaustück wäre. Der Dichter lässt aber auch „Wilde“ und Zivilisierte einander ähneln, böse, mordlustig sind beide.
Prospero. Wurde verschieden gedeutet, auch psychoanalytisch, der böse Caliban und der gute Ariel sind Teil seines Charakters.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2012)

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